BERLIN (dpa-AFX) - Mit einer solch positiven Entwicklung hat der Vorstand des Kochboxen-Versenders Hellofresh Anfang 2020 nicht gerechnet. Innerhalb eines Jahres konnten die Berliner nicht nur ihre selbst gesetzten Ziele überbieten, sondern auch ihre Prognosen mehrfach anheben. Die gute Laune spiegelte sich zuletzt auch auf dem Kapitalmarkttag des Unternehmens wider. Die Mittelfristziele sind ambitioniert. Was bei Hellofresh los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI HELLOFRESH:

Was gibt es heute Abend zu essen? Auf diese Frage will Hellofresh neue Antworten liefern. Abendessen seien eine äußerst attraktive Möglichkeit, weil sie sich seit Jahrzehnten nicht weiterentwickelt haben, sagte Hellofresh-Gründer Dominik Richter vergangene Woche bei der Veranstaltung für Investoren und Analysten.

Das sei auch der Grund, warum sich der Fokus des MDax-Unternehmens auf das Segment Dinner richte. Denn der Vorstand geht derzeit davon aus, dass der Großteil des monatlichen Ernährungsbudgets der Haushalte fürs Essen in den Abendstunden draufgeht. Mittagessen, Snacks oder Frühstück spielten hingegen kaum eine Rolle.

Um sein selbstgestecktes Ziel für das Umsatzwachstum von mehr als 20 Prozent pro Jahr zu erreichen, will der Konzern seine bereits in den USA gestarteten Einzelmarken weltweit ausrollen. Neben der Hauptmarke Hellofresh verspricht EveryPlate preiswerte Gerichte, mit GreenChef liefert der Konzern eine Antwort auf spezielle Ernährungstrends wie glutenfreies oder veganes Essen. Vor allem von EveryPlate erwartet der Vorstand einiges. Mittelfristig soll die Marke für Haushalte mit niedrigem Einkommen auf Augenhöhe mit Hellofresh kommen. Der angekündigte Zukauf von Factor75 soll zudem das Portfolio um verzehrfertige Gerichte erweitern.

Die neuen Ziele sind auch ein Resultat der vergangenen Monate. In der Corona-Pandemie blieben die Menschen zu Hause, Restaurants mussten schließen, Reisen war kaum möglich. Höhere Ausgaben für das Essen zu Hause schlugen sich auch im Ergebnis des Kochboxen-Versenders nieder: Im dritten Quartal blieb unter dem Strich ein Gewinn von gut 74 Millionen Euro - mehr als dreimal so viel wie vor einem Jahr. "Hinzu kommt, dass sie aufgrund der aktuellen Lage weiterhin viel von zu Hause arbeiten und entsprechend mehr Mahlzeiten in ihren eigenen vier Wänden einnehmen werden", sagte Richter Anfang November.

Wegen der überdurchschnittlich hohen Nachfrage haben die Berliner ihre Ziele für 2020 gleich mehrfach angehoben. Inzwischen rechnet das Management im laufenden Geschäftsjahr mit einem währungsbereinigten Umsatzwachstum um 107 bis 112 Prozent nach zuvor 95 bis 105 Prozent. Dass der starke Euro rund vier Prozentpunkte Wachstum kosten wird, dürfte die Verdoppelung der Erlöse nicht mehr gefährden. 2019 war der Erlös des Konzerns um 41 Prozent auf 1,81 Milliarden Euro gestiegen.

Mittelfristig - also in den kommenden fünf bis sechs Jahren - will Hellofresh einen Umsatz von 10 Milliarden Euro erreichen. Davon soll künftig ein zweistelliger Prozentsatz als bereinigter Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen beim Unternehmen hängen bleiben.

