BOCHUM (dpa-AFX) - Deutschlands größter Immobilienkonzern Vonovia profitiert schon seit längerem von einer starken Nachfrage nach Wohnraum in Ballungsgebieten. Zudem wächst das Unternehmen dank Zukäufen. Erst jüngst ist dem Dax-Konzern die Übernahme des zweitgrößten Wohnimmobilienkonzerns Deutsche Wohnen geglückt. Was bei Vonovia los ist, was die Analysten sagen und wie die Aktie zuletzt gelaufen ist.

LAGE DES UNTERNEHMENS:

Der Dax-Konzern wächst dank steigender Mieten in den Großstädten, Zukäufen und Neubauten kräftig. Seit längerem legt der Wohnimmobilien-Konzern auch durch Übernahmen im In- und Ausland zu. Vonovia ist mit rund 354 000 Wohnungen der größte Vermieter in Deutschland. Damit hat der Konzern nach eigenen Angaben hierzulande einen Marktanteil von 1,5 Prozent. Weitere etwa 60 000 Wohnungen besitzt das Unternehmen in Schweden und Österreich. Im Sommer 2020 war der Konzern beim niederländischen Immobilieninvestor Vesteda eingestiegen. Erst jüngst war dem Bochumer Konzern die mehrheitliche Übernahme von Deutschlands zweitgrößtem Vermieter geglückt. Vonovia hält nun 87,6 Prozent an Deutsche Wohnen.

Vonovia-Chef Rolf Buch war zuvor zwei Mal an der Übernahme von Deutsche Wohnen gescheitert. Schon 2016 hatte er einen ersten Versuch unternommen, damals gegen den Willen des Deutsche-Wohnen-Managements und ohne Erfolg. Beim zweiten Anlauf in diesem Jahr konnte er Vorstand und Aufsichtsrat des Berliner Unternehmens an Bord holen, aber nicht alle an der Deutsche Wohnen beteiligten Aktionäre. Sie boten zu wenige Aktien an.

Für den dritten Versuch erhöhte Vonovia das Angebot um einen Euro auf 53 Euro je Aktie. Deutsche Wohnen wird damit mit gut 19 Milliarden Euro bewertet. Weil Buch auch mehrere Bedingungen für das Angebot fallen ließ, hatte es zuletzt auch keine Zweifel gegeben, dass die Übernahme diesmal gelingen würde. Der Hedgefonds Davidson Kempner, der mit einem Antrag auf eine einstweilige Verfügung die Übernahme noch stoppen wollte, musste klein beigeben.

Umstritten ist der Deal vor allem in Berlin, wo Deutsche Wohnen rund 114 000 Wohnungen gehören. Um Kritiker zu besänftigen, hatte Buch unter anderem eine Begrenzung der regulären Mietsteigerungen in Berlin bis zum Jahr 2026 angekündigt. Außerdem haben Deutsche Wohnen und Vonovia in Berlin 14 750 Wohnungen für fast 2,5 Milliarden Euro an drei landeseigene Gesellschaften verkauft. In Berlin war am 27. September ein Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne erfolgreich.

Zudem prüft Vonovia einen Einstieg bei dem erst jüngst in schwieriges Fahrwasser geratenen Branchenrivalen Adler Group. Der Bochumer Konzern hat sich in einer Vereinbarung mit dem Adler-Großaktionär Aggregate Holdings das Recht gesichert, einen Anteil von 13,3 Prozent an Adler zu erwerben. Zieht Vonovia die Kaufoption über 14 Euro je Anteilschein, würde sich der Anteil von Aggregate an Adler damit halbieren. Zudem hat Vonovia zusammen mit involvierten Banken an Aggregate Holdings einen Kredit im niedrigen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich zu marktüblichen Konditionen gewährt.

Insidern zufolge hatte Vonovia bereits Ende vergangenen Jahres informell bei großen Anteilseignern vorgefühlt, inwiefern Transaktionen mit Adler-Anteilen möglich seien. Der Vorstoß sei aber schnell auf dem Abstellgleis gelandet, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen. Grund sei, dass Aggregate von den gebotenen rund 28 Euro je Aktie nicht angetan gewesen sei.

Derweil laufen die Geschäfte für Deutschlands größten Immobilienkonzern besser als erwartet. Deshalb erhöhte der Marktführer bei Vorlage der Zahlen für das erste Halbjahr die Ergebnisprognosen für das laufende Jahr. Das operative Ergebnis (FFO) soll 2021 jetzt auf 1,465 bis 1,515 Milliarden Euro steigen. Im vergangenen Jahr legte der operative Gewinn im Jahresvergleich um elf Prozent auf 1,35 Milliarden Euro zu.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Von den vom Unternehmen erfassten 18 Experten empfiehlt mit 12 Branchenkennern die Mehrheit die Aktie zum Kauf. Während sich fünf Experten für das Halten des Papiers aussprechen, gibt es ein Verkaufsvotum. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei rund 62,70 Euro - aktuell kostet das Papier rund 54 Euro.

