Von Sam Schechner

NEW YORK (Dow Jones)--Die Technologieunternehmen stehen vor der größten Ausweitung der Regulierung seit einer Generation. Und obwohl noch nicht abzusehen ist, ob all der Lärm und die Wut etwas bewirken, gibt es zum ersten Mal Anzeichen dafür, dass die Gegenreaktion auf die Macht der Big-Tech-Unternehmen substanzielle Auswirkungen haben könnte. Neue Gesetze, die in Europa, Asien und den USA in Erwägung gezogen werden, könnten die Behandlung kleinerer Konkurrenten durch große Technologieunternehmen stark einschränken. Das gilt zum Beispiel für den Einsatz von künstlicher Intelligenz wie bei Gesichtserkennung. Einige Vorschläge sollten gängige Praktiken verbieten, etwa bei Unternehmen, die ihre eigenen Produkte in ihren eigenen Rankings aufwerten, was sich nach Ansicht von Führungskräften und Analysten auf die Geschäftstätigkeit auswirken dürfte.

Gleichzeitig treiben die Regulierungsbehörden weltweit Dutzende von Untersuchungen im Zusammenhang mit Wettbewerb und Datenschutz voran, die zu mehr als nur Strafzetteln für Tech-Giganten führen könnten. Es dürften Anordnungen oder Vergleiche kommen, die den transatlantischen Datenverkehr unterbinden, einige Arten digitaler Werbung in die Knie zwingen, größere Produktänderungen verzögern oder eine laufende Überwachung der Aktivitäten erzwingen. Das berichten Aufsichtsbehörden und Führungskräfte.


   Bisher sprudeln bei Big-Tech weiterhin Gewinne und Bewertungen 

Allerdings hat sich die Regulierung bisher kaum auf die Gewinne oder Bewertungen des Silicon Valley ausgewirkt. Der Marktwert der fünf größten Technologiekonzerne der Welt beträgt 9,31 Billionen US-Dollar und hat sich damit gegenüber dem Stand von vor fünf Jahren fast vervierfacht, was beinahe doppelt so hoch ist wie der Zuwachs des S&P-500-Index in diesem Zeitraum. Aber das könnte sich ändern. Laut Mark Mahaney, Leiter der Internet-Forschung bei Evercore, hat die neue Welle von Untersuchungen es den Unternehmen bereits erschwert, von potenziellem Wachstum durch Übernahmen zu profitieren. Im November wies die britische Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde das zu Meta Platforms gehörende Unternehmen Facebook an, den Anbieter von animierten Bildern Giphy zu verkaufen. Der Grund: Die Übernahme schränke den Wettbewerb zwischen den Plattformen und den britischen Werbekunden ein. Facebook behauptet, dass das Geschäft den Verbrauchern zugutekommt, und hat Berufung eingelegt.

Tech-Unternehmen nehmen auch andere Änderungen vor. Facebook kündigte im November an, dass es sein Gesichtserkennungssystem zum Teil wegen möglicher Vorschriften abschalten würde. Laut Managerin Sinead McSweeney von Twitter musste das Unternehmen in den vergangenen Wochen in mindestens sechs Ländern neue gesetzliche Anforderungen umsetzen. "Das ist eine ganz neue Ebene." Die Alphabet-Tochter Google hat derweil zugestimmt, eng mit der Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde zusammenzuarbeiten, um Cookies, die Online-Aktivitäten verfolgen, aus seinem Chrome-Browser zu entfernen. Google überlegt nun, wie sich neue Einspruchsverfahren für die Entfernung von Inhalten auf dem Videodienst Youtube einrichten lassen. Außerdem geht es laut dem Spitzenmanager Kent Walker um die Überarbeitung des internen Umgangs mit Nutzer- und Partnerdaten.


   Google Spitzenmanager stöhnt über Regulierungswelle 

"Im Moment liegt eine ganze Menge auf dem Tisch", stöhnt Walker. "Es ist eine schwierige Aufgabe, denn in vielen Fällen sind die Fristen für die Einhaltung der Vorschriften kurz, und wir müssen schon jetzt damit beginnen, uns auf die Vorschriften vorzubereiten, bevor die Tinte getrocknet ist." Die Tech-Unternehmen sind sich zwar einig, dass ihre Branche neue Vorschriften braucht, aber sie wehren sich gegen einige spezifische Vorschläge - zum Teil wegen der Auswirkungen, die sie haben könnten. Einige Tech-Führungskräfte, wie etwa McSweeney von Twitter, befürchten, dass die Anforderungen in den vorgeschlagenen Regeln für Online-Inhalte-Unternehmen die Meinungsfreiheit gefährden könnten. Möglicherweise ermutigten sie dazu, dass Nutzer Inhalte entfernen lassen, mit denen sie lediglich nicht einverstanden seien. Walker moniert, dass die Definition eines Online-Marktplatzes in einem Gesetzentwurf das Unternehmen dazu zwingen könnte, Webseiten jedes Mal zu benachrichtigen, wenn sich ihr Ranking in der Suchmaschine ändere - eine praktisch unmögliche Aufgabe.

Die Befürworter einer stärkeren Regulierung befürchten ihrerseits, dass die großen Technologieunternehmen von der jüngsten Regulierungswelle verschont bleiben könnten. Gabriel Weinberg, Gründer und Geschäftsführer von Duckduckgo, dem Hersteller einer datenschutzfreundlichen Suchmaschine, sagt, dass drei EU-Kartellentscheidungen gegen Google und mehr als 9 Milliarden Dollar an Geldstrafen die Marktposition des Suchmaschinenführers kaum beeinträchtigt haben. Google behauptet derweil, dass die Einhaltung der EU-Entscheidungen zu bedeutenden Änderungen in seinen Geschäftsabläufen geführt hat, die den Wettbewerbern geholfen haben. Weinberg hat die Befürchtung, die politischen Entscheidungsträger könnten primär Wert auf die Verabschiedung von Gesetzen legen. Dagegen legten sie vielleicht weniger Akzente darauf, dass die Regulierungsbehörden über das Know-how und die Instrumente verfügen, neue Anforderungen, etwa zur Gleichbehandlung von Konkurrenten, ordnungsgemäß umzusetzen.


   Politik unterstreicht Gestaltungswillen 

Doch die politischen Entscheidungsträger sind zuversichtlich, dass sie es schaffen können. Cédric O, Juniorminister für digitale Angelegenheiten in Frankreich, das in der ersten Hälfte dieses Jahres die EU-Ratspräsidentschaft innehat, will wirksame EU-Gesetze verabschieden lassen und den Schwung nutzen. Er will auch in die USA reisen, um sich für transatlantische Regeln zum Schutz von Kindern, die soziale Medien nutzen, einzusetzen. Artikel in der Serie "Facebook Files" des Wall Street Journal hatten aufgedeckt, dass Instagram einige Teenager-Mädchen dazu bringt, sich selbst schlechter zu fühlen. "Ich denke, es gibt einen europäischen und wahrscheinlich auch einen internationalen Konsens darüber, dass Big Tech einen Einfluss auf die Wirtschaft und die Demokratie hat und reguliert werden sollte", so O. "Es gibt einen Wunsch zu handeln, der überall geteilt wird."

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January 17, 2022 04:26 ET (09:26 GMT)