Deutschland-Monitor

Unternehmensfinanzierung

12. Juni 2020

Beispiellose Rezession lässt Kredit- und Einlagengeschäft in Q1 2020 auf neue Höhen steigen

Autoren

Jan Schildbach

+49 69 910-31717 jan.schildbach@db.com

Marc Schattenberg +49 69 910-31875 marc.schattenberg@db.com

Editor

Stefan Schneider

Deutsche Bank AG Deutsche Bank Research Frankfurt am Main Deutschland

E-Mail: marketing.dbr@db.com

Fax: +49 69 910-31877www.dbresearch.de

DB Research Management Stefan Schneider

Unternehmensfinanzierung

Vorsichtige Unternehmen nehmen so viel Kredit auf wie zuletzt vor 20 Jahren; Boom bei den Einlagen. Das Kreditvolumen mit Unternehmen und Selbstständi- gen in Deutschland ist im Anfangsquartal 2020 um EUR 30 Mrd. bzw. 2,2% ge- stiegen und lag damit 5,1% höher als vor einem Jahr. Starke Zuwächse ver- zeichneten vor allem die kurzfristigen Kredite, da die Unternehmen Kreditlinien zogen und ihre Reserven aufstockten, um zu erwartende Umsatzeinbußen ab- zufedern. Kredite an Maschinenbau/Auto, Chemie, Wohnungsunternehmen und Beteiligungsgesellschaften wurden besonders kräftig ausgeweitet. Auslands- banken gewannen, Großbanken verloren Marktanteile. Ein Großteil der Liquidi- tät verblieb bei den Banken, die Einlagen schossen um den Q1-Rekordwertvon EUR 49 Mrd. in die Höhe. Die Einlagenzinsen stürzten weiter ab, aber auch Kreditzinsen blieben unter Druck. Anders als in der Finanzkrise verschärften die Banken die Kreditstandards nur moderat und weiteten auch die Margen kaum aus. Im aktuellen Quartal ist ebenfalls mit starker Kreditnachfrage zu rechnen, die massiven Unterstützungsprogramme der Förderbanken dürften sich erst dann richtig in den Daten niederschlagen.

Finanzierungsalternativen schneiden gemischt ab. Während es für Commercial Paper und Anleiheemissionen im ersten Quartal gut bzw. sehr gut lief, bekamen das Leasing und das Aktienemissionsgeschäft die Auswirkungen der Krise be- reits zu spüren.

Konjunktur

Die Corona-Pandemie und die Auswirkungen der Eindämmungsmaßnahmen ließen die deutsche Wirtschaft bereits in Q1 um -2,2% ggü. Vq. schrumpfen. Nach einem schwachen Q4 2019 (-0,1%ggü. Vq.) waren zu Jahresbeginn 2020 einige Erholungstendenzen erkennbar, denen die Corona-Pandemiejedoch ein jähes Ende setzte. Vor allem die Kontaktbeschränkungen, aber auch das Erlah- men des globalen Handels führten bereits in Q1 zu einem kräftigen Wirtschafts- einbruch, der sich dann noch dramatischer in Q2 fortsetzte. Dabei trifft der Corona-Schockdie deutsche Wirtschaft heftiger als die globale Finanzmarkt- krise von 2009. Vor allem der private Verbrauch wird einen großen Rückschlag erleiden und die Konjunktur nicht wie noch 2009 stützen.

Im Jahr 2020 wird die deutsche Wirtschaft in die tiefste Rezession der Nach- kriegszeit stürzen. Angesichts des weltweit verschobenen Verlaufs der Corona- Pandemie und der damit erst einmal anhaltenden Einschränkungen des Welt- handels wird die globale Erholung wahrscheinlich nicht so dynamisch sein, wie ursprünglich erhofft. Für Deutschland erwarten wir daher in diesem Jahr eine BIP-Kontraktionvon -9%.Nachdem die Erholungsphase in der zweiten Jahres- hälfte 2020 einsetzt, dürfte die deutsche Wirtschaft im Jahr 2021 wieder um etwa 4% wachsen.

