Von Anna Hirtenstein und Benoit Faucon

NEW YORK (Dow Jones)--Die indische Regierung hat die staatlichen Ölgesellschaften aufgefordert, riesige Mengen billigen Rohöls aus Russland zu beziehen. Das berichten Branchenmanager. Damit stärkt Indien die Handelsbeziehungen mit Russland zu einer Zeit, da der Westen die Sanktionen gegen Moskau verschärft, um Russland darin zu behindern, seine enormen Öl- und Gasexporte zur Finanzierung des Krieges in der Ukraine zu nutzen. So könnte Indien als wichtiger Abnehmer von russischem Öl den internationalen Sanktionen ihren Stachel nehmen. Auch andere Länder, darunter China und die Türkei, haben ihre Käufe von russischem Öl aufgestockt, obwohl die russischen Ölexporte unter dem Vorkriegsniveau liegen.

Indische Ölmanager sagen, dass sie in den vergangenen Wochen von Regierungsvertretern stark ermutigt wurden, Wege zu finden, weiter russisches Öl zu kaufen und vom Preisnachlass zu profitieren. Die staatseigene Indian Oil Corp. verhandelt nach Angaben eines Managers mit dem russischen Energieriesen Rosneft über weitere Lieferverträge. Ein indischer Regierungsbeamter sagte, die Regierung weise Unternehmen nicht an, russisches Öl zu kaufen. Auch stehe russisches Rohöl nicht unter internationalen Sanktionen, viele andere Länder kauften weiterhin. "Wir mischen uns nicht ein und geben den Unternehmen keine Anweisungen für ihre Handelsgeschäfte. Unsere Aufgabe ist es, eine Politik zu formulieren und nicht, den Unternehmen vorzuschreiben, was sie kaufen sollen und was nicht."


   Indiens gestiegene Nachfrage hat in Russland Schlüsselrolle 

Die Nachfrage aus Indien wird eine Schlüsselrolle spielen, wenn es darum geht, den Rückgang der Nachfrage aus Europa zu kompensieren, das sich verpflichtet hat, seine Einfuhren von russischem Öl bis Ende des Jahres zusammenzustreichen. Indien hat seine Einfuhren von russischem Öl seit Beginn des Krieges um mehr als das 25-fache gesteigert und kaufte im Juni durchschnittlich 1 Million Barrel pro Tag, verglichen mit 30.000 im Februar, so die Daten von Kpler. Dies entspricht nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) mehr als einem Viertel der europäischen Einfuhren von russischem Rohöl und Rohölprodukten.


   Niedriger Ölpreis von makroökonomischem Nutzen 

Die Entscheidung Indiens ist eine kommerzielle Entscheidung. Nach dem Einmarsch in der Ukraine stürzte der Preis für russisches Rohöl ab, und die beliebte Sorte Ural fiel bis auf 37 US-Dollar unter die Brent-Benchmark. In den vergangenen Tagen stieg er wieder an, und der Abschlag betrug zuletzt knapp 34 Dollar, was Analysten zufolge auf eine Erholung der Nachfrage hindeutet.

Für Indien ist es von großem makroökonomischem Nutzen, wenn es Öl zu einem niedrigeren Preis erhält. Das Land produziert nicht genug eigene Energie, um die Binnennachfrage zu decken. Wie ein Großteil der Welt kämpft es damit, dass die steigenden Kraftstoffpreise nicht zu einer galoppierenden Inflation führen. Die hohen Ölpreise haben in der Vergangenheit zu einem starken Verfall der indischen Währung geführt, da sie das Leistungsbilanzdefizit des Landes vergrößerten. Und die indische Regierung hat im Russland-Ukraine-Konflikt eine neutrale Position eingenommen. Diese Politik erinnert an Indiens Haltung gegenüber dem Iran. Wegen einer von den USA gewährten Ausnahmeregelung bezieht Indien weiterhin Rohöl aus dem mit Sanktionen belegten Land. "Wir schicken keine Leute los, die sagen: Kauft russisches Öl. Wir schicken Leute los, die sagen, kauft Öl", sagte jüngst der indische Außenminister S. Jaishankar. "Kaufen Sie das beste Öl, das auf dem Markt erhältlich ist. Ich glaube nicht, dass ich dem eine politische Botschaft beimessen würde."


