Von Stefanie Haxel

FRANKFURT (Dow Jones)--Ein Team um den Biologen und Chemiker Tobias Erb am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg forscht daran, das Treibhausgas Kohlendioxid aus der Luft abzuscheiden und in neue chemische Bausteine für andere nützliche Produkte umzuwandeln: Antibiotika, Nahrungsmittel oder Basischemikalien zum Beispiel. Außerdem könnte die Technologie zur Klimawende beitragen. Erb spricht im Interview mit Dow Jones Newswires von einer "Fotosynthese 2.0".

Für diese Forschung erhält Erb am Mittwoch den mit 1 Million Euro dotierten "Future Insight Price" des Darmstädter Pharma- und Spezialchemiekonzerns Merck.

"Wir wollen die Fotosynthese komplett neu denken, wollen im Prinzip neue Wege finden, um CO2 zu fixieren", sagt Erb, der auch Geschäftsführender Direktor des Instituts ist. Die dafür notwendigen Biokatalysatoren wollen die Forscher nicht nur aus der Natur nehmen, sondern auch im Labor neu erfinden, um das Kohlendioxid schneller und effizienter zu fixieren - also einzufangen und in Verbindungen einzubauen - als die Natur das könne.

"Wir wollen also die Fotosynthese boosten, ein alternatives Betriebssystem erfinden für die Fotosynthese", sagt der Forscher.


   Ein "Werkzeugkasten" mit Enzymen 

Dass die Idee im kleinen Maßstab grundsätzlich funktioniert, haben sie bereits bewiesen. Das Team um Erb hat zum einen eine neue Klasse von CO2-bindenden Enzymen entdeckt und zum anderen im Labor Enzyme entwickelt, die Kohlendioxid fixieren und in Bausteine für andere wertvolle chemische Produkte umwandeln können. Dabei haben sie sich vom Stoffwechsel der Mikroorganismen inspirieren lassen. Ihnen steht inzwischen ein ganzer "Werkzeugkasten" an unterschiedlichen Enzymen zur Verfügung, die jeweils andere biochemische Reaktionen ermöglichen.

Die Forschungsgruppe erbrachte außerdem den Nachweis der direkten Umwandlung von CO2 in Pentadecan, einen Hauptbestandteil von Dieselkraftstoff, sowie in ein Polyketid, das ein Vorläufer eines Antibiotikums ist.

Im nächsten Schritt geht es darum, das neue "Betriebssystem" im übertragenen Sinn auf dem Computer laufen zu lassen, also es in einem größeren Rahmen zu testen. Das könne eine lebende Zelle wie beispielsweise eine Bakterienzelle oder eine Alge sein, auf lange Sicht dann auch eine Pflanze, so Erb. Dies sei ein langwieriger Prozess. "Da werden wir noch mehrere Runden gehen müssen, um das zu optimieren und zu verbessern. Das wird eine Frage der Züchtung bzw. der molekularen Genetik sein", sagt er.

Zudem wollen die Forscher schauen, wie ihr "Betriebssystem" in einfachen, künstlich geschaffenen Zellen funktioniert. "Wir haben also in einem kleinen Maßstab sozusagen kleine Zellen, die CO2 fixieren, die aber nicht lebendig sind", so Erb.

"Das sind zwei Richtungen, in die wir gehen wollen. Beide sind vorstellbar, und beide haben ihre Vor- und Nachteile und wir wollen jetzt schauen: was ist die beste Hardware für unsere Software."

Am Ende könnten dann eines Tages ein Antibiotikum entstehen, ein Treibstoff oder eben Nahrungsmittel. Bis zur Marktreife eines Produktes könnten aber noch einige Jahre ins Land ziehen. "Wir sind Grundlagenforscher", schränkt Erb ein. "Wir sind ganz am Anfang der Pipeline."

Das Preisgeld von 1 Million Euro will Erb zum einen dazu nutzen, um herausragende Wissenschaftler in sein Team nach Marburg zu holen, die das Projekt weiter voranbringen, etwa Gentechniker. Zum anderen will er in Technologie investieren.


   Schneller und effizienter als die Natur 

In der Natur werden über die natürliche Fotosynthese jedes Jahr rund 400 Gigatonnen Kohlendioxid aus der Luft geholt - so viel, wie im natürlichen Kohlenstoffkreislauf durch geologische und biologische Prozesse wieder freigesetzt wird. Ungefähr 10 Gigatonnen CO2 pro Jahr werden durch den Menschen verursacht, sagt Erb. Das reiche aus, um den Klimawandel anzutreiben. "Unsere neue Fotosynthese hat das Potenzial, 20 Prozent effizienter zu sein und auch ungefähr zehnmal schneller CO2 zu fixieren", sagt er.

Erb glaubt allerdings nicht, "dass unsere Methode die einzige Lösung ist. Es wird ein Mix sein aus Verzicht, auf andere Arten der Elektrizität umzusteigen, aber ein wichtiger Teil wird eben auch sein, Kohlenstoffdioxid als Rohstoff zu sehen und einen nachhaltigen Kreislauf zu schließen."

Der Darmstädter DAX-Konzern Merck hat den Future Insight Price erstmals 2019 verliehen und zeichnet damit 35 Jahre lang jedes Jahr Wissenschaftler, die außerordentliche Beiträge leisten, um für die Zukunft der Menschheit wichtige Innovationen in den Kategorien Gesundheit, Ernährung und Energie zu ermöglichen.


   250 Preis-Kandidaten 

Erb habe sich in diesem Jahr gegen 250 Kandidaten als klarer Gewinner des Forschungspreises durchgesetzt, sagt Konzernchefin Belen Garijo, die auch der Preisjury aus mehr als 80 renommierten Wissenschaftlern aus aller Welt angehört "Ich denke, dies spiegelt das enorme Potenzial seiner Entdeckungen wider, die Möglichkeiten zur Umwandlung von CO2 in nachhaltige Energiequellen und andere nützliche Produkte neu zu definieren."

Merck habe keinen direkten Nutzen von den Gewinnern des Preises. "Aber ich hoffe natürlich, dass die meisten dieser ausgezeichneten Technologien vermarktet werden, damit wir und die nächste Generation von ihren Vorteilen profitieren können", sagt Garijo. Vorschläge für preiswürdige Kandidaten und Technologien nimmt der Konzern auf seiner Webseite entgegen. "Die Einreichungen kamen bisher aus der ganzen Welt und werden uns helfen, neue Themen für den Future Insight Prize auszuwählen", sagt die Medizinerin, die den DAX-Konzern seit Mai 2021 leitet.

Kontakt zur Autorin: stefanie.haxel@wsj.com

DJG/sha/smh

(END) Dow Jones Newswires

July 13, 2022 11:30 ET (15:30 GMT)