Beispiellose Rezession lässt Kredit- und Einlagengeschäft auf neue Höhen steigen

Kredite an inländische Unternehmen

und Selbstständige*

1

%

6

5

4

3

2

1

0

15

16

17

18

19

20

ggü. Vorjahr

ggü. Vorquartal

* ohne sonstige Finanzinstitute

Quellen: Bundesbank, Deutsche Bank Research

... nach Branche

2

  • ggü. Vorjahr 10

8

6

4

2

0 -2

-4

15

16

17

18

19

20

Verarbeitendes Gewerbe

Dienstleistungssektor

Selbstständige

Quellen: Bundesbank, Deutsche Bank Research

... nach Fristigkeit*

3

  • ggü. Vorjahr 12

9

6

3

0 -3

-6

15 16 17 18 19 20

Kurzfristige Kredite

Mittelfristige Kredite Langfristige Kredite

* ohne sonstige Finanzinstitute

Quellen: Bundesbank, Deutsche Bank Research

... nach Bankengruppe*

4

  • ggü. Vorjahr 20

16

12

8

4

0 -4

15

16

17

18

19

20

Kreditbanken

darunter Großbanken

darunter Auslandsbanken

Landesbanken

Sparkassen

Kreditgenossenschaften

* ohne sonstige Finanzinstitute

Quellen: Bundesbank, Deutsche Bank Research

Unternehmensfinanzierung in Deutschland

Kreditvolumen

Die Unternehmen und Selbstständigen in Deutschland haben im ersten Quartal angesichts des Ausbruchs der Corona-Pandemie so viel Kredit aufgenommen wie seit der Dotcom-Blase vor mehr als 20 Jahren nicht mehr: +2,2% ggü. Vor- quartal (bzw. EUR +30 Mrd.). Nachdem sich die Wachstumsdynamik zuletzt et- was abgeschwächt hatte, nahm der Vorjahresvergleich jetzt wieder moderat auf 5,1% zu. Allerdings dürfte darin einiges an Vorsicht mitschwingen. Viele Unter- nehmen haben ihre Liquiditätspolster in Erwartung schlechter laufender Ge- schäfte aufgestockt und existierende Kreditlinien gezogen, um für geringere Ein- nahmen vorzusorgen. Im Gegensatz zum seit 2015 andauernden Kreditauf- schwung dürften Expansions- und Investitionspläne in diesem Vierteljahr eine deutlich geringere Rolle gespielt haben. Auch ist eine solche Form der Kredit- aufnahme üblicherweise nur von kurzer Dauer, denn die Unternehmen versu- chen, Mittelabflüsse auf das Nötigste zu begrenzen, und die Banken sind vor- sichtiger bei der Einräumung neuer Kreditlinien, nachdem die bisherigen ausge- schöpft sind. Auch auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im vierten Quartal 2008 legte das Kreditvolumen zunächst noch einmal kräftig zu, bevor es 2009/10 den Rückwärtsgang einlegte. So ist auch für den weiteren Verlauf dieses Jahres, spätestens ab dem dritten Quartal, mit einem deutlich gedämpften Kreditge- schäft zu rechnen. Unterstützung kommt jedoch durch die umfangreichen Liqui- ditätshilfen von Bund und Ländern (insbesondere über die KfW), die das Kre- ditangebot für gesunde Unternehmen sicherstellen dürften. Sie werden sich je- doch im Wesentlichen erst ab Q2 in den Daten niederschlagen. Die weitere Ent- wicklung wird in jedem Fall sehr von der Art und Stärke der wirtschaftlichen Er- holung abhängen und ist von großer Unsicherheit geprägt (zu den Details des aktuellen Konjunkturverlaufs und -ausblicks siehe Teil 2 im Anschluss).

Im Euroraum als Ganzes war der anfängliche Corona-Effekt noch prägnanter. Hier lag das Wachstumstempo schon seit vielen Jahren weit unter dem in Deutschland. Erst im März, aufgrund der Pandemie, nahm die Kreditvergabe an nichtfinanzielle Unternehmen plötzlich massiv zu und der 12-Monats-Vergleich sprang von 1,5% auf 4%. Im Quartal insgesamt erhöhte sich das Kreditvolumen drastisch, um EUR 137 Mrd. bzw. 3,1%, verglichen mit dem Jahresende 2019. Das war das kräftigste Wachstum seit Frühjahr 2008, seit der Kreditblase vor der Finanzkrise, und es war breit angelegt: Im Gegensatz zu den letzten Jahren verzeichneten dieses Mal auch Italien, Spanien und die Niederlande ein Plus.

Mit Blick auf die verschiedenen Branchen in Deutschland war das Vorsichtsmo- tiv im Verarbeitenden Gewerbe in Q1 am ausgeprägtesten. Der Anstieg ggü. Vorjahr schnellte von 5,2% auf 7,9% nach oben. Im Dienstleistungssektor schwächte sich das Momentum dagegen leicht ab auf 6% und bei den Selbst- ständigen blieb es quasi unverändert bei 3,3%. Bemerkenswerterweise liegt das

  • nominal! - ausstehende Kreditvolumen in der Industrie trotz des starken Wachstums der letzten Jahre immer noch unter dem Höchststand während der Finanzkrise, welcher wiederum deutlich niedriger war als der Rekordwert am Ende des New-Economy-Booms um die Jahrtausendwende. Und auch bei den Selbstständigen war das Kreditvolumen absolut gesehen vor 20 Jahren schon einmal höher als die heutigen EUR 451 Mrd., obwohl es seit 2010 immerhin um 18% gestiegen ist. Das unterstreicht, wie sehr deutsche Unternehmen, und vor allem kleine und mittlere, in den letzten beiden Jahrzehnten ihre Abhängigkeit vom Bankkredit verringert haben.

In der Industrie stach im ersten Quartal die Kreditvergabe an die besonders zyk- lischen Branchen Maschinenbau/Auto (EUR +4 Mrd.) und Chemie (EUR +2,2 Mrd.) heraus. In den meisten anderen Wirtschaftszweigen gab es ebenfalls ein signifikantes Plus von mehreren hundert Mio. EUR, einzig Gummi/Kunststoffe verbuchten einen überraschenden Rückgang (EUR -0,2 Mrd.).

2 | 12. Juni 2020

Deutschland-Monitor

Beispiellose Rezession lässt Kredit- und Einlagengeschäft auf neue Höhen steigen

Commercial Paper inländischer

Nichtbanken, Nettoemission

5

Mrd. EUR 6 5 4 3 2 1 0 -1-2-3

-4

15 16 17 18 19 20

Quellen: Bundesbank, Deutsche Bank Research

Anleihen inländischer nichtfinanzieller

Unternehmen, Nettoemission

6

Mrd. EUR 10

8

6

4

2

0

-2

15 16 17 18 19 20

Quellen: Bundesbank, Deutsche Bank Research

Leasinggeschäft, Neuvolumen*

7

Mrd. EUR 18 16 14 12 10

8

6

4

2

0

15

16

17

18

19

20

Mobilien

Immobilien

  • statistische Brüche in Q1 2017 und Q1 2019 Quelle: BDL

Aktienemissionen inländischer

Unternehmen (einschl. Finanzinstitute)

8

Mrd. EUR 12

10

8

6

4

2

0

15

16

17

18

19

20

Quellen: Bundesbank, Deutsche Bank Research

Im Dienstleistungsgewerbe hielt die kräftige Expansion im Anfangsquartal zwar insgesamt weiter an, im Detail war das Bild jedoch gemischt. Während Woh- nungsunternehmen (EUR +4,9 Mrd.), Beteiligungsgesellschaften (EUR +3,1 Mrd.) und Gesundheitsfirmen (EUR +0,8 Mrd.) noch mehr Kredit aufnahmen als vor 12 Monaten, waren Unternehmen aus den Segmenten Telekom/Bera- tung/Werbung (EUR +2,1 Mrd.) und Tourismus/Gastronomie (EUR +0,5 Mrd.) deutlich zurückhaltender als im Vorjahr. Weitgehend stabil war die Lage bei Ge- werbeimmobilienfirmen (EUR +1,9 Mrd.).

