BERLIN (dpa-AFX) - Jeden Tag selbst kochen? Alternativ warmes Essen um die Ecke bestellen? Oder ein Mittelding aus beidem? Während Restaurants wegen der Corona-Krise geschlossen haben und Menschen verstärkt zu Hause sitzen, schlägt offenbar die Stunde des Kochboxen-Versenders Hellofresh. Umsatz und operativer Gewinn des Unternehmens gingen zuletzt durch die Decke. Was beim Unternehmen los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI HELLOFRESH:

Wen es nach Jahren des Kantinen-Essens derzeit ins Homeoffice mit möglicherweise angeschlossener Kinderbetreuung verschlagen hat, der steht schnell vor der Frage: Woher bekommen ich und meine Lieben regelmäßig vernünftiges Essen auf den Tisch? Schon lange vor der Krise hatte Hellofresh mit seinen Angeboten Kunden im Auge, die sich ausgewogen und abwechslungsreich ernähren wollen, denen es aber zu mühsam ist, jede Woche Rezepte zu suchen, Speisepläne zu erstellen, die Zutaten im Supermarkt zu besorgen und zu Hause zu etwas Leckerem zusammenzurühren.

Hellofresh bietet wechselnde Essensvorschläge samt Zutaten an, aus denen sich die Kunden Kochboxen für die Woche zusammenstellen können. Die Zutaten kommen gekühlt samt Rezepten im Abo per Paketdienst nach Hause. Wer mehr bestellt, bekommt die Portion günstiger. Kochen muss man selbst, aber die Menge der Zutaten passt zum Gericht, und binnen 30 Minuten soll das Essen fertig sein.

Seit Dominik Richter und Thomas Griesel ihre Geschäftsidee nach ersten Tests im Jahr 2011 Wirklichkeit werden ließen, hat das Berliner Unternehmen eine steile Wachstumskurve hingelegt. Mit Geld gefüttert vom Startup-Entwickler Rocket Internet, dehnte HelloFresh sein Geschäft von Deutschland aus ins Ausland aus. Inzwischen ist Hellofresh in zwölf Ländern vertreten, darunter sind neben Österreich und der Schweiz auch Australien und die USA. Im vierten Quartal 2019 zählte das Unternehmen fast drei Millionen aktive Kunden und lieferte fast 80 Millionen Mahlzeiten aus.

Bereits 2017 brachte Rocket Internet Hellofresh an die Börse. Im Mai 2019 stieg der Startup-Entwickler als Anteilseigner aus. Dem Aktienkurs von Hellofresh tat dies keinen Abbruch. Ausgerechnet in der Corona-Krise stieg das Unternehmen im März sogar aus dem Kleinwerte-Index SDax in den MDax der mittelgroßen deutschen Börsentitel auf - und überraschte wenige Tage später mit glänzenden Geschäftszahlen.

Nach vorläufigen Berechnungen dürfte der Umsatz im ersten Quartal demnach auf 685 bis 710 Millionen Euro gestiegen sein. Das wäre rund zwei Drittel mehr als ein Jahr zuvor und mehr als von Analysten im Schnitt erwartet. Der bereinigte Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (bereinigtes Ebitda) soll 55 bis 75 Millionen Euro erreicht haben - nach einem Verlust von 26 Millionen Euro im Vorjahresquartal.

Bisher wagte es das Management nicht, den jüngsten Boom auf das Gesamtjahr hochzurechnen. Man könne die durch die Pandemie hervorgerufenen Unsicherheiten und die Folgen für das Geschäft derzeit nicht beziffern, hieß es zur Begründung. Dennoch gehen Richter und Griesel weiterhin davon aus, den Umsatz 2020 währungsbereinigt um 22 bis 27 Prozent steigern zu können. Davon sollen 4,0 bis 5,5 Prozent als bereinigtes Ebitda übrig bleiben. Im ersten Quartal lief es schon einmal deutlich besser.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Anteile des Kochboxen-Herstellers sind einer der großen Gewinner am Aktienmarkt im Corona-Crash. Während der MDax im Zuge der seit Mitte Februar zur Pandemie ausgewachsenen Viruswelle rund ein Viertel unter seinem damaligen Rekordniveau liegt, ging es für Hellofresh um 37 Prozent nach oben. Noch stärker haben im MDax in diesem Zeitraum nur die Papiere von Teamviewer, einem Anbieter von Software zur Fernwartung von Computern und Videokonferenzen, zugelegt.

