PLANEGG (dpa-AFX) - Der Antikörper-Spezialist Morphosys übernimmt überraschend in einem milliardenschweren Deal den US-Forscher Constellation Pharmaceuticals. Für das MDax-Unternehmen ist es nicht nur der bisher teuerste Zukauf in seiner Geschichte, sondern auch ein Schritt auf das bisher unbekannte Terrain der sogenannten Epigenetik. Während Analysten zwar zustimmen, aber auch einige skeptische Worte finden, sprüht das Morphosys-Management nur so vor Optimismus. Zur Lage des Unternehmens, was die Aktie macht und was Analysten sagen.

DAS IST LOS BEI MORPHOSYS:

Das Biotechnologieunternehmen Morphosys aus der Nähe von München ist seit einigen Jahren im Umbruch, personell und auch inhaltlich: Mit Mitgründer und Ex-Chef Simon Moroney und dem früheren Finanzvorstand Jens Holstein, der ab Juli den gleichen Posten bei Biontech einnehmen wird, sind inzwischen zwei Führungsfiguren von Bord, die lange Jahre das Bild des Konzerns nach außen geprägt haben. Ihre Nachfolger, Konzernchef Jean-Paul Kress und sein Finanzchef Sung Lee verfolgen jedoch im Grundsatz wichtige Ansätze ihrer Vorgänger weiter.

Denn Morphosys - früher reiner Zulieferer - will sich mit eigenen Arzneien am Markt etablieren. Doch bislang ist erst das Blutkrebsmedikament Monjuvi in den USA zugelassen, dessen Verkaufszahlen jedoch zuletzt hinter den Erwartungen von Experten zurückblieben. Einige weitere interessante Medikamente befinden sich noch in der Forschung.

Wegen der Entwicklung bei Monjuvi hat Morphosys recht vorsichtige Jahresziele ausgerufen, zudem schrieben die Bayern zum Jahresauftakt wieder rote Zahlen. Um das eigene Wachstum und die Forschungspipeline zu beschleunigen, hatte sich Konzernchef Kress schon seit einiger Zeit wohl nach Optionen außerhalb des Konzerns umgeschaut. Als Möglichkeit war auch die Einlizensierung von Medikamenten in Betracht gezogen worden. Doch nun greift Morphosys mit Constellation Pharma gleich nach einem ganzen Unternehmen.

Morphosys bietet je Constellation-Aktie 34 Dollar in bar, womit der Eigenkapitalwert der US-Firma mit 1,7 Milliarden Dollar bewertet wird. Das Unternehmen gilt als Spezialist für Epigenetik; seine Forscher suchen also nach Wirkstoffen basierend auf bestimmten Genveränderungen, die nicht durch eine veränderte DNA-Sequenz hervorgerufen werden.

Das Morphosys-Management setzt große Hoffnungen vor allem auf zwei Produktkandidaten der Amerikaner: Pelabresib gegen Myelofibrose, einer seltenen Form von Knochenmarkkrebs, und CPI-0209 bei hämatologischen und soliden Tumoren. Beide hätten die Chance, die besten Mittel ihrer Klasse zu werden, verspricht Kress und spricht deshalb von einem "transformativen Deal" mit hohen Wachstumschancen.

Morphosys zeigt sich mit Blick auf die Zulassung für die Mittel sehr zuversichtlich, wann das grüne Licht kommen könnte, ist aber noch ungewiss. Für Pelabresib läuft die fortgeschrittene Studienphase 3, CPI-0209 befindet sich noch in einer früheren Entwicklungsstufe. Ab 2026 jedenfalls erhofft sich Morphosys durch die beiden wichtigsten Produktkandidaten von Constellation signifikante Umsatzbeiträge.

Das Unternehmen setzt zudem auf Synergien etwa bei der Medikamentenvermarktung in den USA. Überdies hofft Morphosys, auch durch die Kombination beider Technologien - Antikörper und Epigenetik - seine Forschung weiter beschleunigen zu können.

Um den Deal zu finanzieren, holt sich der MDax-Konzern einen neuen Aktionär ins Boot. Das US-Unternehmen Royalty Pharma lebt von Lizenzgebühren an Medikamenten, die es sich durch finanzielle Deals mit Unternehmen sichert. So auch bei Morphosys. Die Bayern haben Aussicht auf mehr als 2 Milliarden Dollar von Royalty, die sich in eine Vorauszahlung, Entwicklungsfinanzierungen und eventuelle Meilensteine aufgliedern.

Zudem steigt Royalty nach Abschluss der Constellation-Übernahme über eine 100 Millionen Dollar schwere Kapitalerhöhung beim deutschen Unternehmen ein. Im Gegenzug erhält der neue Aktionär künftig diverse Lizenzgebühren - unter anderem die vollständige Umsatzbeteiligung, die Morphosys von der dänischen Firma Janssen aus dem Schuppenflechtemittel Tremfya bezieht.

Nach aktuellem Stand soll die Übernahme im dritten Quartal abgeschlossen sein - danach will Morphosys auch einen überarbeiteten Ausblick für das kombinierte Unternehmen abgeben.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Zahlreiche Experten bewerteten die Übernahme zwar grundsätzlich als positiv, sehen aber auch einige Haken und Ösen. Analyst Victor Floc'h vom britischen Investmenthaus Bryan Garnier bezeichnete den Zukauf sogar als "bahnbrechend". Dies gehe über die Erwartungen am Markt weit hinaus, schrieb der Branchenexperte. Constellation sei ein "Pionier in der Epigenetik".