Bei den sonstigen Branchen war die starke Zunahme beim Verkehr besonders auffällig (EUR +2,2 Mrd.), der seit Jahren eigentlich einen strukturellen Schrumpfungsprozess durchmacht. In den meisten anderen Bereichen (Versor- ger/Bergbau, Handel, Landwirtschaft) legte das Kreditbuch der Banken überra- schenderweise etwas weniger zu als vor einem Jahr.

Zur "vorsorglichen" Kreditaufnahme passt, dass ein Großteil der neuen Kredite kurze Laufzeiten hat (+8,9% ggü. Vj., verglichen mit +6% vor drei Monaten). Fristigkeiten von 1-5 Jahren (+9,3%) bzw. darüber (+3,9% - das erste Mal seit zwei Jahren wieder unter 4%) behielten ihr Wachstumstempo mehr oder weni- ger bei. Die unterjährigen Kredite dürften dann auch als erstes wieder reduziert werden, sobald die wirtschaftliche Erholung Fahrt aufnimmt.

Im Wettbewerb der verschiedenen Bankengruppen hatten im vergangenen Vier- teljahr die Auslandsbanken eindeutig die Nase vorn (ausstehende Kredite

+9,2% ggü. Vj., nach 6% zum Jahresende 2019). Möglicherweise haben hier besonders viele Kunden zur Sicherheit Liquidität abgerufen, eingedenk des plötzlichen Rückzugs zahlreicher ausländischer Institute nach der Finanzkrise. Auch bei den staatlichen Förderbanken (einschließlich DZ Bank) (+4,7%) sowie den Landesbanken (+1,6%) nahm die Dynamik im Kreditgeschäft zu. Dagegen verzeichneten die Großbanken zwar ein (saisonal übliches) hohes Quartalsplus. Dieses fiel jedoch deutlich kleiner als im Vorjahr aus, sodass sich ihr Wachstum auf 4,4% verlangsamte. Bei Genossenschaftsbanken und Sparkassen zeigte sich bislang kein Corona-Effekt, hier änderte sich an den etablierten Kredit- trends praktisch nichts (+6,8% bzw. +5,2% ggü. Vj.).

Sparkassen und Kreditgenossenschaften wiesen in Q1 einmal mehr große Ähn- lichkeiten auf: Beide stagnierten fast im Kreditgeschäft mit dem Verarbeitenden Gewerbe, schnitten dafür aber bei Wohnungsunternehmen und dem Bau gut ab. Außerdem lief es für die Sparkassen im Gewerbeimmobiliensegment rund und für die Kreditgenossenschaften bei Telekom/Beratung/Werbung, den unter- nehmensnahen Dienstleistungen. i) Großbanken, ii) Auslandsbanken und iii) Landesbanken legten am meisten in den Bereichen Maschinenbau/Auto und Chemie zu, außerdem jeweils bei i) Telekom/Beratung/Werbung, ii) den Beteili- gungsgesellschaften und iii) dem Handel. Die Kreditvergabe an Dienstleister insgesamt entwickelte sich jedoch bei Großbanken und Landesbanken erstaun- lich schwach. Die Expansion der Förderbanken konzentrierte sich vor allem auf die Beteiligungsgesellschaften und den Verkehr.

Andere Finanzierungsquellen

Die Emission von Commercial Paper durch Nichtbanken kam im typischerweise starken Anfangsquartal auf gute EUR 2,3 Mrd. (netto), mithin den gleichen Wert wie im Vorjahr insgesamt.

Bei Unternehmensanleihen lief Q1 sogar hervorragend. Netto wurden EUR 6,7 Mrd. ausgegeben, der höchste Quartalswert seit 2016. Zurückzuführen war das jedoch nicht auf die Corona-Krise, sondern auf einen Boom im Januar, der der drittbeste einzelne Monat seit der Wiedervereinigung war. Im März wurde das Emissionsgeschäft dann von den Verwerfungen an den Finanzmärkten im Zuge der Pandemie verhagelt. Im Euroraum insgesamt war die Dynamik etwas gerin- ger (EUR 12,3 Mrd.). Die gesteigerten Käufe der EZB (und der erhöhte Finan-

3 | 12. Juni 2020

Deutschland-Monitor

Beispiellose Rezession lässt Kredit- und Einlagengeschäft auf neue Höhen steigen

Sicht- und Termineinlagen von inländi-

schen Unternehmen & Selbstständigen*

9

Mrd. EUR

60

1.375

50

1.350

40

1.325

30

1.300

20

1.275

10

1.250

0

1.225

-10

1.200

-20

1.175

-30

1.150

15 16 17 18 19 20

Termineinlagen, ggü. Vorquartal (links) Sichteinlagen, ggü. Vorquartal (links) Volumen insgesamt (rechts)

  • einschließlich sonstiger Finanzinstitute Quellen: Bundesbank, Deutsche Bank Research

zierungsbedarf vieler Unternehmen) dürften dem Markt in den nächsten Mona- ten jedoch helfen, ähnlich zur Entwicklung nach der Finanzkrise.

Im Leasing zeigten sich bereits erste Bremsspuren der Krise, der Zuwachs im dominanten Mobilien-Segment ging auf nur noch 0,3% ggü. Vorjahr zurück. Das Neugeschäft schrumpfte bereits bei Maschinen, Lkw & Bussen, Luft- & Schie- nenfahrzeugen sowie Büroelektronik, während es bei Pkw noch gut lief. Auf- grund einer veränderten Grundgesamtheit liegt das absolute Volumen mit EUR 6,6 Mrd. nun deutlich niedriger als in den Vorquartalen. Der volatile Immobilien- Bereich verbuchte ein Minus von 59% auf EUR 67 Mio.

Aktienemissionen beliefen sich von Januar bis März in Summe auf EUR 1,8 Mrd., wobei es sich abgesehen von einer mittelgroßen Kapitalerhöhung eines Internetunternehmens nur um kleinere Transaktionen handelte. Zum ersten Mal seit 2009 fand in zwei Quartalen nacheinander kein einziger Börsengang statt.