Der Immobilienkonzern hat laut Analyst Sander Bunck von der britischen Bank Barclays im ersten Halbjahr weitgehend wie von ihm erwartet abgeschnitten. Analyst Charles Boissier von der schweizerischen Großbank UBS und Analyst Wan Zhang von der schweizerischen Bank Credit Suisse sprachen von einer soliden Geschäftsentwicklung in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres.

Analyst Kai Klose von der Privatbank Berenberg zufolge könnte der mögliche Kauf eines Anteils an Adler Group ein lukratives Investment für den Immobilienkonzern werden. Mit der Sicherung der Kaufoption habe Vonovia zwar keine zukünftigen Entscheidungen vorweggenommen, aber das gegebene Darlehen gebe dem Unternehmen nun die Möglichkeit, das Portfolio von Adler zu bewerten.

Neben dem Wachstum der Wohneinheiten sind laut Analyst Simon Stippig von der Investmentbank Warburg die Megatrends Urbanisierung, Klima und demografischer Wandel grundlegende Trends, die das Geschäftsmodell von Vonovia unterstützten und das organische Wachstum vorantreiben würden. Die Immobilien des Unternehmens befänden sich in wachsenden städtischen Gebieten, in denen die Nachfrage nach Wohnraum hoch sei und hoch bleiben werde.

Nach Einschätzung von Analyst Michael Seufert von NordLB profitieren Immobilienaktien vom Anlagenotstand der Investoren und bieten eine vergleichsweise attraktive Dividendenrendite. Viele Unternehmen könnten sich sehr günstig refinanzieren. Zudem führe eine starke Nachfrage nach Immobilien zu steigenden Preisen und Mieten. Allerdings seien die mittelfristigen Auswirkungen der Corona-Krise noch ungewiss. Zudem nannte der Fachmann eine Überhitzung des Immobilienmarktes und eine strengere Regulierung von Wohnimmobilien als mögliche Gefahren.

Nach der Bundestagswahl könne ein Linksbündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei ausgeschlossen werden, was aus Sicht der Wohnimmobilienkonzerne und deren Aktionäre der "Worst-Case" gewesen wäre, so Analyst Karsten Oblinger von der DZ Bank. Die Berliner hätten im Volksentscheid zwar für die "Enteignung" der Immobilienkonzerne votiert. Hieraus entstehe allerdings kein "Enteignungsautomatismus", wenngleich die Politik das Signal nicht vollständig ignorieren könne. Analyst Julian Livingston-Booth von der kanadischen Bank RBC sieht den Entscheid selbst zwar gelassen. Die damit verbundene Unsicherheit sei jedoch groß und dürfte einige Zeit andauern.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Vonovia-Anteile gehören in diesem Jahr zu den Verlierern im Dax. Seit ihrem Hoch von fast 61 Euro im August verlor das Papier bis dato rund zwölf Prozent. Seit Jahresbeginn steht ein Minus von rund zehn Prozent zu Buche. Im vergangenen Jahr gewann das Papier des Immobilienkonzerns hingegen rund ein Viertel.

Seit dem Index-Aufstieg der Aktie im September 2015 hat der Kurs um mehr als 50 Prozent zugelegt - und auch in diesem Zeitraum gab es kaum Dax-Titel, die mehr gewonnen haben. Mit einem Börsenwert von inzwischen rund 31 Milliarden Euro liegt Vonovia in dieser Wertung inzwischen im Index-Mittelfeld.

Vonovia ist aus Deutsche Annington hervorgegangen, die 2000 einen Großteil der vom Bund verkauften Eisenbahnerwohnungen gekauft hatte. Bis zum Börsengang hatte die Firma Finanzinvestoren gehört. Der Start am Kapitalmarkt war holprig - der Börsengang gelang erst im zweiten Anlauf. Die Investoren, allen voran die britische Gesellschaft Terra Firma, mussten sich mit deutlich weniger zufrieden geben als erhofft.

Doch die Übernahmestrategie des Unternehmenslenkers Buch sowie der Immobilienboom in Deutschland bescherten den Anteilseignern bald kräftige Gewinne. Vom Ausgabepreis in Höhe von 16,50 Euro ging es Stück für Stück nach oben. Inzwischen haben sich die Alteigentümer ganz von Vonovia verabschiedet./mne/men/he