FRANKFURT (dpa-AFX) - Im Bieterrennen um die Borsa Italiana kam die Deutsche Börse kürzlich nicht zum Zug. Abgesehen davon lief es für den Marktplatzbetreiber zuletzt rund. Der Dax-Konzern profitierte im ersten Halbjahr unter anderem vom hohen Handelsvolumen infolge der Coronavirus-Pandemie. Unter der Führung von Unternehmenschef Theodor Weimer, der jetzt seit fast drei Jahren am Ruder ist, ist die Deutsche Börse zu einem der am stärksten gefragten Dax-Titel geworden. Was beim Marktplatzbetreiber los ist, wie Analysten die weiteren Perspektiven einschätzen und wie sich die Aktie entwickelt hat.

DAS IST LOS BEI DER DEUTSCHEN BÖRSE:

Obwohl die Frankfurter ihren Hut in den Ring geworfen und sich zusammen mit der Schweizer Börse Six und dem europäischen Börsenbetreiber Euronext ein Bieterrennen um die Borsa Italiana geliefert hatten, gingen sie leer aus. Stattdessen entschied sich die London Stock Exchange (LSE), exklusive Gespräche mit der Mehrländerbörse Euronext über einen möglichen Verkauf ihrer italienischen Tochter zu führen. Sie soll nun wie erwartet an die Euronext gehen. Zumindest dann, wenn die EU den Verkauf zur Auflage für die geplante Übernahme des Finanzdatenanbieters Refinitiv macht. Der Kaufpreis für die italienische Börse liegt laut LSE-Angaben bei etwas mehr als 4,3 Milliarden Euro in bar.

Marktbeobachter hatten mit Blick auf den Deal ohnehin nicht ernsthaft damit gerechnet, dass die Deutsche Börse den Zuschlag erhalten würde oder überhaupt ernsthaft zuschlagen wolle. Zwar hatte Konzernchef Weimer einerseits immer wieder betont, dass Größe wichtig für Infrastruktur-Dienstleister sei. Andererseits hatte der frühere HVB-Chef oft wiederholt, dass er den Erlös vor allem aus eigener Kraft steigern will und dabei selektive Zukäufe anpeilt. Erwartungen an große Übernahmen oder Fusionen bremste er. Zumal bisher alle Versuche eines großen Zusammenschlusses wie etwa mit der Londoner Börse scheiterten. Die Notwendigkeit, die Richtung fundamental zu ändern oder das Ruder herumzureißen, gibt es laut Weimer aber ohnehin nicht.

Ungeachtet dessen baute die Deutsche Börse ihr Geschäft mit einem kleineren Deal erst kürzlich wieder aus, als der Konzern sich im September die Mehrheit an Quantitative Brokers sicherte. Das New Yorker Unternehmen ist laut Angaben des Marktplatzbetreibers ein unabhängiger Anbieter von Handelsalgorithmen und datenbasierter Analyse für globale Futures-, Options- und Zinsmärkte. Einen Kaufpreis für die Mehrheit an dem Fintech nannte die Deutsche Börse zwar nicht, Angaben zum Umsatz gab es aber. Quantitative Brokers werde im laufenden Jahr voraussichtlich 25 Millionen Dollar - also nicht mal einen Prozent der Konzernerlöse der Deutschen Börse - umsetzen.

Früheren Angaben zufolge will Weimer vor allem das Geschäft außerhalb des Aktiensegments wie etwa den Devisenhandel ausbauen, um die Abhängigkeit von den Schwankungen im Aktiengeschäft zu verringern. Hier hätte die Borsa Italiana zwar auch einige Segmente gehabt - allerdings gemessen am Gesamtpaket nur vergleichsweise kleine. In den vergangenen Jahren hat die Deutsche Börse ihr Geschäft außerhalb der Aktienmärkte ohnehin deutlich breiter aufgestellt. Das meiste Geld verdient sie mit Derivaten, also der Absicherung von Risiken, sowie mit der Abwicklung und Verwahrung von Wertpapieren.

Aber nicht nur mit der Derivatebörse Eurex, an der sich Investoren gegen Kursschwankungen an den Finanzmärkten weltweit absichern können, sondern auch in anderen Sparten wie etwa dem Segment Xetra, in dem unter anderem der Aktienhandel läuft, konnte die Deutsche Börse zuletzt zulegen. Allerdings ließ die Wachstumsdynamik konzernweit im zweiten Jahresviertel nach, auch wenn der Marktplatzbetreiber weiterhin vom regen Handel an den Finanzmärkten und der gestiegenen Unsicherheit durch die Corona-Krise profitierte und sowohl die Nettoerlöse als auch der operative Gewinn erneut zulegten. Während etliche Branchen und Unternehmen massiv unter den Folgen der Pandemie leiden, war der Konzern davon bislang nicht betroffen.

