FRANKFURT (awp international) - Der Börsenbetreiber Euronext hat einem Bericht zufolge erwartungsgemäss zusammen mit seinen italienischen Partnern den Kampf um die Borsa Italiana gewonnen. Der bisherige Eigentümer London Stock Exchange (LSE) verkaufe die Mailänder Börse an eine aus Euronext, der staatlichen italienischen Förderbank Cassa Depositi e Prestiti (CDP) und der Bank Intesa Sanpaolo bestehende Gruppe, berichtete die "Börsen-Zeitung" (Donnerstagausgabe) unter Berufung auf Mailänder Finanzkreise. Der Kaufpreis solle bei 3,75 Milliarden Euro liegen. Die offizielle Mitteilung dürfte wohl am Freitag erfolgen.

Am Donnerstag berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg, dass die Transaktion kurz vor dem Abschluss steht. Das Volumen wurde in dem Bericht auf 4,5 Milliarden Euro - allerdings inklusive Schulden - beziffert. Der Verkauf an die Euronext und die italienischen Banken wäre keine Überraschung. Schliesslich hatte die LSE vor einigen Wochen mitgeteilt, exklusiv mit der Euronext und ihren Partnern zu verhandeln. Die Londoner müssen das Geschäft in Italien wohl wegen der geplanten Übernahme des Finanzdatenanbieter Refinitiv für 27 Milliarden Dollar ganz oder teilweise verkaufen.

Noch ist allerdings nicht ganz raus, ob sich die LSE ganz von der im Jahr 2007 für 1,6 Milliarden Euro übernommenen Mailänder Börse trennen muss. Die Europäische Kommission will dies in den kommenden Wochen entscheiden und Mitte Dezember mitteilen, ob und unter welchen Auflagen die Londoner Börse Refinitiv übernehmen darf. Nach Informationen der "BöZ" stehe der Verkauf der Borsa Italiana vermutlich unter Vorbehalt der Entscheidung der europäischen Wettbewerbshüter. "Sollten deren Auflagen geringer sein, verkauft die LSE die Borsa Italiana womöglich nicht oder nur Teile davon, etwa die Anleihenplattform MTS."

Mit im Rennen war neben der Euronext vor allem die schweizerische Börse Six, aber auch die Deutsche Börse hatte ihren Hut in den Ring geworfen. Die meisten Analysten hatten allerdings ohnehin nicht damit gerechnet, dass der deutsche Börsenbetreiber zum Zug kommt beziehungsweise überhaupt ernsthaft zuschlagen will. Deutsche-Börse-Chef Theodor Weimer setzt schliesslich vor allem auf kleinere Zukäufe und das am besten ausserhalb des klassischen Aktiengeschäfts. Hier hätte die Borsa Italiana zwar auch einige Segmente gehabt - allerdings gemessen am Gesamtpaket nur vergleichsweise kleine.

Die Euronext wollte die Informationen der "BöZ" und von Bloomberg über einen baldigen Abschluss nicht kommentieren. Früheren Angaben zufolge will sie den Zukauf durch einen Mix aus Bargeld, neuen Schulden und über eine Kapitalerhöhung finanzieren. Da Italien nach einer möglichen Übernahme der wichtigste Einzelmarkt der Euronext werden würde, sollen die italienischen Partner viel Macht bei der Mehrländerbörse bekommen. So soll neben der CDP auch die Intesa Sanpaolo künftig dauerhaft Anteilseigner bei der Euronext werden und ein CDP-Vertreter einen Platz im Verwaltungsrat bekommen.

Zudem soll der Vorstandschef der Borsa Italiana einen Platz im Euronext-Verwaltungsrat erhalten. Ausserdem soll das Gremium künftig von einem Italiener geleitet werden. Die London Stock Exchange hatte Ende Juli angekündigt, dass im Zusammenhang mit der Prüfung der milliardenschweren Refinitiv-Übernahme durch die Europäische Kommission Gespräche über den Verkauf der Plattform MTS oder des italienischen Börsenbetreibers im Ganzen begonnen wurden. Dies müsse aber nicht heissen, dass es auch zu einer Transaktion komme, hatte es damals geheissen.

Die Borsa Italiana mit der zu ihr gehörenden Plattform für den Handel von Staatsanleihen MTS wird in Italien als strategisch wichtiges Unternehmen angesehen. Die italienische Regierung arbeitet Industriekreisen zufolge deshalb seit Monaten daran, den Besitz der Borsa Italiana wieder - zumindest teilweise - in staatliche Hände zu bringen. Die Regierung trieb daher den Deal mit dem mehrheitlich staatlichen italienischen Kreditinstitut Cassa Depositi e Prestiti, der Bank Intesa Sanpaolo und der Euronext voran.

Die Euronext, an deren Übernahme Mitte vergangenen Jahrzehnts auch mal die Deutsche Börse interessiert war, würde durch den Zukauf der dominante Anbieter im europäischen Aktienhandel. Rund ein Viertel des europäischen Aktienhandels würde dann in Händen des in Amsterdam beheimateten Unternehmens liegen. Das Unternehmen war vor 20 Jahren durch die Fusion der Börsen in Amsterdam, Brüssel und Paris entstanden, danach kamen noch die Aktienmärkte in Dublin und Lissabon dazu.

Vergleichsweise wenig Geschäft machen die Niederländer allerdings ausserhalb der Aktienmärkte. So ist der Bereich nach wie vor der grösste Umsatzbringer der Euronext - anders als zum Beispiel bei der Deutschen Börse, die ihre Geschäfte in den vergangenen Jahren deutlich breiter aufgestellt hat. Das meiste Geld verdient sie mit Derivaten, also der Absicherung von Risiken, beziehungsweise der Abwicklung und Verwahrung von Wertpapieren.

Da die Margen im Aktiengeschäft in den vergangenen Jahren immer stärker gesunken sind, spiegelt sich das auch in der Bewertung der Börsenbetreiber selbst wider. Während die Marktkapitalisierung der Deutschen Börse derzeit bei rund 28 Milliarden Euro liegt, ist die Euronext an der Börse gerade mal rund sieben Milliarden Euro wert. Zum Vergleich: 2006 hatte die Deutsche Börse knapp neun Milliarden Euro für die Euronext geboten und kam selbst gerade auf einen Börsenwert von rund zwölf Milliarden Euro./zb/ag/mis