Einlagenvolumen

Der Ausbruch der Corona-Krise im März führte dazu, dass Unternehmen und Selbstständige ihre liquiden Mittel in nahezu beispiellosem Maß erhöhten. Der Anstieg der Bankeinlagen um EUR 48,9 Mrd. (bzw. 3,8%) im Startquartal lag ausschließlich an den Unternehmen, nicht an den Selbstständigen, und war der größte in einem Vierteljahr seit 2001 und in einem Q1 seit der Deutschen Ein- heit. Damit lag das Einlagenvolumen plötzlich 5,6% über Vorjahresniveau, ver- glichen mit nur 1,1% drei Monate zuvor. An der Verteilung änderte sich hinge- gen nichts: Termineinlagen schrumpften erneut, um EUR 2,6 Mrd., während Sichteinlagen um EUR 51,5 Mrd. nach oben schossen.

Ergebnisse des Bank lending surveys der EZB

Der letzte Bank lending survey (BLS) fand zwischen Ende März und Anfang Ap- ril statt, also auf dem Höhepunkt des wirtschaftlichen Absturzes infolge der Pan- demie. Insofern ist die Verschärfung der allgemeinen Kreditstandards für Unter- nehmen (berichtet von netto 13% der Banken) wesentlich moderater ausgefal- len als befürchtet. Auch die Zinsmargen wurden nur leicht ausgeweitet (7%). Der Anteil abgelehnter Kreditanträge nahm zu (13% - allerdings hatten dies ge- nau so viele Banken auch schon in den Vorquartalen gemeldet). Damit gab es unter dem Strich keine fundamentalen Unterschiede zum Euroraum als Ganzes.

Die Kreditnachfrage der deutschen Unternehmen stieg massiv; 40% der befrag- ten Institute registrierten ein Plus, der höchste Wert überhaupt seit Beginn des BLS 2003. Im Eurogebiet waren es immerhin noch 26%.

Für das laufende Quartal rechnen die deutschen Banken mit einer erneuten leichten Verschärfung der Kreditstandards (7%), wohingegen die Banken im Eu- roraum im Schnitt von einer Lockerung ausgehen (11%). Einig sind sich beide in der Erwartung einer weiteren außergewöhnlichen Zunahme der Kreditnach- frage, die 60% der deutschen und sogar 77% der EWU-Banken prognostizieren. Letzteres ist ein Allzeithoch.

Zinssätze

Die nochmalige Lockerung der Geldpolitik durch die EZB hat das Zinsniveau in Q1 weiter nach unten gedrückt. Zinsen für neue Kleinkredite an Kapitalgesell- schaften (< EUR 1 Mio.) fielen um 17 Bp. auf ein Rekordtief von 1,89% und sind einem solchen auch in allen anderen Kategorien sehr nahe.

Noch dramatischer sieht es auf der Einlagenseite aus, wo sich der Abwärtstrend beschleunigte, auf -7 Bp. für Sicht- und ganze -26 Bp. für Termineinlagen. Hier trifft die Not der Unternehmen, die in der Krise größere Reserven vorhalten müssen, auf die Not der Banken, die nicht noch mehr Strafzinsen für ihre Über- schussliquidität an die EZB entrichten wollen.

Jan Schildbach (+49 69 910-31717, jan.schildbach@db.com)

4 | 12. Juni 2020

Deutschland-Monitor

Beispiellose Rezession lässt Kredit- und Einlagengeschäft auf neue Höhen steigen

Bank lending survey: Kreditstandards

für Unternehmen*

10

Bank lending survey: Margen für

durchschnittliche Unternehmenskredite

11

Bank lending survey: Nachfrage nach

Unternehmenskrediten*12

15

... verschärft

10

5

15

10

5

0

... gestiegen

100

... gestiegen

80

60

0

-5

-10

-15

... gelockert

Q2 17

Q4 17

Q2 18

Q4 18

Q2 19

Q4 19

Q2 20

Deutschland

Euroraum

  • Q2 20 erwarteter Wert Quellen: Bundesbank, EZB

-5

-10

-15

-20

-25

... gesunken

-30

Q1 17

Q3 17

Q1 18

Q3 18

Q1 19

Q3 19

Q1 20

Deutschland

Euroraum

Quellen: Bundesbank, EZB

40

20

0

-20

... gesunken

Q2 17

Q4 17

Q2 18

Q4 18

Q2 19

Q4 19

Q2 20

Deutschland

Euroraum

  • Q2 20 erwarteter Wert Quellen: Bundesbank, EZB

Ø-Zins im Kredit-Neugeschäft, nach

Kredithöhe

13

... nach Zinsbindungsfrist

14

%

%, Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften

3,0

3,0

2,5

2,5

2,0

2,0

1,5

1,5

1,0

1,0

0,5

0,5

0,0

15

16

17

18

19

20

0,0

Kredite an nichtfinanzielle

15

16

17

18

19

20

Kapitalgesellschaften, ≤ EUR 1 Mio.

Kredite mit Zinsbindung ≤ 1 Jahr

Kredite an nichtfinanzielle

Kredite mit Zinsbindung von 1-5 Jahren

Kapitalgesellschaften, > EUR 1 Mio.

Kredite mit Zinsbindung > 5 Jahre

Kredite an Selbstständige und

Personengesellschaften

Quelle: EZB

Quelle: EZB

Ø-Zins auf Einlagen von nichtfinanziellen

Kapitalgesellschaften (Neugeschäft)

15

%

0,3

0,2

0,1

0,0

-0,1

-0,2

-0,3

15 16 17 18 19 20

Sichteinlagen Termineinlagen

Quelle: EZB

5 | 12. Juni 2020

Deutschland-Monitor

Beispiellose Rezession lässt Kredit- und Einlagengeschäft auf neue Höhen steigen

Deutschland: Konjunkturprognose

16

% gg. Vj.

