"Es wird eine deutliche Zunahme von Insolvenzen geben", sagte Insolvenzverwalter Lucas Flöther vor dem Münchner Club Wirtschaftspresse. "Diese Bugwelle baut sich gerade auf." Die Bundesregierung hatte die Pflicht, binnen drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Insolvenz anzumelden, bis Ende September ausgesetzt. Flöther, der derzeit unter anderem den Ferienflieger Condor als Sachwalter begleitet, warnte kriselnde Unternehmen aber, sich deshalb zurückzulehnen. "Das war nur eine Beruhigungspille."

Zurzeit gehe es nur um die Sicherung der Liquidität, sagte Jörn Kowalewski von der Anwaltskanzlei Latham & Watkins. "Wir springen bei allen Maßnahmen viel zu kurz." Die echten Probleme würden durch Staatskredite nicht gelöst, sagte der Anwalt, der unter anderem die Sanierung des Autozulieferers Leoni begleitet. Eine höhere Verschuldung verschärfe die Probleme eher noch. Flöther betonte, Unternehmen, die kaum eine Chance sähen, bis Herbst wieder liquide zu werden, kämen um einen Insolvenzantrag auch jetzt nicht herum. Deshalb sei nicht damit zu rechnen, dass die Welle erst im Oktober überschwappe.

Betroffen seien vor allem die Touristik- und Reisebranche sowie Fluggesellschaften, sagte Flöther. Dort gehe es gar nicht mehr darum, irgendwann den Zustand vor der Coronakrise wieder zu erreichen, sondern ums nackte Überleben. "Es wird sowieso nicht mehr so sein, dass man für 23 Euro nach Mallorca fliegt. Und für ein Zwei-Stunden-Meeting fliegt keiner mehr von Berlin nach Frankfurt." Aber auch Hotellerie, Gastronomie, Messebetreiber und Autozulieferer stünden im Fokus. Restrukturierungsexperte Ralf Moldenhauer von der Unternehmensberatung BCG sieht in der Krise zugleich die Chance, nötige Einschnitte anzugehen, die in den vergangenen zehn Jahren nicht möglich gewesen seien. Unter dem Eindruck der Krise seien Betriebsräte und Gewerkschaften zu Zugeständnissen eher bereit.

"STAATSKREDITE FÜR ANGESCHLAGENE FIRMEN GEFÄHRLICH"

Die Kredite und Garantien der Staatsbank KfW, mit denen der Staat Unternehmen helfen will, die Coronakrise zu überbrücken, hält Flöther für ohnehin angeschlagene Firmen für gefährlich. Sie drohten damit noch weiter in die Verschuldung hineinzugeraten. "Wenn ich einem Unternehmen mit der Gießkanne Geld gebe, dann verlängere ich nur das Sterben." Ein Manager, der wisse, dass er die Kredite nicht zurückzahlen könne, dürfe sie gar nicht erst annehmen. Sonst drohe einige Monate später das böse Erwachen.

Für solche Unternehmen sei ein Schutzschirmverfahren - als "mildeste Form der Insolvenz" - oft die bessere Lösung, warb der Insolvenzverwalter. Sie gebe den Unternehmen die Chance, sich mit einem Schuldenschnitt von Krediten zu befreien, aber auch Miet- und Arbeitsverhältnisse rasch zu lösen. "Es gibt einige Unternehmen im Einzelhandel, die genau das erkannt haben, an die Zeit nach Corona denken", sagte der Anwalt aus Halle. "Auf diese Ideen werden in den nächsten Wochen und Monaten noch ein paar andere kommen." Als einer der ersten Handelskonzerne hatte sich Galeria Karstadt Kaufhof unter einen Schutzschirm geflüchtet. Flöther bewertet diese "Insolvenz light" positiv: Sie habe seit der Einführung 2012 zu einer "Entstigmatisierung" geführt, die den Unternehmen einen echten Neuanfang ermögliche.