Von Stephen Wilmot

LONDON (Dow Jones)--General Motors hat bei seiner mit Spannung erwarteten Investorenkonferenz ein äußerst ehrgeiziges Wachstumsszenario gezeichnet. Was Investoren jedoch wirklich von dem US-Autoriesen aus Detroit erwarten, sind Taten statt Worte.

Am Mittwoch startete GM seine erste große Kapitalmarktveranstaltung seit Beginn der Covid-19-Pandemie mit dem Versprechen, den Umsatz bis 2030 zu verdoppeln und dabei die Gewinnmargen auszubauen. Dies ist Kern des bisher kühnsten Versuchs von CEO Mary Barra, GM als wachstumsorientiertes Tech-Unternehmen zu positionieren und nicht länger als reinen Pkw-Hersteller. In dem Maße, wie Autos zum ultimativen mobilen Gerät werden, möchte Barra aus GM den Apple-Konzern der Automobilbranche machen. Der Konzern soll sich zu einem "Plattform-Erneurer" mausern, der zum Ende der laufenden Dekade mit "neuen Geschäften" mehr als 80 Milliarden US-Dollar umsetzt.


 Dienstleistungen sollen groß rauskommen 

Die Zukunftsvision selbst kam nicht sonderlich überraschend - Ford, Volkswagen und der Mehrmarken-Autokonzern Stellantis mit der US-Tochter Chrysler - haben jeweils auf vergleichbaren Investorentagen in diesem Jahr neue geschäftliche Optionen in den Vordergrund gestellt. Aber die Zielzahlen von GM bergen Sprengstoff in sich. Der Konzern hat in den vergangenen fünf Jahren im Durchschnitt 138 Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr gemacht. Auf dieser Basis erwartet GM ein jährliches Wachstum von etwa 5 Prozent im traditionellen Geschäft mit dem Verkauf und der Finanzierung von Pkw, Elektroautos inklusive. Darüber hinaus setzt man auf exponentielles Wachstum bei einer Reihe von Mobilitätsdienstleistungen, die heute meist noch in den Kinderschuhen stecken.

Der bei weitem ausgereifteste Dienst ist Onstar, den GM in 25 Jahren als Mobilfunk-unterstützten Pannendienst aufgebaut hat. Auf ihn entfällt wahrscheinlich der größte Teil der renditeträchtigen Einnahmen von 2 Milliarden Dollar, die das Unternehmen nach eigenen Angaben heute mit Services im Abonnement erzielt. Da sich fahrzeugseitige Internetverbindungen und Betriebssysteme ähnlich wie die Smartphone-Industrie und ihre Dienste entwickeln, rechnet GM mit einem raschen Anstieg dieser Art von Umsatz, auf 20 bis 25 Milliarden Dollar im Jahr 2030.


 GM-Tochter feilt an fahrerloser Technologie 

Die eigentlich sehr optimistische Prognose wirkt allerdings fast zaghaft, vergleicht man sie mit den Erwartungen, die GM an Cruise hat, das in San Francisco ansässige und 2016 übernommene Unternehmen für autonomes Fahren. Dan Ammann, ein ehemaliger Investmentbanker, der Cruise seit 2019 leitet und immerhin Honda, Softbank, Microsoft sowie Walmart als Minderheitsgesellschafter gewinnen konnte, peilt 50 Milliarden Dollar Umsatz bis zum Ende des Jahrzehnts an. Noch arbeitet das Unternehmen an der Perfektionierung der bekanntermaßen schwierigen Technologie, mit deren Hilfe sicheres Fahren im Robotaxis möglich wird. Nach 2023, so schätzt Ammann, wird man damit aber durchstarten können.

Es ist diese Art Zukunftsvision, die Tesla unter seinen Anhängern fast schon Kultstatus und an der Börse eine überdurchschnittliche Bewertung eingebracht hat. Und genau das ist der Punkt: Die Investorenveranstaltung von General Motors war gespickt mit indirekten Hinweisen darauf, dass hier der Marktführer und Pionier für Elektroautos herausgefordert werden soll.


 Wachstumshoffnungen noch nicht in GM-Aktie eingepreist 

Man wird Barra nicht vorwerfen können, dass sie versucht, ihrem Unternehmen soviel Aufmerksamkeit wie möglich zu verschaffen - angesichts der massiven technischen Veränderungen und Umwälzungen, die sich in der Fahrzeugbranche gerade vollziehen. Aber es ist einfach, den Sprung von der Gegenwart zur der Zukunft zu beschreiben, für die das Unternehmen von Elon Musk steht. Denn während Tesla dank seiner sehr beliebten Elektroautos bereits schnell wächst, ist GM in den vergangenen Jahren eher geschrumpft, weil man sich in Detroit strategiebedingt mehr auf die Gewinne als auf die Umsätze konzentrierte.

Zudem mussten im Sommer alle bisher ausgelieferten batterieelektrischen Chevrolet Bolt wegen Brandgefahr zurückgerufen werden. Mehr denn große Versprechungen über eine noch ferne Zukunft braucht General Motors nun seine neuen Vorzeigeautos. Dazu zählt etwa der Elektro-Geländewagen Cadillac Lyriq, der im nächsten Jahr auf den Markt kommen soll und das Zeug dazu hat, die Autofahrer auf der Straße wieder zu begeistern. Selbst über einen Verkauf des Modells in Europa wird nachgedacht.

Die gute Nachricht für Anleger ist unterdessen, dass keine der Wachstumshoffnungen, die Barra in den Raum gestellt hat, bisher im Kurs der GM-Aktie eingepreist sind. Zuletzt gab sie wie der Aktienmarkt insgesamt nach und wird wie bisher mit einem bescheidenen Kurs-Gewinn-Verhältnis von acht gehandelt. Wenn auch nur ein kleiner Teil der geschäftlichen Pläne aus Detroit in den kommenden Jahren Früchte trägt, könnten die Aktionäre hier einen Aufschwung erleben.

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October 07, 2021 10:50 ET (14:50 GMT)