2019

2020P

2021P

Reales BIP

0,6

-9,0

4,0

Privater Konsum

1,6

-10,0

7,0

Staatsausgaben

2,7

6,8

0,4

Anlageinvestitionen

2,6

-9,3

6,0

Ausrüstungen

0,6

-20,7

10,7

Bau

3,8

-3,2

3,7

Lager, %-Punkte

-0,8

-0,3

-0,4

Exporte

1,0

-14,0

6,0

Importe

2,5

-9,8

5,7

Nettoexport, %-Punkte

-0,6

-2,6

0,3

HVPI

1,3

0,4

0,6

Staatsverschuldung, %

59,8

75,6

82,2

BIP

Arbeitslosenquote, %

5,0

7,0

6,0

Budgetsaldo, % BIP

1,5

-8,7

-8,0

Leistungsbilanzsaldo, %

7,8

6,6

6,4

BIP

Quellen: Statistisches Bundesamt, Deutsche Bank Research

Corona-Pandemie lässt BIP bereits in Q1

17

2020 kräftig schrumpfen

Wachstumsbeiträge zum realen BIP-Wachstum, ggü. Vq., ggü. Vj., %-Punkte

5,5

3,5

1,5 -0,5-2,5-4,5-6,5-8,5

-10,5

Q1

Q2

Q3

Q4

Q1

19

20P

21P

19

19

19

19

20

Außenbeitrag

Lager

Bauinvestitionen

Ausrüstungsinvestitionen

Staatskonsum

Privater Konsum

Reales BIP

Quellen: Statistisches Bundesamt, Deutsche Bank Research

Jahresbeginn 2020 mit bislang stärkstem Konjunkturein- bruch seit globaler Finanzmarktkrise 2009

  • Die Corona-Pandemie und vor allem die Eindämmungsmaßnahmen ließen die deutsche Wirtschaft bereits in Q1 2020 um -2,2% ggü. Vq. schrumpfen. Der private Verbrauch brach kräftig ein. Auch die Ausrüstungsinvestitionen und der Außenbeitrag dämpften die Wirtschaftsleistung. Weiter aufwärtsge- richtet waren hingegen die Bauinvestitionen und der staatliche Konsum.
  • Im Jahr 2020 dürfte die deutsche Wirtschaft um -9% einbrechen und damit in die tiefste Rezession der Nachkriegszeit stürzen. Im Jahr 2021 könnte die Wirtschaftsleistung dann wieder rund 4% zulegen. Eine asynchrone Erho- lung globaler Handelspartner stellt neben einem erneuten starken Corona- Ausbruch ein Hauptrisiko für den erwarteten Aufschwung dar.

Corona-Pandemie stürzt deutsche Wirtschaft in tiefe Rezession

Nach einem schwachen Schlussquartal 2019 (rev. BIP: -0,1% ggü. Vq.) zeigte die deutsche Wirtschaft zu Jahresbeginn 2020 einige Erholungstendenzen, de- nen die Corona-Pandemie jedoch ein jähes Ende setzte. Vor allem die Kontakt- beschränkungen zur Eindämmung der Viruserkrankung aber auch das Erlah- men des globalen Handels führten bereits in Q1 zu einem kräftigen Wirtschafts- einbruch, der sich dann noch dramatischer im Folgequartal fortsetzte. Nachdem vom Statistischen Bundesamt für Q1 ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um -2,2% ggü. Vq. gemeldet wurde, erwarten wir in unserem Basisszenario für Q2 eine noch stärkere Kontraktion von -14% ggü. Vq. Dieses Szenario beinhaltet dann eine wirtschaftliche Erholung ab der zweiten Jahreshälfte, während der es zu keiner wiederholten Verschärfung der Kontaktbeschränkungen infolge eines erneuten Corona-Ausbruchs kommt. Die deutsche Wirtschaft dürfte im Gesamt- jahr 2020 um -9% schrumpfen und damit in die tiefste Rezession seit der Nach- kriegszeit stürzen. Im Jahr 2021 könnte die Wirtschaftsleistung dann wieder rund 4% zulegen. Eine asynchrone Erholung unserer globalen Handelspartner stellt neben einem erneuten starken Corona-Ausbruch ein Hauptrisiko für den von uns erwarteten Aufschwung dar.

Bereits vor den Beschlüssen der Bundesregierung vom 4. Juni berücksichtigten wir in unserem Szenario-Ansatz ein Konjunkturprogramm. Gleichwohl liegt der Schwerpunkt des aktuellen EUR 130 Mrd. schweren Konjunkturpakets mit der zeitlich auf H2 begrenzten Mehrwertsteuersenkung eher im Jahr 2020. Infolge von Vorzieheffekten dürfte die wirtschaftliche Dynamik dann allerdings zu Beginn des Folgejahres gedämpft werden, was Forderungen nach einer Verlänge- rung der Mehrwertsteuermaßnahmen erwarten lässt. Zudem wird die deutsche Wirtschaft insgesamt durch ein breites Spektrum weiterer Maßnahmen gestützt, die von der Ausweitung der Regelungen zur Kurzarbeit, über steuerliche Liquidi- tätsunterstützung und Überbrückungshilfen für Unternehmen bis hin zu den Kre- ditprogrammen der KfW reichen. Aus Sicht der Unternehmensfinanzierer sind sicherlich gerade letztere Aspekte interessant. Diese Programme dürften ihre Wirkung ab Q2 entfalten. In den jüngsten Ausgaben unseres "Ausblick Deutsch- land"sowie in verschieden thematischen Publikationen haben wir diese Maß- nahmen umfassend erörtert.1

Deutsches BIP schrumpft bereits in Q1 kräftig

Von der in den Vorquartalen so oft beschriebenen Zweiteilung der deutschen Wirtschaft konnte nach Ausbruch der Corona-Pandemie keine Rede mehr sein.

1 Schneider, Stefan et al. (2020). Liebling, wir haben die Wirtschaft geschrumpft! Deutsche Bank Research. Ausblick Deutschland. 15. Mai.

6 | 12. Juni 2020

Deutschland-Monitor

Beispiellose Rezession lässt Kredit- und Einlagengeschäft auf neue Höhen steigen

Bruttowertschöpfung: Dienstleistungen

18

von Corona-Pandemie hart getroffen

% gg. Vj.

