(neu: Belgien (3. Absatz), Fernsehansprache Laschets (5. Absatz))

SCHULD/BAD REICHENHALL (dpa-AFX) - Nach den verheerenden Unwettern in Westdeutschland hat sich Kanzlerin Angela Merkel bei einem Besuch im Katastrophengebiet erschüttert gezeigt und schnelle Hilfen versprochen. Es herrsche eine "surreale, gespenstische Situation", sagte die CDU-Politikerin am Sonntag nach einem Rundgang durch die Eifelgemeinde Schuld, wo die Fluten Trümmerberge und zerstörte Häuser hinterließen. "Die deutsche Sprache kennt kaum ein Wort für die Verwüstungen, die hier angerichtet wurden." Anschließend besuchte sie mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) den nahe gelegenen Ort Adenau, der ebenfalls schwer getroffen wurde.

Die Zahl der bestätigten Todesopfer in Deutschland stieg am Wochenende auf fast 160. Während die Wassermassen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen vielerorts zurückgingen und Aufräumarbeiten laufen, verursachten heftige Regenfälle in Südostbayern, in der Sächsischen Schweiz und in Österreich weitere Überschwemmungen und Erdrutsche. Sie hatten zwar nicht die Ausmaße wie im Westen - doch war die Lage in Bayern am Sonntag weiterhin angespannt.

Im besonders betroffenen oberbayerischen Landkreis Berchtesgadener Land galt noch der Katastrophenfall. Zahlreiche Häuser wurden evakuiert. Nach Prognosen des Deutschen Wetterdienstes sollte es im Alpenraum bis in die Nacht zum Montag weiter regnen. Dadurch drohen laut Hochwasserdienst auch in anderen Regionen in Bayern Überschwemmungen, etwa in Passau. Extreme Sturzfluten in einigen Regionen schließen die Meteorologen nicht aus. Auch in Österreich blieb die Lage am Sonntag angespannt. Dort hatten Wassermassen am Samstagabend Teile der Altstadt von Hallein nahe Salzburg überflutet. In Belgien hat die Hochwasserkatastrophe mindestens 31 Menschen das Leben gekostet, wie das Nationale Krisenzentrum am Sonntag mitteilte.

In Rheinland-Pfalz machten sich Merkel und Dreyer vor Ort ein Bild der Lage und redeten mit Einsatzkräften und Anwohnern. Schuld im Ahrtal und auch das knapp zehn Kilometer entfernte Adenau waren von Wasser-, Schlamm- und Trümmermassen erfasst worden. Beim Rundgang in Schuld tröstete die Kanzlerin den weinenden Bürgermeister Helmut Lussi. Merkel sagte auf der Pressekonferenz, Deutschland sei ein starkes Land und könne sich kurz- und mittelfristige Hilfen leisten. "Wir stehen an Ihrer Seite." Zudem werde man das Klima stärker in den Blick nehmen. Sie verspricht: "Ich komm' im August noch mal wieder."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach am Samstag bei einem Besuch in Erftstadt bei Köln von Schäden, "die unsere Vorstellungskraft übersteigen". Er informierte sich zusammen mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) über die Lage. Auch Laschet versprach Direkthilfe. Das Geld solle "sehr unbürokratisch" ausgezahlt werden. In einer TV-Ansprache am Sonntag bezeichnete Laschet einen im Hochwasser ums Leben gekommenen Feuerwehrmann als Helden. Er stehe stellvertretend für die Tausenden, die Leib und Leben riskieren, sagte Laschet im WDR. Der Helfer war in Altena nach der Rettung eines Mannes ins Wasser gestürzt und ertrunken.

Die Hochwasserkatastrophe ist die schwerste in Deutschland seit Jahrzehnten. Im Kreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz, in dem auch Schuld und Adenau liegen, sind nach Polizeiangaben 110 Todesopfer zu beklagen, während die Zahl in NRW auf 46 stieg. Zudem kam mindestens ein Mensch in Oberbayern ums Leben.

