NÜRNBERG (dpa-AFX) - Der Kabelspezialist und Autozulieferer Leoni geht durch eine schwere Krise. Just als die seit Jahren gut laufenden Automärkte ins Minus drehen, verstrickt sich das im SDax notierte Unternehmen auch noch in hausgemachten Problemen. Was beim Konzern los ist, was Experten sagen und wie die Aktie gelaufen ist.

DAS IST LOS IM UNTERNEHMEN:

Es gibt kaum Autohersteller und Zulieferer, die in der Branchenflaute ihre Anleger in den vergangenen zwölf Monaten nicht mit Gewinnwarnungen enttäuscht haben. Insofern ist Leoni mit Problemen in der Branche derzeit nicht allein. Der Markt in der Europäischen Union erholt sich wenn überhaupt dann nur langsam von den Wirrungen um den neuen Abgas- und Verbrauchstest WLTP. Und im wichtigsten Einzelmarkt der Hersteller in China geizen die Autokäufer aus Unsicherheit über den Zollstreit Pekings mit den USA seit fast einem Jahr bei teuren Anschaffungen.

Doch bei Leoni schlagen erneut hausgemachte Probleme zu Buche - wie schon so oft in den Jahren zuvor. Die lukrativere Bordnetzsparte, die vorwiegend für die Autoindustrie fertigt und die eigentlich stark wachsen sollte, liefert insgesamt nur unzureichende Ergebnisse ab - vor allem macht auch die Verlässlichkeit der internen Meldesysteme Sorgen. Die Auftragsflut konnte mit den vorhandenen Kapazitäten nur schlecht bewältigt werden, zudem werfen zu viele Aufträge kaum Gewinn ab. Ein unwillkommenes Deja Vu bei den Franken, denn das Problem lähmte den Konzern schon vor einigen Jahren einmal.

Der Produktionsanlauf im neuen Werk im mexikanischen Merida funktionierte zudem nicht wie geplant. Weltweit mussten Mitarbeiter aus dem Konzern nach Mexiko abgeordnet werden, um die Produktion ans Laufen zu bringen. Zusammen mit teuren Sonderfrachten und externen Beratern kostet die Malaise den Konzern Dutzende Millionen Euro. Darüber hinaus mussten zuletzt Aufträge und Vermögenswerte deutlich im Wert abgeschrieben werden. Im ersten Quartal rutschte das Unternehmen wegen Sonderkosten in Höhe von 139 Millionen Euro tief in die roten Zahlen.

Der Niederländer Aldo Kamper führt den Konzern seit September und hat nun gleich eine Herkulesaufgabe vor sich. Die Probleme im Tagesgeschäft sind nur die eine Seite, denn auch die Strukturen und das Berichtswesen muss er umkrempeln. Kamper hat ein neues Strategieprogramm auf den Weg gebracht, das Leoni bis 2022 wieder in die Erfolgsspur bringen soll. Dabei soll es "keine heiligen Kühe" geben.

Die Kostenbasis wollen die Franken bis dahin um 500 Millionen Euro senken. Zudem stellen sie Geschäfte mit einem Umsatz von einer halben Milliarde auf den Prüfstand, also rund ein Zehntel des Konzerns. Insgesamt sollen 2000 Stellen wegfallen, davon 500 in Hochlohnländern wie Deutschland. Leoni beschäftigt mehr als 90 000 Mitarbeiter weltweit. Der Umbau soll insgesamt 120 Millionen Euro kosten, davon ist noch nichts verbucht. Um der Gefahr klammer Kassen zu begegnen, will Leoni alle Refinanzierungsoptionen prüfen.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Vor allem die Finanzlage macht Experten Sorgen. Die Verschuldung sei beunruhigend, schrieb Analyst Christian Ludwig vom Bankhaus Lampe. Deshalb habe er Zweifel, dass die vom Autozulieferer eingeleiteten Schritte ausreichten, um die Trendwende im angegebenen Zeitraum zu schaffen. Eine Kapitalerhöhung mit massiven Verwässerungsverlusten könnte die Konsequenz sein.

Leoni sei in der denkbar schlechtesten Verfassung, um mit einer möglichen Rezession umzugehen, schrieb Ludwig. "Unserer Ansicht nach fehlen interne Kontrollstrukturen und das Management hat keinen Überblick über das Geschäft", urteilte er. "Wenigstens hat das Führungsteam zugegeben, dass die Probleme hausgemacht sind und nicht schwache Märkte als Entschuldigung vorgegeben."

Mit seiner Kritik ist Ludwig nicht alleine. Die Entwicklung der freien Finanzmittel sei mit dem Abfluss von 313 Millionen Euro im ersten Quartal alarmierend, schrieb Analyst Christian Glowa von Hauck & Aufhäuser. Das Unternehmen habe mit noch höheren als zuletzt in Aussicht gestellten Kosten nach wie vor keinen richtigen Zugriff auf die eigenen Geschäfte erkennen lassen.

DAMIT RECHNET DER KONZERN:

Derzeit ist sich der Konzern über die weitere Lage und die Verlässlichkeit der eigenen Prognosen so unsicher, dass er sich öffentlich lieber gar nichts vornimmt. Eine konkrete Prognose für 2019 scheut Kamper weiter, die Mittelfristziele wurden im Februar gestrichen.

Immerhin sieht die Konzernführung den Jahresauftakt als Talsohle, in den kommenden Quartalen soll es beim Ergebnis und bei der Entwicklung der Finanzmittel wieder besser aussehen. Aber besser ist relativ. Die Umbaukosten werden noch anfallen, zudem schlagen die Probleme in Mexiko auch im zweiten Quartal noch einmal mit voraussichtlich 20 Millionen Euro zu Buche.

Unter den aktuellen elf Einschätzungen der im dpa-AFX-Analyser erfassten Analysten befindet sich kein einziges Kaufvotum mehr. Dagegen raten sechs Experten zum Halten der Aktie, fünf zum Verkauf. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei weniger als 16 Euro.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Auf Sicht von zwölf Monaten hat das Papier drei Viertel seines Wertes verloren. Allein 2019 ist es mehr als die Hälfte. Leoni ist damit der mit Abstand schwächste Wert im Kleinwerteindex SDax. Mit aktuell rund 14 Euro ist die Aktie so billig wie seit Anfang 2010 nicht mehr, das Rekordhoch von Januar 2018 bei 66,20 Euro ist in weite Ferne gerückt. Beim Börsenwert liegt das Unternehmen im SDax in der Schlussgruppe./men/nas/jha/