25

20

15

10

5

0 -5-10-15-20

-25

05 07 09 11 13 15 17 19

Dienstleistungen

Verarbeitendes Gewerbe

Quelle: Deutsche Bundesbank

Die Kontaktbeschränkungen trafen die zuvor noch expandierenden Dienstleis- tungen besonders hart. Der Sektor war nunmehr kein Gegengewicht zu der be- reits seit sieben Quartalen lahmenden Industrie, sodass die deutsche Wirtschaft bereits in Q1 kräftig um -2,2% ggü. Vq. schrumpfte. Im Großen und Ganzen war für diese Talfahrt nur der Rückgang wirtschaftlicher Aktivität im März verantwort- lich, daran zeigt sich die außergewöhnliche Wucht des Corona-Schocks der die verschiedenen Wirtschaftsbereiche zum Erliegen brachte. Vor allem der private Verbrauch ging infolge der Eindämmungsmaßnahmen außergewöhnlich stark um -3,2% ggü. Vq zurück und reduzierte die Wirtschaftsleistung in Q1 um -1,7%-Punkte. Der staatliche Konsum legte um magere 0,2% ggü. Vq. zu, konnte damit jedoch keinen nennenswerten Wachstumsbeitrag liefern. Unter allen Ver- wendungskomponenten stützten nur die Bauinvestitionen (0,4 %-Punkte) und die Vorratsveränderungen (0,3 %-Punkte) das Wirtschaftswachstum in Q1. In- folge der lahmenden Industrieproduktion gingen die Ausrüstungsinvestitionen kräftig zurück und dämpften die Wirtschaftsleistung in Q1 um -0,5%-Punkte. Ur- sächlich dafür war die deutliche Eintrübung des globalen Handels, wie die in Q1 gleichfalls kräftig schrumpfenden Nettoexporte verdeutlichten. Sie dämpften das Quartalswachstum mit -0,8%-Punkten.

Kapazitätsauslastung bereits in Q1

19

abgesackt

%, ggü. Vq.

%, sb.

6

88

4

86

84

2

82

0

80

-2

78

-4

76

74

-6

72

-8

70

14 15 16 17 18 19 20

Investitonen in

Maschinen & Ausrüstungen

Kapazitätsauslastung ifo

Quellen: Statistisches Bundesamt, ifo

Investitionen in Q1 schwach - Bau stark,

20

Ausrüstungen im Sinkflug

% ggü. Vq., sb.

6

4

2

0 -2-4-6

-8

14 15 16 17 18 19 20

Investitionen, insgesamt

Ausrüstungsinvestitionen

Bauinvestitionen

Quelle: Statistisches Bundesamt

Ausrüstungsinvestitionen schrumpften in Q1 stark, Bau aufwärts- gerichtet

Die Bruttoanlageinvestitionen schrumpften in Q1 mit -0,2% ggü. Vq. und damit das vierte Quartal in Folge. Dank der kräftig aufwärtsgerichteten Bauinvestitio- nen (4,1% ggü. Vq.) fiel dieser Rückgang vergleichsweise gering aus, obwohl die Ausrüstungsinvestitionen um -6,9% ggü. Vq. (2019 Q4: -2%) schrumpften. Trotz dieses bereits deutlichen Rückgangs dürften die Investitionen in Maschi- nen und Anlagen vor allem in Q2 weiter abstürzen, sodass mit einem deutlich zweistelligen Minus von gut 20% ggü. Vq. zu rechnen ist. Die auf rund 71% (Q1: 82,9%) gesunkene Kapazitätsauslastung und insbesondere die Rekordtiefs im März und April bei den Produktionserwartungen und der Beurteilung des Auf- tragseingangs im Einkaufsmanagerindex (PMI) für die deutsche Industrie zeich- nen diese Entwicklung vor. Gleiches gilt für die ifo Exporterwartungen, die sich jedoch am aktuellen Rand im Mai von ihrem Allzeittief des Vormonats (April: -50,2 Punkte) auf 26,9 Punkte erholen konnten - ein erster Silberstreif am Hori- zont. Gleichwohl wird erst eine messbare Belebung des Welthandels in H2 und damit eine weitere Verbesserung der Erwartungen in den expansiven Bereich hier zu einem Aufleben der Investitionstätigkeit in der Industrie führen. Entschei- dend wird sein, wie synchron sich der Aufschwung bei unseren Handelspartnern vollzieht. Neben der Entwicklung der Corona-Pandemie ist insbesondere der weitere Verlauf der handelspolitischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und China für den Welthandel entscheidend. Trotz des von uns für H2 er- warteten Aufschwungs dürften die Ausrüstungsinvestitionen im Gesamtjahr

2020 um rund 20% schrumpfen und dann im Zuge der weiteren konjunkturellen Belebung im Jahr 2021 um gut 10% zulegen.

Dank voller Auftragsbücher und guter Witterungsbedingungen legte das Bauge- werbe einen schwungvollen Jahresstart hin. Zudem konnte die Branche trotz der Corona-Pandemie ihren Betrieb bisher in weiten Teilen vergleichsweise un- gehindert fortsetzen. So legten die Bauinvestitionen in Q1 auch um kräftige 4,1% ggü. Vq. (2019 Q4: 0,1%) zu. Die dynamische Entwicklung wurde vor al- lem von den Bauinvestitionen im privaten Bereich (4,2% ggü. Vq.) gestützt, aber auch der staatliche Sektor legte um 3,4% ggü. Vq. zu. Gleichwohl entsprach diese Veränderung (EUR 9,7 Mrd.) einem gut achtmal geringeren nominalen Volumen als die des nichtstaatlichen Sektors (EUR 81,1 Mrd.). Im laufenden zweiten Quartal dürften die Bauinvestitionen deutlich an Schwung einbüßen,

7 | 12. Juni 2020

Deutschland-Monitor

Beispiellose Rezession lässt Kredit- und Einlagengeschäft auf neue Höhen steigen

Eindämmungsmaßnahmen bremsen

21

private Konsumausgaben in Q1 aus

%, ggü. Vq., sb.

1,5

1,0

0,5

0,0 -0,5-1,0-1,5-2,0-2,5-3,0-3,5

14 15 16 17 18 19 20

Quelle: Statistisches Bundesamt

855.000 Betriebe haben Kurzarbeit für

22

rund 11 Mio. Beschäftigte angemeldet

Mio, nsb.