Vor allem im Westen Deutschlands hatte es Mitte der Woche ungewöhnlich heftig geregnet. Zum Teil gab es innerhalb von 24 Stunden so viel Niederschlag wie sonst in ein oder zwei Monaten. Viele Häuser, Straßen und Brücken liegen in Trümmern. Auch der Bahnverkehr war vielerorts am Wochenende unterbrochen.

Nach wie vor gibt es Vermisste. So suchen in Erftstadt westlich von Köln zahlreiche Menschen nach ihren Angehörigen. Bisher wurden nach Angaben der Stadt bei der "Personenauskunftsstelle" 34 Menschen gemeldet, deren Aufenthaltsort ungewiss ist. Noch am Samstag lag die Zahl bei 59. Im Stadtteil Blessem, wo die Lage weiter angespannt war, wollten Fachleute die Stabilität des Untergrunds prüfen. Dort war durch die Fluten ein riesiger Krater entstanden. Mindestens drei Wohnhäuser und ein Teil einer Burg stürzten ein.

Einen Rückschlag gab es an der Steinbachtalsperre südwestlich von Bonn. Dort fließt das Wasser langsamer als erwartet ab. Erst am Montag wollen Fachleute entscheiden, wann die Menschen in den evakuierten Gebieten in ihre Häuser zurückkehren dürfen.

Nach Worten von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) geht es um Soforthilfen in dreistelliger Millionenhöhe. "Es braucht einen nationalen Kraftakt", sagte er der "Bild am Sonntag". Am Mittwoch will der Vizekanzler im Kabinett zwei Dinge behandeln: "Erstens eine Soforthilfe, bei der letzten Flut waren dafür deutlich mehr als 300 Millionen Euro nötig. Da wird jetzt sicher wieder so viel gebraucht." Zudem geht es nach seinen Worten um die Grundlage für ein Aufbauprogramm, um Häuser, Straßen und Brücken zügig zu reparieren. "Wie wir von der vorherigen Katastrophe wissen, geht es um Milliarden Euro." Merkel kündigte an, dass Geld über die Länder verteilt wird.

Im Hochwassergebiet im Berchtesgadener Land waren nach offiziellen Angaben rund 900 Hilfskräfte in den besonders betroffenen Orten im Einsatz. Heftige Regenfälle hatten am Samstagabend den Fluss Ache über die Ufer treten und Hänge abrutschen lassen. Zwei Menschen kamen ums Leben. Ein Opfer starb dem Landkreis zufolge an einer natürlichen Ursache. Aber auch das könne mit dem Unwetter zusammenhängen.

Betroffen waren vor allem die Orte Berchtesgaden, Bischofswiesen, Schönau am Königssee, Marktschellenberg und Ramsau. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sicherte den vom Hochwasser betroffenen Menschen Hilfe und Unterstützung zu. "Wir lassen da niemanden allein, ganz sicher nicht", sagte er bei einem Besuch mit Bundesfinanzminister Scholz in Schönau am Königssee. Unabhängig von in Aussicht gestellten Hilfen des Bundes werde man auch in Bayern überlegen, wie man helfen könne.

Immense Regenfälle verursachten am Samstag auch in Teilen Sachsens Überschwemmungen und Erdrutsche. Örtlich fielen innerhalb von 24 Stunden mehr als 100 Liter pro Quadratmeter. In der Sächsischen Schweiz waren mehrere Ortslagen von Städten und Gemeinden vorübergehend nicht erreichbar. Am Sonntag entspannte sich die Lage.

Papst Franziskus betete unterdessen für die Betroffenen des Hochwassers in mehreren Ländern. "Der Herr möge die Verstorbenen aufnehmen und die Familien trösten", sagte das katholische Kirchenoberhaupt vor Hunderten Gläubigen auf dem Petersplatz in Rom./fd/DP/he