Für das laufende Jahr peilt das Frankfurter Unternehmen weiterhin eine Steigerung des um Sondereffekte bereinigten operativen Gewinns um acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 1,2 Milliarden Euro an. Die Erlöse sollen strukturell - also ohne Sondereffekte wie günstige Marktbedingungen oder Übernahmen - um fünf Prozent wachsen. Gespannt blicken Anleger nun auf den Investorentag, der wegen der Pandemie auf den 18. November verschobenen wurde. Auf dem will Konzernchef Weimer bekanntgeben, wie er sich die mittelfristige Zukunft des Unternehmens vorstellt. Dabei könnte er sich auch zu möglichen Übernahmeplänen äußern.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Seit der Vorlage der Zahlen für das zweite Quartal Ende Juli haben sich 12 der im dpa-AFX-Analyser erfassten Experten näher mit der Deutschen Börse befasst. Zwar überwiegt nach wie vor die Zuversicht, dass das Papier noch Aufwärtspotenzial hat. Doch gibt es mittlerweile auch einige Skeptiker, die davon ausgehen, dass das Kursniveau seinen Zenit erreicht hat. Insgesamt sprechen sich vier Analysten für den Kauf der Papiere aus, während gleich sieben zum Halten raten. Mit Andreas Pläsier vom Analysehaus Warburg Research votiert ein Experte für der Verkauf der Titel.

Er begründet seine Entscheidung damit, dass die Papiere des Börsenbetreibers anspruchsvoll bewertet seien und verweist außerdem darauf, dass das berichtete Ergebnis des zweiten Quartals wegen deutlich höherer Sondereffekte schwächer sei. Ähnlich sieht es auch Michael Seufert von der NordLB. Nach einem sehr dynamischen Start in das Geschäftsjahr 2020 ist das zweite Vierteljahr des Börsenbetreibers seiner Einschätzung nach vergleichsweise schwach gewesen. In Summe sei das erste Halbjahr aber dennoch gut verlaufen.

Während DZ-Bank-Experte Thorsten Wenzel der Deutschen Börse attestiert, im Kontext der Corona-Krise robust aufgestellt zu sein, geht Analystin Haley Tam von der Schweizer Bank Credit Suisse davon aus, dass sich die Handelsvolumina nach neuen Rekorden im ersten Halbjahr in der zweiten Jahreshälfte wieder normalisieren dürften. Sie glaubt daran, dass sich Chancen für die Deutsche Börse aus Zukäufen ergeben könnten.

Obwohl Martin Price vom Analysehaus Jefferies mit einem Kursziel von 167 Euro den vierthöchsten Wert auf dem Zettel hat und er sich in einer Studie von Mitte Oktober immer noch für den Kauf der Aktie ausspricht, erwartet er mit Blick auf die Leistungskennzahlen zum dritten Quartal schwächere Umsätze. Die Kostenkontrolle allerdings dürfte gut gewesen sein. Zum Kapitalmarkttag am 18. November dürften laut Price vor allem die Themen Übernahmen und Kapitalverwendung im Fokus stehen.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Aktie der Deutschen Börse bekam den Corona-Crash in diesem Frühjahr zu spüren - wenn auch nur kurzzeitig. Notierte das Papier am 19. Februar zwischenzeitlich noch bei fast 159 Euro, ging es im Anschluss binnen weniger Wochen im Sturzflug in den Keller. Am 17. März kostete ein Anteilsschein nur noch weniger als 105 Euro. Damit hatten die Titel innerhalb nur eines Monats rund ein Drittel an Wert eingebüßt.

Danach folgte aber eine rasante Erholung, der Kurs kannte über mehrere Monate hinweg nur noch eine Richtung - nämlich bergauf. Am 22. Juli waren die Anteilsscheine zwischenzeitlich auf 170,15 Euro und somit auf Rekordhoch geklettert. Damit hatten sie ihren Wert im Vergleich zum Corona-Crashtief um über 60 Prozent gesteigert. Ganz nebenbei übertraf die Deutsche Börse auch ihren Kursstand vor Beginn der Pandemie deutlich.

Zuletzt sackte der Kurs aber wieder deutlich ab und liegt mit knapp 134 Euro rund fünf Prozent unter dem Stand von Ende 2019. In den zurückliegenden Jahren ging es für den Börsenbetreiber am Kapitalmarkt aber fast nur nach oben. So stieg der Kurs seit dem Herbst 2010 um fast 160 Prozent und damit deutlich stärker als der Dax. Seit dem Amtsantritt Weimers Anfang 2018 beträgt das Kursplus trotz des jüngsten Rückschlags immer noch fast 40 Prozent - zum Vergleich: Der Dax gab seitdem rund sechs Prozent nach.

An der Börse kommt der Marktplatzbetreiber derzeit auf eine Marktkapitalisierung von rund 25 Milliarden Euro. Damit ist die Deutsche Börse mehr wert als die ebenfalls am Finanzplatz Frankfurt angesiedelte Deutsche Bank (rund 16,6 Milliarden Euro) und Commerzbank (rund 5,5 Milliarden Euro) zusammen. Im Vergleich zum Rivalen London Stock Exchange (umgerechnet rund 33 Milliarden Euro) fehlt allerdings noch ein gutes Stückchen./eas/zb/fba