11

9

7

5

3

1

-1 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020

Quellen: Bundesagentur für Arbeit, Deutsche Bank Research

Arbeitsmarkt: Corona-Pandemie zeigt

im April und Mai deutliche Auswirkungen

23

'000

%

900

7,5

800

7,0

700

6,5

600

6,0

500

5,5

400

5,0

300

4,5

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Offene Stellen (links)

Arbeitslosenquote (rechts)

Quelle: Deutsche Bundesbank

denn letztlich konnte sich auch das Baugewerbe nicht gänzlich den Auswirkun- gen der Corona-Pandemie entziehen. Lieferengpässe bei Baumaterial oder Ver- fügbarkeit von Mitarbeitern in den zusammenarbeitenden Gewerken dürften die Aktivität gedämpft haben. Zudem könnte sich auch der Baubeginn von Projek- ten verzögert haben, da infolge der Corona-Pandemie Genehmigungen nicht wie geplant erteilt wurden. Gerade bei vergleichsweise schnell abgeschlosse- nen Bauvorhaben privater Haushalte dürfte sich dies ggf. über die nächsten Quartale des laufenden Jahres dämpfend auswirken.

Privater Verbrauch in Q1 schwach, Absturz in Q2 kündigt sich an

War der private Konsum noch in der globalen Finanzmarktkrise von 2009 die Stütze der deutschen Volkswirtschaft, dürfte er infolge der Corona-Pandemie im Jahr 2020 mit -10% einen immensen Rückschlag erfahren. Diese Entwicklung kündigte sich mit dem Schrumpfen des privaten Verbrauchs in Q1 um -3,2% ggü. Vq. an und könnte sich in Q2 mit einem noch drastischeren Absturz von rund -18% ggü. Vq. fortsetzen. Die von uns für die zweite Jahreshälfte erwartete Erholung dürfte nur einen Teil des Ausfalls wettmachen können. Hierbei spielen gleich mehrere Faktoren eine entscheidende Rolle. Da die Eindämmung der Er- krankungswelle eine Kontaktsperre erforderlich machte, waren währenddessen insbesondere die Dienstleistungen negativ betroffen. Ein Großteil der potenziel- len Nachfrage (Restaurantbesuche, fest geplante Urlaube, Friseur etc.), die in diesen Wochen auf den Sektor entfallen wäre, wird sicher nicht nachgeholt wer- den können. Zudem waren aufgrund der sozialen Distanzierungsmaßnahmen viele weitere Konsummöglichkeiten nicht vorhanden, da stationäre Verkaufs- räume geschlossen waren. Nachdem Mitte Q2 zwar umfassende Lockerungs- maßnahmen in Kraft sind, dürfte die aktuelle Arbeitsmarktentwicklung die Kauf- laune dennoch bremsen. Ende Mai hatten rund 855.000 Unternehmen für rund 11 Mio. Beschäftigte Kurzarbeit angemeldet. Das sind gut ein Drittel aller sozial- versicherungspflichtig Beschäftigten, wenngleich die tatsächlich realisierte Kurz- arbeit mit in der Spitze rund 9 Mio. etwas niedriger liegen dürfte.2 Trotz der Aus- weitung der Regelungen zum Kurzarbeitergeld wird der Nettoeinkommensver- lust den Konsum der betroffenen Haushalte dämpfen. Hinzu kommt die mittel- fristige Sorge um den Arbeitsplatz, die sich mit den jüngsten Anstiegen der Ar- beitslosenzahlen in April und Mai, auf zuletzt 2,9 Mio. (Quote im Mai 6,3% nach 5% in Q1), bei vielen Arbeitnehmern wieder unangenehm bemerkbar gemacht haben dürfte. Aufgrund der stark eingetrübten Beschäftigungsaussichten gehen wir davon aus, dass der Arbeitsplatzsicherheit in den kommenden Tarifverhand- lungen eine hohe Priorität eingeräumt wird. Nach starken Lohnabschlüssen in den Jahren 2018 (2,9%) und 2019 (3%) dürfte die Entwicklung der Tariflöhne im Jahr 2020 und 2021 wahrscheinlich bei eher bescheidenen 1% liegen. Aufgrund einer deutlich negativen Lohndrift dürften die Effektivlöhne im Jahr 2020 sogar schrumpfen. Trotz der Mehrwertsteuersenkungen für H2 2020 (von 19% auf 16%, ermäßigt: von 7% auf 5%) sind das keine rosigen Aussichten für eine kräf- tige Aufholdynamik des privaten Verbrauchs.

Angesichts der höheren Arbeitsplatzunsicherheit wird sich der zu beobachtende Anstieg der Sparquote (Q1: 12,4%) bei den privaten Haushalten (der nicht zu- letzt auf mangelnde Konsummöglichkeiten zurückzuführen ist) wohl verstetigen. Die im Jahresdurchschnitt 2020 auf 0,4% zurückgehende Inflationsrate dürfte aber die reale Kaufkraft stärken. Zudem gab der Ölpreis in Q1 teilweise dras- tisch nach, was den Haushalten aber aufgrund der Mobilitätsbeschränkungen nur begrenzt nützte. Im Gesamtjahr 2020 erwarten wir den Ölpreis (WTI) bei rund USD 35 pro Barrel, was die realen Einkommen stützt.

2 Schattenberg, Marc (2020). Deutscher Arbeitsmarkt in der Corona-Pandemie. Deutsche Bank Research. Deutschland-Monitor. 22. Mai.

8 | 12. Juni 2020

Deutschland-Monitor

Beispiellose Rezession lässt Kredit- und Einlagengeschäft auf neue Höhen steigen

Industrieproduktion in Q1 mit starkem

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Rückgang infolge geschlossener Betriebe

Verarbeitendes Gewerbe in DE, 2015=100

110

100

90

80

70

60

14

15

16

17

18

19

Produktion

Aufträge

Quelle: Statistisches Bundesamt

Industrierezession - Produktionsrückgang um 15% zu erwarten

Im Jahr 2020 wird die Produktion im deutschen Verarbeitenden Gewerbe vo- raussichtlich so stark sinken wie zuletzt während der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise. Bereits vor der Corona-Pandemie lahmte der exportlastige Sektor und verzeichnete nun in Q1 den siebten Quartalsrückgang (Q1: -2,3% ggü. Vq.) in Folge. Im April sank die Produktion in der deutschen Industrie sogar um 22,1% ggü. Vm. - der stärkste Rückgang auf monatlicher Basis seit der Wieder- vereinigung, nachdem bereits schon im März ein Rekordrückgang von -11% ggü. Vm. gemeldet wurde. Für das Gesamtjahr rechnen wir damit, dass die In- dustrieproduktion um etwa 10 bis 15% schrumpfen wird. Hersteller von Investiti- onsgütern sind besonders betroffen.

