Von Georgi Kantschev

MOSKAU (Dow Jones)--Russlands Finanzsystem steht zum Wochenbeginn schwer unter Beschuss. Doch das Land pumpt und exportiert nach wie vor riesige Mengen Erdöl und Erdgas in den Rest der Welt, um den westlichen Sanktionen zu trotzen und ein finanzielles Polster für Präsident Wladimir Putin zu schaffen. Im Mittelpunkt stehen dabei zwei auch in Westeuropa börsennotierte Energieriesen.

Der Gasexporteur Gazprom und der Ölgigant Rosneft finanzieren einen großen Teil des russischen Staates und gehören zu den größten Arbeitgebern des Landes. Beide Unternehmen sind nicht von größeren westlichen Sanktionen betroffen, was ein Zeichen für ihre Bedeutung auf den globalen Energiemärkten ist.

Rosneft ist nach eigenen Angaben größter Steuerzahler Russlands und steuert ein Fünftel der Haushaltseinnahmen bei. Gazprom zahlte nach Angaben des Unternehmens 2020 rund 2,3 Billionen russische Rubel oder umgerechnet rund 24 Milliarden Euro an den russischen Haushalt. Das entspricht etwa 6 Prozent der Haushaltseinnahmen, basierend auf Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF).


   Aktien von Rosneft und Gazprom mit hohen Kursverlusten 

Die Unternehmen sind nicht nur wirtschaftlich wichtig. In den vergangenen Monaten hat Putin Gazprom, den größten Erdgasexporteur für den europäischen Markt, als geopolitisches Instrument eingesetzt, indem er die Lieferungen an den Kontinent drosselte, so europäische Offizielle und Analysten. Dies verschärfte ein bereits wachsendes Gasdefizit und führte zu einem starken Preisanstieg. Russland hat stets bestritten, Energie als Waffe einzusetzen.

Die Aktien der beiden Unternehmen stürzten zum Wochenauftakt ab. Sie leiden inmitten eines breiteren russischen Marktrutsches, die die in den vergangenen Tagen gegen Moskau verhängten westlichen Sanktionen auslösten. Zudem ging der Rubel auf Tauchkurs und die russische Zentralbank erhöhte den Leitzins drastisch. Die in London notierten Aktien von Gazprom rauschten um 55 Prozent nach unten und die von Rosneft um mehr als 40 Prozent.


   BP muss bei Rosneft aussteigen 

BP will sich derweil auf Druck der britischen Regierung von ihrer fast 20-prozentigen Beteiligung an Rosneft trennen. Die Downing Street ging hart mit den Verbindungen von Rosneft zum Kreml ins Gericht und beschuldigt den Konzern, den Vormarsch in die Ukraine zu unterstützen.

In Europa "befinden wir uns im Krieg, und wir müssen diese Unternehmen als verlängerten Arm des russischen Staates betrachten", so Professor Thierry Bros von der Sciences Po Paris. "Das System wird alles einsetzen, was es hat." Gazprom und Rosneft reagierten nicht auf Bitten um Stellungnahme.

Eine Unterbrechung der russischen Energieverkäufe hätte weitreichende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, angefangen bei den europäischen Unternehmen und Verbrauchern bis hin zu den Kunden an den Zapfsäulen in den USA. Die EU bezieht rund 40 Prozent ihrer Gasimporte und mehr als ein Viertel ihres Öls aus Russland.


   Gazprom und Rosneft mischen in der Geopolitik mit 

Beide Unternehmen haben stets bestritten, eine politische Agenda zu betreiben, und darauf beharrt, dass sie legitime Geschäftsinteressen verfolgen. Doch in den vergangenen Jahren kamen europäische Spitzenbeamte und Außenpolitikexperten zunehmend zum Schluss, dass insbesondere Gazprom als außenpolitisches Instrument für die russische Regierung agiert.

Nach Ansicht von Analysten hat Gazprom jahrelang die Förderung seiner eigenen Geschäftsinteressen mit der Tätigkeit als Agent des Kremls vermischt. Die russische Regierung und von ihr kontrollierte Unternehmen besitzen mehr als 50 Prozent der Anteile an dem Unternehmen.

Gazprom wurde 1989 gegründet, als das Ministerium für Gasindustrie der Sowjetunion in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, wobei die meisten seiner Vermögenswerte erhalten blieben. Als Konzernchef agiert Alexej Miller, ein enger Verbündeter Putins. Als er 2018 persönlich von US-Sanktionen betroffen war, zuckte Miller mit den Schultern: "Endlich bin ich einbezogen worden. Wir machen also alles richtig."


