Von Aaron Tilley und Kim Mackrael

NEW YORK (Dow Jones)--Microsoft prescht in Europa vor. Mit einer Kampagne sollen Verbündete gewonnen und Kritiker entwaffnet werden, da das Unternehmen in einem seiner größten Märkte stärker unter die Lupe genommen wird. Konkurrenten werfen dem Softwaregiganten vor, seine Position als weltweit zweitgrößtes Cloud-Unternehmen nach Amazon zu missbrauchen und damit europäische Unternehmen zu übervorteilen. Microsoft reagiert darauf mit einer Mischung aus Vergünstigungen und Überzeugungsarbeit - und hat in einigen Fällen Mühe, voranzukommen. Nachdem die deutsche Cloud-Computing-Firma Nextcloud bei der EU-Kommission eine Kartellbeschwerde gegen Microsoft eingereicht hatte, rief ein Anwalt des US-Giganten bei Nextcloud an und unterbreitete ein Angebot, so dessen Chef Frank Karlitschek.

Nextcloud hatte Microsoft vorgeworfen, den Wettbewerb zu unterdrücken, indem es Kunden dazu drängt, seine konkurrierende Cloud-Software zu nutzen, indem es sie mit seinem Windows-Betriebssystem bündelt. Das deutsche Unternehmen hatte auch ein Konsortium europäischer Unternehmen gebildet, die sich über Microsoft Sorgen machen. Der Microsoft-Anwalt fragte Nextcloud, ob die Unternehmen in irgendeiner Weise zusammenarbeiten könnten, und bot Vorteile an. Dazu zählt Werbung für Nextclouds Logo in Microsofts Marketingmaterial, wenn das deutsche Unternehmen die Beschwerden fallen lassen würde, so Karlitschek. Das Angebot war nicht erfolgreich. Karlitschek lehnte ab. "Er hat uns im Grunde einen Keks angeboten. Es geht nicht darum, irgendwo ein Logo zu haben oder ein schnelles Geschäft zu machen. Daran sind wir nicht interessiert. Wir sind besorgt über die gesamte kartellrechtliche Situation."


   Microsoft drängt Kunden angeblich in seine Cloud 

Laut Brad Smith, Präsident von Microsoft, will sein Unternehmen lediglich versuchen, sich die Sorgen der europäischen Unternehmen anzuhören und darauf einzugehen. "Man kann nicht zu Verbündeten werden, solange man nicht aufhört, Gegner zu sein, und man kann nicht aufhören, Gegner zu sein, solange wir nicht auf die Bedenken eingehen, die sie zu Recht geäußert haben." Die EU steht an der Spitze einer weltweiten Welle der verstärkten Kontrolle riesiger Technologieunternehmen, einschließlich der Art und Weise, wie sie konkurrieren und wie sie mit Daten umgehen. Doch Microsoft und die Cloud-Computing-Branche im Allgemeinen waren noch nicht einmal die Hauptziele der neuen Vorschriften. Die Lobbyarbeit des in Redmond, Washington, ansässigen Unternehmens markiert eine wichtige neue Front in der entstehenden Auseinandersetzung zwischen Regierungen und Technologieunternehmen.

Obwohl Microsoft nicht den größten Cloud-Marktanteil hat, erregt sein Cloud-Geschäft in Europa Aufmerksamkeit. Das liegt zum Teil an Beschwerden von Konkurrenten, dass das Unternehmen seine Dominanz mit seinem Windows-Betriebssystem und den Office-Anwendungen ausnutzt. Damit sollen Kunden zur Nutzung anderer Microsoft-Cloud-Dienste gedrängt werden, was einen unfairen Vorteil bedeute. Die Interaktionen des Unternehmens in Bezug auf Cloud-Angelegenheiten könnten sich auch darauf auswirken, wie die Regulierungsbehörden Microsoft generell sehen. Das schlägt besonders dann zu Buche, wenn sie überlegen, ob sie die 75 Milliarden US-Dollar schwere Übernahme des Videospielunternehmens Activision Blizzard genehmigen sollen, so einige Lobbyisten in Europa. Letztlich benötigt das Unternehmen in vielen Märkten eine behördliche Genehmigung, ein Prozess, der durch etwaige kartellrechtliche Forderungen beeinträchtigt werden könnte. Die britische Kartellbehörde hat vergangene Woche eine Untersuchung darüber auf den Weg gebracht, ob die Übernahme den Wettbewerb beeinträchtigen könnte.


   Microsoft begibt sich gerade auch wegen Activision-Kauf auf Charmeoffensive 

Smith räumt ein, die Übernahme von Activision sei einer der Gründe für seine europäische Charmeoffensive. "Wir müssen das Vertrauen der Öffentlichkeit erhalten, dass wir auf verantwortungsvolle Weise wachsen." Die europäischen Gesetzgeber haben vergangene Woche weitreichende digitale Vorschriften verabschiedet, die mehreren großen US-Unternehmen, darunter Microsoft, Wettbewerbsregeln auferlegen. Eine weitere EU-Verordnung, die derzeit erörtert wird, könnte Cloud-Anbieter dazu zwingen, ihren Kunden die Übertragung von Daten von einer Plattform auf eine andere zu erleichtern. Und die Unternehmen sollen dazu verpflichtet werden, Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz vor illegalen Datenübertragungen zu treffen.

