Von Nathaniel Taplin und Mike Bird

NEW YORK/PEKING (Dow Jones)--Inszenierte Empörung kann eine mächtige politische Waffe sein. Aber sie gerät leicht außer Kontrolle - vor allem, wenn mächtige Social-Media-Accounts in einer Umgebung ohne alternative Perspektiven diese verstärkt. Das ist in etwa die Situation, mit der große globale Modemarken wie H&M jetzt in China, dem größten Verbrauchermarkt der Welt, konfrontiert sind. Der Grund dafür ist ihre Entscheidung, keine Baumwolle aus der Region Xinjiang zu verwenden, wo der Regierung schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, darunter Zwangsarbeit und groß angelegte Internierungen der türkischen Minderheit der Uiguren.

H&M und seine Geschäfte wurden mehr oder weniger von Online-Handels-Plattformen wie Taobao und sogar von chinesischen Online-Karten und Taxi-Diensten wie Baidu Maps und Didi Chuxing ausradiert. Die Liste der ausländischen Unternehmen ist lang, die von Peking ins Visier genommen werden, da sie gegen sich ständig ändernde nationalistische rote Linien verstoßen. Dazu zählen die National Basketball Association, die südkoreanische Einzelhandelsmarke Lotte, Fedex und die Hotelkette Marriott, um nur einige zu nennen. Aber die Zensur, die sich direkt gegen H&M richtet, ist nahezu beispiellos und sendet ein zutiefst beunruhigendes Signal an andere westliche Verbrauchermarken, die in China tätig sind.


 Kein einfacher Ausweg für westliche Konzerne 

Es gibt keinen einfachen Ausweg, insbesondere für diejenigen, die wie Nike ihre Unterstützung für soziale Bewegungen in den USA wie Black Lives Matter deutlich gemacht haben. Westliche Verbrauchermarken werden sich zunehmend einerseits zwischen Kunden zu Hause, die Situationen wie die in Xinjiang abscheulich finden, entscheiden müssen. Auf der anderen Seite stehen die chinesischen Verbraucher, die oft nicht das volle Ausmaß dessen erkennen, was ihre Regierung tut, und von Medien umgeben sind, die jede Kritik an Peking als heuchlerischen Versuch darstellen, das eigene Land klein zu halten.

Solange Chinas Medienlandschaft so streng kontrolliert wird wie heute und die Beziehungen zum Westen insgesamt angespannt bleiben, ist es schwer vorstellbar, dass sich die Situation verbessert. Das gilt insbesondere deshalb, da nicht alle Online-Kritik ursprünglich aus Peking selbst kommt. Manchmal sind es nur offizielle Accounts, die versuchen, den Rückstand in der Meinungsführerschaft aufzuholen, was ein Aufflackern schwer vorhersehbar macht und durch Verhandlungen hinter den Kulissen nicht so recht verhindert werden kann.


 H&M muss als Chinas Sündenbock für EU-Menschenrechtssanktionen büßen 

Im aktuellen Fall spielten Regierungsakteure wahrscheinlich eine wichtige Rolle beim Schüren des Feuers, wenn sie dies nicht sogar direkt entfachten. Die ursprüngliche Erklärung von H&M zu seiner Xinjiang-Politik, die unter anderem auf dem Mikroblog-Account der Jugendliga der Kommunistischen Partei präsentiert wurde, ist Monate alt. So kommt die Welle der Empörung Tage, nachdem die EU zum ersten Mal seit Tiananmen China wegen Menschenrechtsverletzungen sanktioniert hat. Die Tatsache, dass eine europäische Firma als erste herausgegriffen wurde, bevor sich die Empörung ausbreitete, scheint bedeutsam. Das Ziel könnte sein, so viel Schmerz zuzufügen, dass Europa es gar nicht erst wage, weitere Schritte in Abstimmung mit den USA zu unternehmen.

Antworten darauf zu finden, ist eine Herausforderung für US-Unternehmen und politische Entscheidungsträger. Eine Sache, die helfen könnte, wäre ein schnellerer Fortschritt beim Ansprechen der eigenen Makel der USA, einschließlich anhaltender Rassenungerechtigkeit, Hassverbrechen und Unterstützung für andere Regime mit schlechter Menschenrechtsbilanz.


 Eigene Reue könnte den USA gut anstehen 

Solche Schritte der eigenen Reue würden die USA und ihre Unternehmen weniger anfällig für den Vorwurf der Heuchelei machen. Sie können dann eher Missstände in China anprangern, obwohl sie das Problem von Chinas eng kontrollierter Medienlandschaft immer noch nicht lösen würden. China ausdrücklich Respekt auf anderen Politikfeldern wie dem Klimawandel zu zollen, könnte ebenfalls dazu beitragen, die Temperatur im geopolitischen Dampfkessel im Allgemeinen zu senken. Das ginge auch durchaus ohne Kompromisse bei den Menschenrechten. In der Zwischenzeit stehen westliche Marken, die sich nicht demselben Vorwurf der Heuchelei in ihren Heimatmärkten aussetzen wollen, vor einigen schwierigen Entscheidungen.

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March 26, 2021 11:27 ET (15:27 GMT)