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STOCKHOLM (dpa-AFX) - Trotz globaler Corona-Krise und dem damit verbundenen Wirtschaftseinbruch haben die Länder der Erde im abgelaufenen Jahr erneut mehr Geld in ihre Militärapparate gesteckt. Wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri am Montag mitteilte, stiegen die weltweiten Militärausgaben im Jahr 2020 inflationsbereinigt um 2,6 Prozent auf schätzungsweise 1,981 Billionen Dollar (rund 1,65 Billionen Euro). Das sei ein Höchststand seit Beginn vergleichbarer Schätzungen im Jahr 1988. Deutschland legte dabei prozentual so stark zu wie kein anderer Top-10-Staat.

"Wir können mit einiger Sicherheit sagen, dass die Pandemie keinen signifikanten Einfluss auf die globalen Militärausgaben 2020 hatte", erklärte Sipri-Forscher Diego Lopes da Silva. Nun müsse sich zeigen, ob die Länder dieses Ausgabenniveau auch im zweiten Pandemiejahr aufrechterhalten würden. Seine Sipri-Kollegin Alexandra Marksteiner sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Es ist 2021, wir sind also nur ein Jahr vom Beginn der Pandemie entfernt. Es könnte eine Verzögerung geben, von der wir einfach noch nichts wissen."

Zudem wies Sipri darauf hin, dass die jährlich veröffentlichten Schätzungen diesmal coronabedingt mit einer größeren Unsicherheit behaftet seien als sonst. Den gesamten Einfluss der Pandemie werde man abschließend erst in einigen Jahren sehen.

Im Vorjahr hatten die Friedensforscher wegen der Corona-Krise damit gerechnet, dass 2019 vorerst ein Höchststand erreicht worden sei. Nun hieß es, tatsächlich hätten einige Länder wie Chile und Südkorea ihre für die Verteidigung vorgesehenen Mittel 2020 teilweise für die Reaktion auf die Pandemie verwendet, andere wie Brasilien und Russland hätten erheblich weniger als ursprünglich geplant ins Militär gesteckt. An einem weiteren globalen Ausgabenanstieg änderte all das jedoch nichts - und auch nicht am unangefochtenen Spitzenreiter, den USA.

Im letzten vollen Amtsjahr von Präsident Donald Trump steigerten die Vereinigten Staaten ihre Militärausgaben nochmals um 4,4 Prozent auf schätzungsweise 778 Milliarden Dollar. Auf sieben Jahre mit kontinuierlich sinkenden US-Ausgaben folgten somit drei Jahre mit Zuwächsen. Diese jüngsten Anstiege ließen sich vor allem auf starke Investitionen in militärische Forschung und Entwicklung sowie auf die Modernisierung des Atomwaffenarsenals zurückführen, sagte Marksteiner.

Damit waren die USA für satte 39 Prozent aller Militärausgaben weltweit verantwortlich. Zum Vergleich: Die US-Ausgaben entsprachen denen der zwölf darauffolgenden Staaten zusammen.

Auf die USA folgen die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Erde: Chinas Ausgaben wurden von Sipri nach dem 26. Jahresanstieg in Serie auf 252 Milliarden, die von Indien auf 72,9 Milliarden Dollar geschätzt. Dahinter landen Russland (61,7 Mrd. Dollar), Großbritannien (59,2 Mrd.) und Saudi-Arabien (57,5 Mrd.) - und dann kommt auch schon Deutschland, das knapp vor Frankreich auf Rang sieben liegt.

Angesichts von Nato- und US-Forderungen nach gesteigerten Verteidigungsausgaben legte die Bundesrepublik 2020 um 5,2 Prozent auf geschätzte 52,8 Milliarden Dollar zu - dem höchsten Niveau seit 1993. Damit sind diese Ausgaben seit 2011 um 28 Prozent gestiegen, im weltweiten Durchschnitt waren es in diesem Zeitraum 9,3 Prozent.

"Wir beobachten diesen Trend zunehmender Militärausgaben in Deutschland seit einigen Jahren", sagte Marksteiner. "Nach unseren Daten hat Deutschland nach 2014 wieder damit begonnen, seine Ausgaben zu erhöhen."

Die Friedensorganisationen IPB, IALANA und IPPNW halten das für einen politischen, sozialen, ökologischen, ökonomischen und ethischen Skandal. Sie plädierten für einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik. Das Gebot der Stunde laute Abrüsten statt Aufrüsten - gerade in der Pandemie.

Diese Auffassung vertritt auch Greenpeace. "Panzer und Raketen helfen nicht gegen die Bedrohung durch Pandemien", erklärte deren Abrüstungsexperte, Alexander Lurz. Die jüngsten Sipri-Zahlen zeigten, dass die Budgets für das Militär gegen ein Umdenken in Corona-Zeiten resistent seien.

Heike Hänsel, die stellvertretende Vorsitzende der Links-Fraktion im Bundestag, erklärte: "Wir brauchen eine Ausgabenoffensive bei Gesundheit und Bildung, und nicht beim Militär." SPD-Chef Norbert Walter-Borjans räumte ein: "Die Ausgaben und vor allem die Exporte von Rüstungsgütern machen uns Sorgen." Man könne die Rüstungsausgaben aber nicht an das Wirtschaftswachstum koppeln.

Das Nato-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das Militär aufzuwenden, verpasst Deutschland wie andere Staaten des Bündnisses weiter klar: Die Nato sah die Bundesrepublik 2020 bei 1,56 Prozent, Sipri nun bei 1,4 Prozent. Generell erreichen diesmal laut Sipri zwölf statt wie zuvor neun Nato-Staaten ihr Zwei-Prozent-Ziel - dies lasse sich aber vermutlich eher auf den coronabedingten wirtschaftlichen Abschwung als auf bewusste Entscheidungen zurückführen, beurteilte Lopes da Silva. Weltweit stieg der Anteil der Militärausgaben am BIP um 0,2 Prozentpunkte auf 2,4 Prozent.

Sipris jährlich veröffentlichter Bericht gilt als die umfassendste Datensammlung zu Militärausgaben weltweit. Das Institut in der schwedischen Hauptstadt stützt sich dabei auf offizielle Regierungsangaben zum Verteidigungsbudget sowie weitere Quellen und Statistiken - die Zahlen weichen deshalb traditionell von den Angaben der Nato und einzelner Länder ab./trs/DP/jha