Nach monatelangen Verhandlungen mit der Regierung in Rom werde die Lufthansa in einem ersten Schritt für 320 bis 330 Millionen Euro einen Minderheitsanteil von 40 Prozent kaufen, sagte ein mit dem Vorgang bei ITA Vertrauter der Nachrichtenagentur Reuters. Eine komplette Übernahme sei dann 2026 möglich, wenn die noch Verlust schreibende Airline bis dahin profitabel wäre. Die Lufthansa wollte sich dazu nicht äußern, das Ministerium ließ eine Anfrage unbeantwortet.

Zuvor hatte die Zeitung "Corriere della Sera" über den Kaufpreis berichtet. Lufthansa-Chef Carsten Spohr und Wirtschaftsminister Giancarlo Giorgetti sollten die Vereinbarung bei einem Treffen in Rom abschließen, hieß es von Insidern. Der Minister hatte Spohrs Besuch am Morgen angekündigt, wie die Nachrichtenagentur Ansa berichtete.

Die Lufthansa verhandelt seit Anfang des Jahres über einen Minderheitsanteil an der Alitalia-Nachfolgerin. Die Airline-Gruppe hatte die Übernahme schon seit etlichen Jahren im Blick, um Italien noch stärker in ihr Netzwerk einzubinden, das Deutschland, Österreich, Belgien und die Schweiz umfasst.

KONSOLIDIERUNG IM GANG

Die Lufthansa verspricht sich von dem Kauf den nächsten großen Wachstumsschritt nach der 2017 abgeschlossenen Übernahme von Brussels Airlines. Nach der Corona-Krise versuchen die drei großen Luftfahrtkonzerne Europas, Lufthansa, die British-Airways-Mutter IAG und Air France-KLM, Marktanteile durch Übernahmen zu vergrößern. Auf der europäischen Kurz- und Mittelstrecke will der Billigflieger Ryanair seine Dominanz noch ausbauen. Übernahmekandidaten sind auch die portugiesische Airline TAP, an der die Lufthansa ebenfalls Interesse bekundete, sowie die skandinavische SAS. ITA wäre in der Lufthansa-Gruppe, zu der neben der Hauptmarke Lufthansa auch Eurowings, die österreichische Austrian Airlines und Swiss aus der Schweiz gehören, der zwölfte Flugbetrieb.

Italien ist als drittgrößter Luftfahrtmarkt in Europa mit vielen Touristen und Geschäftsreisenden attraktiv. ITAs Drehkreuz, der Airport Rom-Fiumicino, soll vor allem bei Langstreckenflügen gestärkt werden und das Lufthansa-Netz erweitern. Der nach Umsatz größte europäische Luftfahrt-Konzern bündelt bereits an fünf Knotenpunkten - Frankfurt, München, Zürich, Wien und Brüssel - Fluggäste für Langstreckenziele. Lufthansa-Chef Spohr will das Fluggeschäft weiter internationalisieren. Mit ITA könnte das im Vergleich zu den anderen beiden Netzwerk-Airlines IAG und Air France-KLM geringe Angebot an Flügen nach Afrika und Südamerika ausgebaut werden. Das ist um so dringender, da in dem für die Lufthansa wichtigen Asien-Geschäft die Konkurrenz durch Airlines der Golf-Staaten und von Turkish Airlines wächst.

ITA Airways war aus der 2017 pleite gegangenen, chronisch defizitären Alitalia hervorgegangen. Die 2020 gegründete Nachfolgerin startete im Herbst 2021. Die Privatisierung der Airline, die laut Lufthansa derzeit 70 Flugzeuge und 3900 Beschäftigte hat, zog sich seit Anfang letzten Jahres hin. Im vergangenen Jahr machte sie fast eine halbe Milliarde Euro Verlust. Der Staat stützte ITA während der Corona-Krise mit gut einer Milliarde Euro. 

Während Spohr für ITA unter dem Dach der Lufthansa "gute Erfolgsaussichten" sieht, bezweifeln manche Analysten und Investoren, dass ITA nach der langen Geschichte hoher Verluste ihrer Vorgängerin Alitalia in absehbarer Zeit profitabel wird. Denn Europa-Flüge von und nach Italien sind fest in der Hand der Billigflieger Ryanair oder Easyjet. Auf der Langstrecke sind ITAs Marktanteile gering. Die Teilübernahme muss der EU-Kommission zur Genehmigung vorgelegt werden. Dabei ist mit einer monatelangen vertieften Prüfung zu rechnen. Die Behörde könnte Auflagen wie den Verzicht auf bestimmte Start- und Landerechte verhängen, um den Wettbewerb durch konkurrierende Airlines zu sichern.

(Bericht von Angelo Amante, Ilona Wissenbach, redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com)