   Als die Gaslieferungen unterbrochen wurden 

In den Jahren 2006 und 2009 unterbrach Gazprom die Gaslieferungen an die Ukraine, was zu Engpässen in ganz Europa führte. Osteuropäische Spitzenbeamte monieren, dass Gazprom seine Dominanz auf den lokalen Märkten ausgenutzt habe, um hohe Preise festzulegen. Die Verhandlungen fanden oft in der Silvesternacht statt, als Gazprom damit drohte, die Lieferungen während der kältesten Tage des Winters einzustellen, so die Beamten weiter. Gazprom hat die Festsetzung unfairer Preise bestritten.

Im vergangenen Jahr behaupteten europäische Offizielle, Gazprom verkaufe absichtlich kein zusätzliches Gas auf dem kurzfristigen Spotmarkt. In dieser Zeit schnellten die Gaspreise in Europa wegen niedriger Lagerbestände und eines Nachfrageschubs infolge der wirtschaftlichen Erholung von der Pandemie in die Höhe. Europäische Parlamentarier forderten eine Untersuchung darüber, ob dies einer Marktmanipulation gleichkommt.

Gazprom betreibt auch Nord Stream 2, das inzwischen eingefrorene Pipelineprojekt nach Deutschland, das es Russland ermöglicht hätte, das Transitsystem der Ukraine zu umgehen. Das Unternehmen und der Kreml haben behauptet, dass sie ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllt haben. Gazprom pocht darauf, dass es Europa weiterhin regelmäßig über Pipelines in der Ukraine beliefere.


   Gegenseitige Abhängigkeit von Abnehmern und Lieferanten 

Die Abhängigkeit Europas von russischem Öl und Gas spiegelt sich umgekehrt auch daran, wie angewiesen Russland auf diesen Kontinent als größtem Energiekunden ist. Gazprom hat jedoch in den vergangenen Jahren versucht, sich davon abzuwenden. Im Rahmen der Bemühungen des Kremls um engere Beziehungen zu China begann Gazprom 2019 mit der Lieferung von Erdgas nach China über die 55 Milliarden US-Dollar teure Pipeline Power of Siberia.

Im Falle von Rosneft hält ein russisches Staatsunternehmen mehr als 40 Prozent der Anteile. Rosneft wird von Igor Setschin geleitet, einem weiteren langjährigen Weggefährten von Putin. Nach der russischen Annexion der Krim 2014 verhängten die USA und die EU Sanktionen gegen Setschin. Dieser hat die Sanktionen gegen ihn zurückgewiesen. "Ich betrachte die jüngsten Schritte Washingtons als eine hohe Bewertung der Effektivität unserer Arbeit", tönte er 2014.

Moskau versucht seit langem, seine geopolitische Reichweite durch Rosneft zu vergrößern. Das Unternehmen ist in Länder wie den Irak, China, Kuba, Vietnam und Venezuela vorgedrungen. Die Trump-Administration setzte Rosneft-Tochtergesellschaften 2020 auf die schwarze Liste, da sie Venezuela angeblich beim Verkauf seines Öls unter Verletzung der US-Sanktionen geholfen haben. US-Beamte beschuldigten Rosneft, gefährliche Schiff-zu-Schiff-Transfers auf hoher See zu riskieren, um dieses Vorgehen zu verbergen, wobei die Lokalisierungs-Transponder ausgeschaltet würden, um einer Entlarvung zu entgehen.


   Rosneft und die US-Sanktionen gegen Venezuela 

Rosneft hat bestritten, die US-Sanktionen gegen Venezuela verletzt zu haben, obwohl es diese als rechtswidrig bezeichnete, und erklärte, schon lange vor Verhängung der Sanktionen in dem Land tätig gewesen zu sein. Später erklärte das russische Unternehmen, es werde alle Aktivitäten in Venezuela einstellen und die damit verbundenen Vermögenswerte verkaufen.

Gazprom und Rosneft stehen auch untereinander im Wettbewerb. Rosneft versucht seit langem, in den lukrativen europäischen Gasmarkt einzudringen, der bisher eine Domäne von Gazprom war. Im Dezember wies Putin die Regierung an, Vorschläge auszuarbeiten, die es Rosneft ermöglichen, Gas nach Europa zu exportieren.

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February 28, 2022 09:45 ET (14:45 GMT)