Frankfurt (Reuters) - Vor dem Hintergrund der Chipkrise in der Autoindustrie setzt der Technologiekonzern Bosch mit der Eröffnung einer Chipfabrik in Dresden ein Zeichen für den Industriestandort Europa.

Europas Wirtschaft habe bei der Mikroelektronik großes Innovationspotenzial, müsse zur Konkurrenz in Asien und den USA aber aufschließen, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel beim digitalen Festakt zum Start der Fabrik am Montag. "Wir sind nicht in der Pole Position, wir müssen aufholen." Mit mehr Kompetenzen in der Schlüsseltechnologie gelt es, auf weniger Abhängigkeit hinzuarbeiten, damit krisenfester zu werden und Arbeitsplätze zu schaffen. Eine solche Fabrik mit hochmoderner Halbleitertechnik helfe, "die Wettbewerbsfähigkeit Europas als Wiege für Spitzeninnovation zu stärken", erklärte auch die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Margrethe Vestager.

"Mit dieser neuen Fabrik zeigt Bosch wieder einmal: Deutschland kann Hightech", sagte Bosch-Chef Volkmar Denner. Die Produktion der Halbleiter für Bosch-Elektrowerkzeuge und Automobilteile werde mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz auf ein neues Niveau gehoben. Die Produktion werde im Juli und damit ein halbes Jahr früher als geplant starten.

Der seit Anfang des Jahres herrschende Mangel an Speicherchips in der Autoindustrie führte Europas große Abhängigkeit von den Chip-Massenproduzenten in Asien vor Augen. Dies werde die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise erschweren, sagte die Bundeskanzlerin. Die Bosch-Fabrik wurde auch dank staatlicher Fördergelder im Rahmen eines EU-Forschungsprogramms für strategisch wichtige Technologien auf die Beine gestellt. Fast zwei Milliarden Euro öffentlicher Gelder mobilisierten Vestager zufolge rund sieben Milliarden Euro private Investitionen. Die EU hatte im Dezember ein zweites IPCEI-Programm für Mikroelektronik angekündigt. Ziel ist es, bis 2030 den Anteil Europas an der Chipproduktion weltweit auf 20 Prozent zu verdoppeln. Der Plan sei "haushaltsmäßig nicht ganz einfach zu realisieren", ergänzte Merkel.

WACHSTUMSFELD HALBLEITER

Das Beispiel Bosch verdeutlicht, dass sich der akute Engpass wegen langer Vorlaufzeiten für den Bau von Fabriken und auch in der Produktion ohnehin nicht über Nacht lösen lässt. Der Stuttgarter Stiftungskonzern hatte das Projekt - mit Kosten von einer Milliarde Euro plus rund 200 Millionen Euro öffentlicher Fördermittel die größte Investition der Firmengeschichte - schon vor vier Jahren beschlossen. Im Juli soll die Produktion von Chips für Elektrowerkzeuge starten, im September dann solche für die Autoindustrie. Allerdings handelt es sich um andere als die Standardchips, die zurzeit Mangelware sind. Dennoch schaffe auch das Entlastung, erklärte Bosch-Geschäftsführer Harald Kröger[L5N2NP2GS]. Die Autoindustrie könne noch bis zum kommenden Jahr mit Produktionsausfällen zu kämpfen haben. Nach der Krise müsste die Branche ihre Einkaufspolitik ändern und künftig bei den Halbleiterherstellern verbindlich bestellen statt nur ihren Bedarf anzukündigen und kurzfristig zu ändern, forderte Kröger.

Die Milliardeninvestition wird sich nach Einschätzung des Stiftungskonzerns lohnen, denn Halbleiter seien vor allem im Automobilbau ein Wachstumsfeld. Der weltweit größte Autozulieferer ist nach eigenen Angaben der einzige, der seit 1970 schon selbst Halbleiter produziert, und zwar bislang in einem Werk in Deutschland. In diesem Feld ist Bosch nach Daten der Experten von Strategy Analytics der sechstgrößte Anbieter, der deutsche Konkurrent Infineon mit 13 Prozent Marktanteil vor NXP aus den Niederlanden die Nummer eins. In zwei Jahren etwa werde Mikroelektronik im Wert von 600 Euro in einem Fahrzeug stecken, fünf Mal so viel wie vor 25 Jahren, schätzt Bosch. Die stärksten Zuwächse seien bei Systemen der Fahrerassistenz, des Infotainments und des elektrischen Antriebs zu erwarten.

Der Standort Dresden geht mit 250 Mitarbeitern an den Start - Fernziel sind 700 Beschäftigte. Wie schnell die Kapazität so hoch gefahren wird, dass die Fabrik voll ausgelastet wird, wollte Denner in einem Pressegespräch nicht sagen. Boschs Fabrikpläne hätten andere Technologiekonzerne wie Vodafone oder Jenoptik animiert, am Standort Dresden zu expandieren, erklärte Frank Bösenberg, Chef des Branchenverbandes Silicon Saxony.