BERLIN (awp international) - Der Kochboxenlieferant Hellofresh will ab dem kommenden Jahr deutlich mehr in Infrastruktur, Produktion und Automatisierung investieren. Die Ausgaben gehen aber zulasten des operativen Ergebnisses. An der Börse sorgten diese Aussichten für hohe Kursverluste, die Hellofresh-Aktie brach ein.

Der Vorstand will ab 2022 seine Investitionen mehr als verdoppeln und zwischen 450 und 550 Millionen Euro jährlich für den Ausbau von Infrastruktur und Produktentwicklung in die Hand nehmen, wie der Konzern am Mittwoch im Rahmen einer Investorenveranstaltung in Berlin mitteilte. Von der genannten Summe sollen rund 200 Millionen Euro in die Automatisierung von Prozessen fliessen. Der Vorstand verspricht sich von seinen Plänen Rückenwind, sein Mittelfristziel von 10 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2025 zu erreichen.

Die seit September im Dax notierte Aktie verlor am Mittwoch in den ersten Handelsminuten bis zu knapp zehn Prozent, am Nachmittag standen sie noch mit mehr als sieben Prozent im Minus. Das Tagestief von 77,40 Euro bedeutete das niedrigste Niveau seit etwas mehr als einem Monat. Aktionäre, die Hellofresh-Papiere seit Jahresbeginn im Portfolio halten, können sich hingegen über eine Wertsteigerung von rund einem Viertel freuen. Wer sich die Papiere zum Börsengang im November 2017 zum Ausgabepreis bei 10,25 Euro gesichert hat, der hat den Einstandswert seither fast verachtfacht.

Bereits am Vorabend hatte Hellofresh nach Börsenschluss überraschend Ziele für das kommende Jahr herausgegeben. 2022 dürfte demnach der operative Gewinn im besten Fall leicht steigen, allerdings ist auch ein Rückgang möglich. Das bereinigte operative Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Aebitda) soll im kommenden Jahr bei 500 bis 580 Millionen Euro liegen. Der Erlös soll währungsbereinigt verglichen mit dem Vorjahr um 20 bis 26 Prozent klettern. Während Experten beim operativen Ergebnis mit 647 Millionen Euro deutlich mehr auf dem Schirm hatten, rechneten sie mit einem geringeren Umsatzwachstum.

Im laufenden Jahr geht der Vorstand weiter von einem Umsatzwachstum von 57 bis 62 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert von 3,75 Milliarden Euro aus. Vorstandsmitglied Edward Boyes konkretisierte dieses Ziel auf dem Kapitalmarkttag und sagte, der Erlös für 2021 solle bei 6 Milliarden Euro liegen. Als absoluten Wert haben Experten derzeit einen 2021er-Umsatz von knapp 5,9 Milliarden Euro auf dem Zettel. Davon sollen der Prognose des Unternehmens zufolge zwischen 8,25 und 10,25 Prozent als bereinigtes operatives Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Aebitda) hängen bleiben. Gemessen am mittleren Wert der Spanne und des erwarteten Umsatzes würde das auf rund 550 Millionen Euro hinauslaufen.

Unterdessen verspricht das Unternehmen seinen Mitarbeitern "attraktive" Gehälter. Angesichts des weltweiten Kampfes um Fachkräfte muss Hellofresh diese auch bieten können, wenn der Konzern die bis Ende 2022 geplanten mehr als 1000 Stellen in seinem Tech-Team besetzen will. Die vergrösserte Einheit soll dann vom neuen Technologiechef Valeri Liborski geleitet werden, der zuvor in leitenden Positionen bei Amazon und Microsoft tätig war. Nach eigenen Angaben arbeiten derzeit rund 25 000 Menschen bei Hellofresh.

Der Konzern kündigte ferner für das kommende Jahr die Expansion in bis zu drei neue regionale Märkte an. Details nannte Hellofresh nicht. Zudem will Konzernchef Dominik Richter die bestehenden Marken in weiteren Ländern einführen. Während etwa EveryPlate vor allem preissensible Kunden ansprechen soll, nimmt GreenChef spezielle Ernährungsweisen und Diäten wie Keto und Paleo oder pflanzenbasierte Gerichte in den Fokus. Factor und Youfoodz wiederum haben verzehrfertige Mahlzeiten im Portfolio.

Nach Einschätzung von JPMorgan-Analyst Marcus Diebel dürfen die Markterwartungen für das Ergebnis je Aktie des Kochboxenversenders im kommenden Jahr nun um etwa 20 Prozent sinken. Der Experte kürzte aufgrund der zusätzlichen Investitionen seine Schätzungen für das bereinigte operative Ergebnis (Ebitda) im Jahr 2022 deutlich. Bernstein-Research-Experte William Woods bemängelte hingegen den Preis für die Hellofresh-Kochboxen: Fast 60 Prozent jener Menschen, die noch keine Box bestellt hätten, hielten diese für zu teuer./ngu/tav/mis