   USA beknien Indien 

Der Energieberater der Regierung von US-Präsident Joe Biden, Amos Hochstein, sagte Anfang des Monats, er habe Indien dringend gebeten, nicht vom Ukraine-Krieg zu profitieren, der die Energiepreise weltweit in die Höhe getrieben hat. "Ich sagte: Gehen Sie nicht zu weit. Lassen Sie es nicht so aussehen, als würden Sie aus dem Schmerz, den die europäischen Haushalte und die Vereinigten Staaten verspüren, einen Vorteil ziehen."


   Indische Unternehmen finden Wege zu russischem Öl 

Doch indische Unternehmen finden Wege, damit trotz der jüngsten Sanktionen aus Europa russisches Öl weiter fließt. Die EU hat ein Versicherungsverbot für Schiffe mit russischem Öl angekündigt, das im Dezember in Kraft treten wird. Nach einer Analyse des in Helsinki ansässigen Centre for Research on Energy and Clean Air gehören etwa 80 Prozent der Schiffe, die das Rohöl zu indischen Häfen transportieren, EU-Reedern. Doch vier Ladungen, die im Juli ausgeliefert werden sollen, wurden mit indischen Versicherern und einem Makler aus Hongkong rückversichert, so ein Branchenmanager.

Nach Angaben von Rohstoffhändlern und eines mit den Plänen der indischen Regierung vertrauten Ölmanagers laufen in Indien auch Gespräche über eine längerfristige, staatlich unterstützte Versicherungslösung. Eine Idee, die diskutiert wird, ist, dass die indische Regierung eine Versicherung garantiert, damit russisches Rohöl weiter fließen kann. Rosneft wiederum macht sein Öl Käufern gegenüber schmackhaft, indem der Konzern Händlern erlaubt, für sein Rohöl Monate nach der Lieferung ohne ein Akkreditiv einer Bank zu zahlen - ein Zeichen der Verzweiflung, um seine Öleinnahmen am Laufen zu halten. Der Konzern hat auch versucht, bei Versicherungslösungen zu helfen und die russische Versicherung Ingosstrakh ins Spiel für mögliche Deckungen gebracht. Sprecher von Rosneft reagierten nicht auf Bitten um Stellungnahme. Ein Sprecher von Ingosstrakh sagte, alle Policen des Unternehmens seien auf ihre Übereinstimmung mit russischen und internationalen Gesetzen geprüft worden. Das staatliche Unternehmen Indian Oil hat dem Manager zufolge Rosnefts Angebot abgelehnt, da ein Großaktionär des russischen Versicherers Oleg Deripaska ist, ein Oligarch, der von den USA, Großbritannien und der EU mit Sanktionen belegt ist.


   Herkunft von Rohöl wird häufig kaschiert 

Die Händler geben sich große Mühe, die Herkunft des aus russischen Häfen kommenden Rohöls zu verschleiern. Dazu wird der Weg zu den Raffinerien in Indien absichtlich kaschiert, um Kontrollen, höhere Transportkosten und Probleme bei der Versicherung der Ladungen zu vermeiden, so Verlader.

Anfang Juni traf die Elandra Denali in Ostindien ein, um russisches Rohöl in der Raffinerie Visakhapatnam zu entladen, die im Besitz einer Sparte der staatlichen Oil and Natural Gas Co. ist. Der Tanker brachte die Ladung jedoch nicht aus Russland - sein vorerst letzter Anlegehafen lag vor drei Monaten in Südkorea. Dies geht aus den Aufzeichnungen der Schifffahrtswebsite MarineTraffic, den Angaben der Schiffsbetreiber gegenüber dem Tankerverband Intertanko und den an den Transfers beteiligten Besatzungen hervor. Stattdessen hatte die Elandra Denali eine Mischung von Ladungen von drei Tankerne erhalten, während sie sich auf dem Meer vor der Küste von Gibraltar befand. Die liefernden Schiffe kamen getrennt aus russischen Häfen im Schwarzen Meer und in der Ostsee. Eine Sprecherin der Vitol-Gruppe, zu deren Reederei Mansel Pte die Elandra Denali gehört, lehnte es ab, die Ladung des Schiffes zu kommentieren. Sie sagte, Vitol werde keine neuen Geschäfte mit russischem Öl abschließen und beabsichtige, die bestehenden vertraglichen Verpflichtungen bis Ende 2022 zu erfüllen.

"Die Verfolgung von Öltransporten kann manchmal sehr schwierig sein, und es kann unklar sein, wem eine Ladung gehört", meint Marcus Baker vom Versicherungsmakler Marsh. "Es ist durchaus möglich, dass ein europäisches Unternehmen eine Ladung versehentlich versichert."

(Mitarbeit: Rajesh Roy und Shan Li)

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June 22, 2022 05:29 ET (09:29 GMT)