Der Rückgang könnte auf 10% begrenzt bleiben, wenn sich die negativen wirt- schaftlichen Auswirkungen der Krise in allen wesentlichen Exportmärkten Deutschlands (also auch den USA) auf Q2 konzentrieren und die bereits einset- zende Erholung in China voranschreitet. Der nationale und internationale Güter- verkehr würde in diesem Szenario schon im Verlauf von Q2 so weit funktionie- ren, dass die Kunden beliefert werden können. Unterbrechungen der Lieferket- ten wären die Ausnahme oder beherrschbar. Unter diesen Umständen dürfte die Produktion im Mai gegenüber April schon wieder steigen (allerdings auf ein sehr niedriges Niveau) und im Rest des Jahres relativ stetig nach oben tendie- ren. Ein Produktionseinbruch von 15% könnte eintreten, wenn die Anpassung an die Corona-Pandemie bzw. deren Bewältigung in wichtigen ausländischen Absatzmärkten und/oder in Deutschland bis in H2 dauern sollte und es zu weite- ren Infektionswellen käme, die erneut zu Einschränkungen der Wirtschaft führ- ten. Im Jahr 2021 könnte die Industrieproduktion um mehr als 10% steigen. Al- lerdings wäre selbst bei einem solch kräftigen Anstieg das Produktionsniveau von 2018 noch nicht wieder erreicht.

EZB in der Corona-Krise weiter auf dem Gaspedal

Wie deren massiv nach unten revidierten Wachstums- und Inflationserwartun- gen zeigen, ist der Corona-Schock tiefer und hartnäckiger als von der EZB bei der ursprünglichen Umsetzung des PEPP im März befürchtet. Der trübere Ma- kroausblick erhöht die Herausforderung sowohl für den geldpolitischen Kurs als auch für die reibungslose Transmission der Geldpolitik. Die EZB reagierte auf diese Herausforderung mit erheblichen Anpassungen des PEPP. Sie erhöhte das Volumen des PEPP-Portfolios von 750 Mrd. EUR auf 1,35 Mrd. EUR, ver- längerte die Mindestdauer der Nettokäufe um sechs Monate bis Mitte 2021 und kündigte die Reinvestitionen bis Ende 2022 an. Für den anschließenden Zeit- raum soll das Abbautempo des PEPP-Portfolios im Einklang mit dem "angemes- senen geldpolitischen Kurs" erfolgen. Letzteres impliziert, dass der geldpoliti- sche Kurs gegenüber den Anpassungen des PEPP-Portfolios an den Kapital- schlüssel Vorrang haben dürfte, und trägt zur positiven Einschätzung der Märkte in Bezug auf das Paket bei. Insgesamt übertrafen diese Maßnahmen die Markterwartungen und die finanziellen Bedingungen entspannten sich infolge- dessen. Darüber hinaus beurteilen wir die jüngste Pressekonferenz differenziert. Negativ zu vermerken ist, dass es immer noch keinen einheitlichen Rahmen gibt, um die unterschiedlichen Rollen des PEPP gegenüber dem PSPP zu erklä- ren - zum Beispiel, warum das mit mehrfacher Flexibilität ausgestattete PSPP nicht jenes ist, welches vom Kapitalschlüssel (PEPP) abweicht. Auf der positi- ven Seite unterstreicht das jüngste Maßnahmenpaket die Handlungsfähigkeit der EZB, sowohl was den Umfang angeht, als auch was die nötige Voraussicht im Handeln betrifft. Unserer Ansicht nach gibt es zudem konstruktive Signale, wie die EZB zur Lösung der Herausforderungen aus dem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts beitragen kann.

Marc Schattenberg (+49 69 910-31875, marc.schattenberg@db.com)

9 | 12. Juni 2020

Deutschland-Monitor

Deutschland-Monitor

In der Reihe "Deutschland-Monitor" greifen wir politische und strukturelle Themen mit großer Bedeutung für Deutschland auf. Darunter fallen die Kommentierung von Wahlen und politischen Weichenstellungen sowie Technologie- und Bran- chenthemen, aber auch makroökonomische Themen, die über konjunkturelle Fragestellungen - die im Ausblick Deutsch- land behandelt werden - hinausgehen.

Kontinentale und globale Wertschöpfungsketten:

Eine Bestandsaufnahme....................................................

8. Juni 2020

Unsere Publikationen finden Sie unentgeltlich auf

Bilaterale Exporte 2020:

Große Unterschiede je nach Bestimmungsmarkt ............ 25. Mai 2020

unserer Internetseite www.dbresearch.de

Dort können Sie sich auch als regelmäßiger

Deutscher Arbeitsmarkt in der Corona-Pandemie:

Empfänger unserer Publikationen per E-Mail ein-

tragen.

Der Lack ist (erst mal) ab..................................................

22. Mai 2020

Für die Print-Version wenden Sie sich bitte an:

Deutsche Industrie: Corona-Krise überdeckt

Deutsche Bank Research

strukturelle Standortprobleme ........................................

29.

April 2020

Marketing

60262 Frankfurt am Main

Hamburgs Wohnungsmarkt: Miet- und Preiswachstum

Fax: +49 69 910-31877

E-Mail: marketing.dbr@db.com

fallen, das Zyklusende ist nah .......................................

28.

April 2020

Ausblick auf den deutschen Immobilienmarkt 2020

22.

April 2020

Schneller via E-Mail:

Deutscher Immobilienmarkt in Zeiten der Corona-Krise ...

1.

April 2020

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Deutsche Bank AG veröffentlichte diesen Inhalt am 12 Juni 2020 und ist allein verantwortlich für die darin enthaltenen Informationen.
Unverändert und nicht überarbeitet weiter verbreitet am 12 Juni 2020 09:22:02 UTC.

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