Microsofts wichtigste Cloud-Rivalen - Amazon und Google - sehen sich in Europa ebenfalls mit regulatorischem Gegenwind konfrontiert. Anders als Microsoft wurden beide Unternehmen in den vergangenen Jahren wegen angeblicher Kartellrechtsverstöße im Zusammenhang mit ihren Nicht-Cloud-Geschäften angeklagt. Der Umgang mit Aufsichtsbehörden, Wettbewerbern und anderen Interessengruppen gehört für die meisten großen Technologieunternehmen zum Geschäft. Microsoft ist mit den jüngsten Herausforderungen in Europa auf die gleiche Weise umgegangen wie mit den Vorschriften in den USA - indem es sich präventiv an die politischen Entscheidungsträger gewandt hat und manchmal auch Kritiker einbezog. Der Konzern schlüsselt seine Umsätze zwar nicht nach geografischen Gesichtspunkten auf, aber Analyst Brad Reback von Stifel Financial schätzt, dass Microsoft etwa 35 Prozent seines Umsatzes in Europa erzielt. Das wären fast 60 Milliarden Dollar für das im Juni 2021 zu Ende gegangene Geschäftsjahr.


   Lizenzierungspraktiken von Microsoft treiben angebliche Kunden zur Azure-Cloud 

Microsofts Eskalation in Europa hat bei einigen Unternehmen zu Problemen geführt. Ende vergangenen Jahres beauftragte Microsoft den PR-Riesen Burson Cohn & Wolfe (BCW) mit zusätzlicher Arbeit in Europa. Slack Technologies hatte mit dem Unternehmen zusammengearbeitet, um seine eigenen Versuche zu unterstützen, Microsoft in Europa durch eine Kartellanmeldung 2020 zu bekämpfen. Nachdem Microsoft BCW für die zusätzliche Arbeit angeheuert hatte, ließ die Firma Slack wegen eines Interessenkonflikts als Kunden fallen, was die Führungskräfte von Slack verärgerte, so Insider. Laut einer BCW-Sprecherin kann es zu geschäftlichen Konflikten kommen kann, wenn sich die Ziele der Kunden ändern. "In solchen Fällen trifft BCW seine eigenen geschäftlichen Entscheidungen über die Fortsetzung eines Auftrags."

Trotz seiner Bemühungen stößt Microsoft weiterhin auf Widerstand. Im vergangenen Sommer reichten die französische Firma Ovhcloud und andere europäische Unternehmen eine Beschwerde gegen Microsoft ein. Sie behaupteten, so wie der Konzern seine Produkte lizenziere, dränge er die Nutzer zur eigenen Azure-Cloud. Nach dieser und anderen Beschwerden gegen Microsoft hat die EU-Kommission im vergangenen Jahr im Rahmen einer kartellrechtlichen Untersuchung einen Fragebogen an Microsoft-Konkurrenten und -Partner verschickt. Eine EU-Sprecherin sagte, sie habe Beschwerden gegen Microsoft erhalten und prüfe diese.


   Microsoft-vertreter trommelten in Europa für die eigenen Grundsätze 

Vertreter der Microsoft-Zentrale waren im April nach Paris gereist, um mit einer technologiepolitischen Gruppe namens Cigref zu sprechen, die Nutzer digitaler Dienste in Unternehmen und Behörden vertritt. Die Gruppe versucht, Microsoft und andere Unternehmen dazu zu bewegen, den Kunden den Wechsel des Cloud-Anbieters zu erleichtern. Das Treffen endete ohne Vereinbarungen, sagte der Geschäftsführer der Vereinigung, Henri d'Agrain. "Bestimmte Praktiken von Microsoft scheinen uns mit einem fairen Markt unvereinbar zu sein", klagt er. Er betont, die Gruppe fordere auch von anderen großen Cloud-Anbietern Änderungen. Im Mai bereiste Smith Europa, um Regulierungsbehörden und Wettbewerber zu treffen. Während seiner Reise kündigte er auf einer Veranstaltung in der EU-Hauptstadt Brüssel eine Reihe von Grundsätzen an, die einige der Bedenken hinsichtlich des Cloud-Geschäfts von Microsoft zerstreuen sollen. Zu den Grundsätzen gehörte die Zusage, mit europäischen Cloud-Anbietern zusammenzuarbeiten und den Erfolg von Softwareanbietern zu unterstützen, die auf Microsofts Cloud laufen.

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July 13, 2022 04:24 ET (08:24 GMT)