Zwar blieben auch sie zunächst nicht von dem ersten, extrem undifferenzierten Kursrutsch verschont. Vor einem Monat setzte sich jedoch die Erkenntnis durch, dass gerade Hellofresh vom staatlich verordneten Shutdown mit geschlossenen Restaurants profitiert. Zudem rückten die Papiere durch den Wechsel aus dem Nebenwerteindex SDax in den großen Bruder MDax ins Rampenlicht, was professionellen Investoren die Anlage erleichtert oder sogar erst ermöglicht hat.

Hellofresh ist allerdings keine neue Erfolgsstory, sondern macht auch den Anlegern der ersten Stunde viel Freude. So hat sich der Wert der Aktien, die im Oktober 2017 zum Preis von 10,25 Euro ausgegeben worden waren, inzwischen mehr als verdreifacht. Wer am Tiefpunkt der einzigen längeren Verlustphase im Dezember 2018 mutig zugegriffen hat, konnte seinen Einsatz gar mehr als verfünffachen. Der Börsenwert von Hellofresh liegt inzwischen bei fast 5,5 Milliarden Euro.

Damit ist das noch immer sehr junge Unternehmen an der Börse inzwischen deutlich mehr wert als der Traditionskonzern Lufthansa, der einer der größten Verlierer der Corona-Krise allgemein und am Aktienmarkt ist. Dessen Marktkapitalisierung sank in den vergangenen Wochen um fast 50 Prozent auf zuletzt noch noch 3,8 Milliarden Euro.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Die meisten Experten mögen die Hellofresh-Aktie, auch wenn ihre Kursziele von bis zu 36 Euro keine ganz spektakulären Kurssprünge mehr erwarten lassen. Eine längerfristig wichtige Frage ist, wie groß ihr Optimismus für die Nachhaltigkeit des momentanen Trends "Zuhause kochen" für die Zeit nach der Corona-Krise ist.

Robert Berg von der Berenberg Bank verweist aber auch generell auf den Onlinehandel mit Lebensmitteln, der mit einem Marktanteil von lediglich 2 Prozent am Multi-Milliarden-Kuchen noch in den Kinderschuhen stecke. Im gleichfalls erst heranwachsenden Kochboxen-Geschäft sei Hellofresh als einziger "Global Player" klarer Marktführer. Die Aktie ist für ihn daher ein Favorit unter den mittelgroßen Werten. Sein Kursziel von 30 Euro wurde im Zuge der starken Entwicklung allerdings schon überrannt.

Noch Spielraum gibt es zum Kursziel des Experten Christoph Bast vom Bankhaus Lampe, der es erst jüngst auf 34 Euro aufgestockt hatte. Hellofresh gelinge es im Moment ohne sonderliche Mühe, neue Kunden anzulocken. Nach starken Eckdaten für das erste Quartal geht Bast dank verlängerter Restaurantschließungen und wohl zumindest verschobener Reisepläne auch für das zweite Jahresviertel von guten Ergebnissen aus. Seine Jahresschätzungen hob er abermals an.

Selbst Mainfirst-Expertin Clara Kamenicek, die zuletzt mit ihrem "Hold"-Votum zurückhaltend eingestiegen war, sieht aktuell dank des starken Wachstums und zunehmender Profitabilität des Unternehmens kaum Rückschlagrisiken für die Aktie. Mehr Kopfzerbrechen bereitet ihr allerdings der Wettbewerb auf dem Online-Nahrungsmittelmarkt, der aus ihrer Sicht mittelfristig deutlich zunehmen dürfte.

Vor allem die Entwicklung in Schweden, wo Hellofresh seit Sommer vergangenen Jahres aktiv sind, gelte es im Auge zu behalten. Hier sei das Kochboxen-Geschäft nicht neu, und die Skandinavier wendeten sich inzwischen in Richtung von Online-Einzelhändlern ab./stw/ag/zb