Realitätsfremd gibt sich Hellofresh aber nicht. Mit Blick auf eine sich wieder normalisierende Welt könnte die Nachfrage wieder zurückgehen, etwa wenn Kunden wieder in den Urlaub fahren und ihre Kochbox-Abonnements vorübergehend aussetzen. So erwartet Finanzvorstand Christian Gärtner für 2021 inklusive der im November angekündigten Übernahme von Factor75 ein währungsbereinigtes Umsatzwachstum von nur noch 20 bis 25 Prozent im Vergleich zu 2020.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Auf die Präsentationen vom Kapitalmarkttag reagierten Analysten angetan und setzten ihre Kursziele für die Aktie weitestgehend nach oben. Die 14 seit November von der Nachrichtenagentur Bloomberg erfassten Analysten schreiben der Aktie im Schnitt ein Ziel von 65,70 Euro zu. Neun Experten raten zum Kauf, fünf empfehlen das Halten der Aktie.

Die Mittelfristziele des Kochboxen-Versenders seien überzeugend, schrieb Kepler-Cheuvreux-Analystin Fabienne Caron. Hellofresh fokussiere sich klar auf Wachstum. Sie hob ihre Empfehlung für die Aktie von "Hold" auf "Buy" an und setzte ihr Kursziel in einem Schritt von 47 Euro auf 96,40 Euro nach oben. Das ist das höchste Kursziel der erfassten Analysten.

Als einen Grund nannte sie unter anderem das Umsatzziel des Vorstands für die kommenden fünf bis sechs Jahre. Clement Genelot vom Investmenthaus Bryan Garnier begrüßte, dass Hellofresh seine Markenstärke zum Ausbau des Geschäfts in neuen Bereichen nutzen will.

DZ-Bank-Analyst Thomas Maul lenkte die Aufmerksamkeit auf die Corona-Pandemie. Solange das Infektionsgeschehen hoch bleibe, sei mit einer Fortsetzung der Sonderkonjunktur für den Kochboxen-Anbieter zu rechnen. Mittelfristig sollten eine stärkere Durchdringung der bestehenden Märkte, die Expansion in neue Regionen und Segmente sowie eine "bessere Monetarisierung der Kundenbasis" für Wachstumsimpulse sorgen.

Skeptischer zeigte sich JPMorgan-Analyst Marcus Diebel, der vor dem Kapitalmarkttag sogar noch zum Verkauf der Aktie geraten hatte. Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass der Kochboxen-Versender irgendwann unter einem deutlich nachlassenden Geschäft mit aktiven Kunden leiden könnte. Doch diese Annahme sei zu abhängig von einer grundlegenden Änderung des Verbraucherverhaltens und einem Ende der coronabedingten Lockdown-Maßnahmen.

DAS MACHT DIE AKTIE

Die Tendenz ist deutlich: Seit Mitte 2019 klettert der Kurs der Hellofresh-Aktie grundsätzlich nach oben. Verwunderlich ist das nicht, denn die Corona-Pandemie wirkte sich als starker Treiber aus. Nach dem Kurssturz im Zuge des Corona-Crashs an den Finanzmärkten bis auf 16,14 Euro Mitte März ging es für die Aktie bis Juli bis auf mehr als 50 Euro nach oben.

Danach pendelte sich das Wachstum ein, die Papiere verharrten zwischen 40 und 50 Euro. Erst die Präsentation auf dem Kapitalmarkttag vergangene Woche trieb den Kurs noch einmal deutlich an. An nur einem Tag verbuchte der Kurs ein Plus von 15 Prozent. Anfang dieser Woche erreichte die Hellofresh-Aktie bei 64,55 Euro ein Rekordhoch. Zuletzt lag der Kurs mit rund 60 Euro nur knapp darunter.

Seit dem Börsengang im Oktober 2017, als die Aktien zum Preis von 10,25 Euro je Stück ausgegeben worden waren, hat sich der Kurs inzwischen fast versechsfacht. Wer am Tiefpunkt der einzigen längeren Verlustphase Ende 2018 mutig zugegriffen hat, konnte seinen Einsatz mehr als verzehnfachen. Der Börsenwert von Hellofresh liegt inzwischen bei 10,5 Milliarden Euro.

Damit rangiert das noch immer sehr junge Unternehmen in der Top Ten der 60 Werte des MDax, in den die Aktie im März aufgestiegen ist. Inzwischen zählt das Unternehmen zu den Kandidaten, die im kommenden Jahr in den Dax aufsteigen könnten, wenn dieser im Herbst von 30 auf 40 Werte erweitert wird./ngu/stw/fba/zb