(neu: Aussagen Oschmann aus Telefonkonferenz, Analysten, Aktie.)

DARMSTADT (dpa-AFX) - Der Spezialchemie- und Pharmakonzern Merck KGaA will trotz Sorgen um die Ausbreitung der Coronavirus-Epidemie sein Wachstum im laufenden Jahr vorantreiben. Noch seien die Auswirkungen auf die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung und auf das Konzerngeschäft schwer zu bestimmen, sagte Konzernchef Stefan Oschmann am Donnerstag bei der Bilanzvorlage.

Mit dem Ausblick auf 2020 scheinen die Darmstädter, für die China ein wichtiger Absatzmarkt ist, ihre Anleger aber vorerst beruhigt zu haben: Die Aktie kletterte nach der Bilanzvorlage in der Spitze um über sechs Prozent auf 121,50 Euro. Bis zum Mittag gab sie dann einen Teil ihrer Gewinne ab - aber lag damit immer noch auf dem ersten Platz im schwachen Dax.

In diesem Jahr soll der Umsatz aus eigener Kraft "solide" zulegen, wenn also Zu- und Verkäufe sowie Wechselkurseffekte herausgerechnet werden. Beim um Sonderposten bereinigten Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) erwartet Merck zudem eine "starke" organische Steigerung. Momentan rechnet das Management damit, dass die Ausbreitung der neuartigen Lungenkrankheit Covid-19 im ersten Quartal 2020 ihren Höhepunkt erreichen wird und im Laufe des zweiten Quartals abklingt. In diesem Szenario dürfte die Epidemie die Umsätze im Gesamtjahr um 1 Prozent belasten, was sich vor allem im ersten Quartal bemerkbar machen soll.

Grundlegend behält sich Merck dabei eine Anpassung der Prognose vor, sollte sich die Krise ausweiten oder gar eine globale Rezession auslösen. "Wir sagen nicht, dass das in unserer Prognose enthaltene Szenario das Wahrscheinlichste ist", merkte Oschmann diesbezüglich an. Es sei nur das Einzige, das sich zur Zeit einigermaßen seriös quantifizieren lasse.

Generell dürften die Auswirkungen je nach Industrie unterschiedlich ausfallen, sagte der Vorstandschef weiter. Mit Blick auf die Lieferkette und mögliche befürchtete Engpässe seien etwa Generikahersteller besonders abhängig von China. In dem Bereich ist Merck aber nicht mehr aktiv. Abgesehen davon stelle der Konzern seine wichtigsten Medikamente auch noch selbst in Europa her. "Da ist China mehr auf uns angewiesen als umgekehrt", sagte Oschmann. In China, wo das Unternehmen mehr als 4000 Menschen beschäftigt, normalisiere sich zudem die Lage. Die Mitarbeiter kehren wieder in die Büros zurück.

Im vergangenen Jahr hat der Konzern die Schätzungen zu Umsatz und Gewinn übertroffen. So stiegen die Erlöse konzernweit um etwa neun Prozent auf 16,2 Milliarden Euro. Das bereinigte Ebitda betrug 4,4 Milliarden Euro, ein Plus von 15,4 Prozent im Vorjahresvergleich. Unter dem Strich belief sich der Gewinn auf 1,32 Milliarden Euro nach 3,37 Milliarden ein Jahr zuvor. Damals hatte der Verkauf des Geschäfts mit rezeptfreien Arzneien an Procter & Gamble für einen deutlichen Ergebnissprung gesorgt. Ein Rückgang in 2019 war somit zwar erwartet worden - allerdings in etwas milderem Ausmaß.

Größtes Zugpferd war für Merck 2019 wie erwartet die Laborsparte, in der die Umsätze um elf Prozent zulegten. Dabei liefen die Geschäfte vor allem im Bereich Process Solutions wieder rund. Hier bietet Merck Dienstleistungen und Produkte rund um die Arzneimittelherstellung an. In der Pharmasparte gab es ein Umsatzplus von 7,5 Prozent. Das verdankt Merck unter anderem seinem neuen Medikament Mavenclad zur Behandlung Multipler Sklerose, das sich besser verkaufte als erwartet. Hierfür hatte der Konzern erst im vergangenen Jahr eine lang ersehnte Zulassung in den USA erhalten.

In der seit einiger Zeit problembehafteten Sparte der Spezialmaterialien konnte sich Merck nur dank seiner jüngsten Zukäufe und günstiger Währungseffekte über Wasser halten. Die Erlöse legten um sieben Prozent zu, aus eigener Kraft sanken sie wie erwartet um sechseinhalb Prozent. Merck macht vor allem das Geschäft mit Flüssigkristallen zu schaffen, die etwa zur Produktion von Smartphones und Displays benötigt werden. Hier macht eine wachsende Konkurrenz aus Asien Druck. Dazu bekam Merck bei seinem Pigmentgeschäft etwa für Autolacke das raue Umfeld zu spüren. Man werde das Geschäft aber behalten, betonte Oschmann.

Der Fokus soll nun auf die Halbleiterindustrie verlegt werden. Hier verspricht sich der Konzern angesichts des Trends zur vernetzten Industrie, immer leistungsfähigeren Prozessoren, künstlicher Intelligenz und des regelmäßig steigenden Datenvolumens hohe Wachstumschancen. Um die Position hier zu stärken, haben sich die Darmstädter zuletzt den US-Halbleiterzulieferer Versum sowie den kalifornischen Materialspezialisten Intermolecular einverleibt. Nach Abschluss des 5,8 Milliarden Euro teuren Versum-Deals Anfang Oktober war das Management davon ausgegangen, dass die US-Amerikaner im restlichen Geschäftsjahr 270 Millionen Euro an Umsatz beisteuern würden. Am Ende waren es 250 Millionen. Unter anderem entwickelte sich der Chip-Markt zuletzt nicht ganz so gut wie vom Konzern erhofft.

Analysten zogen aus der Bilanzvorlage vornehmlich positive Schlüsse. Bernstein-Experte Wimal Kapadia sowie Barclays-Analystin Emily Field schrieben in ihrer jeweiligen Ersteinschätzung von einem "ordentlichen" vierten Quartal. Bei JPMorgan und dem Analysehaus Pareto war sogar von "starken" Resultaten die Rede.

Mit Blick auf die Prognose für 2020 fielen die Reaktionen indes unterschiedlich aus. Für die Analysten der Häuser Pareto und Kepler Cheuvreux deutet der Ausblick auf ein solides Wachstum hin. Bernstein-Analyst Kapadia rechnet dagegen damit, dass die Marktschätzungen nun etwas zurückgehen dürften. Und Barclays-Expertin Field findet, dass der Ausblick generell mehr Fragen aufwerfe, als er Antworten gebe. Mit einem Dividendenvorschlag von 1,30 Euro je Aktie für das abgelaufene Jahr hatten die Analysten am Markt in etwa gerechnet. Zuvor hatten die Aktionäre 1,25 Euro erhalten. Für Merck steht nach den Zukäufen nun auch erst einmal ein Abbau der Schulden auf der Agenda. Die Höhe der Netto-Verbindlichkeiten hat sich im vergangenen Jahr gegenüber 2018 mit 12,4 Milliarden Euro fast verdoppelt./kro/men/jha/