Floc'h kritisiert jedoch, dass sich Morphosys durch den Verzicht auf die Lizenzgebühren für Tremfya seine stabilste Umsatzquelle nehme und hatte daher zwischenzeitlich seine Kaufempfehlung zurückgezogen. Diese sprach er zuletzt aber wieder aus und lobte die Perspektiven mit dem Constellation-Mittel Pelabresib.

Gleichzeitig stellte er nun die Möglichkeit einer Übernahme von Morphosys durch den US-Partner Incyte in den Raum, mit dem die Bayern Monjuvi gemeinsam in den USA vermarkten.

Auch Rajan Sharma von der Deutschen Bank äußerte sich lobend zur Übernahme, schließlich gebe es klare Überschneidungen mit dem bestehenden Morphosys-Portfolio. Zudem bestehe die Möglichkeit, die Infrastruktur des Unternehmens zur Unterstützung der Markteinführung von Monjuvi in den USA auch für die Constellation-Produktkandidaten zu nutzen, schrieb er.

Nach Einschätzung von Barclays-Analystin Rosie Turner jedoch dürften Anleger die Vorzüge der "neuen Morphosys" hinterfragen, da künftig vieles von den wichtigsten Produktkandidaten von Constellation abhänge. Mit Blick auf deren Erfolgsaussichten verwies James Quigley von der US-Bank Morgan Stanley zudem in der Telefonkonferenz zu dem Deal darauf, dass einige Unternehmen bereits mit ähnlichen Forschungsansätzen gescheitert seien.

Abseits des Constellation-Zukaufs äußerten sich zuletzt Experten nach der Zulassung eines Alzheimermittels des US-Konzerns Biogen auch zu Morphosys. Die Nachricht sei positiv auch für die Bayern, schrieb Commerzbank-Analyst Daniel Wendorff. Für das in der Forschung befindliche Präparat Gantenerumab von Roche, das auf der Antikörper-Technologie von Morphosys beruhe, sei schließlich der Wirkungsmechanismus recht ähnlich, so der Analyst. Allerdings hat sich Royalty auch bei Gantenerumab bereits einen Teil in Zukunft möglicher Lizenzeinnahmen gesichert.

Die acht im dpa-AFX-Analyser erfassten Experten sehen die Aktie überwiegend positiv: Fünf votieren für Kaufen, drei für Halten. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei rund 105 Euro und damit gut 50 Prozent über dem aktuellen Kurs.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die in der vergangenen Woche angekündigte Übernahme stieß am Markt zunächst auf heftigen Widerstand: Die Aktie brach binnen eines Handelstages um bis zu 17 Prozent ein, wobei vor allem die Aussicht auf die Verwässerung durch die Kapitalerhöhung belastete. Damit rutschte der Kurs sogar unter sein Corona-Tief aus dem März 2020.

Im Zuge der recht positiven Analystenäußerungen zum Deal zog das Papier aber in den vergangenen Tagen wieder um mehr als 14 Prozent an. Aktuell notiert die Aktie bei etwas mehr als 70 Euro - und damit fast wieder auf dem Niveau, das sie vor Bekanntgabe der Übernahme innehatte; allerdings noch rund ein Drittel unter dem bisherigen Jahreshoch. Im Januar und Februar hatte die Aktie noch rund 100 Euro gekostet. Damals beflügelte unter anderem die Hoffnung auf gute Verkaufszahlen für Monjuvi, die dann jäh enttäuscht wurde.

Einen ersten kräftigen Kursrückschlag erlitt die Aktie nach dem als schwach eingestuften Jahresausblick im März. Der weitere satte Dämpfer erfolgte zur Quartalsbilanz im Mai, als klar wurde, dass das Krebsmedikament weniger als am Markt erhofft eingespielt hatte. Seit Jahresbeginn hat die Aktie ein Viertel eingebüßt, auf Sicht von zwölf Monaten ist sogar ein Drittel an Wert dahin.

Auch im vergangenen Jahr war der Verlauf holprig: So ging es etwa vom Corona-Tief im März bei 65,25 Euro bis Mitte Juli auf mehr als 125 Euro hoch. An das bereits im Januar noch vor dem Corona-Crash erreichte 20-Jahres-Hoch bei 146,30 Euro reichte die Aktie aber nicht mehr heran. Und nach dem Rücktritt des Finanzvorstands Holstein im Herbst ging es steil nach unten. So büßte die Aktie 2020 alles in allem rund ein Viertel ein und gehört damit zu den stärksten Verlierern im MDax.

Längerfristige Anleger aber können sich freuen, auf Fünfjahressicht etwa steht ein Gewinn von rund der Hälfte zu Buche. Seit Mitte 2016, als das Papier noch weniger als 40 Euro gekostet hatte, nahm die Aktie wieder Fahrt auf. Später beschleunigte noch durch den sich abzeichnenden Zulassungsprozess für Monjuvi. Mit dem Zuwachs in den vergangenen fünf Jahren blieb die Aktie allerdings leicht hinter der Entwicklung des MDax, in dem das Papier seit September 2018 gelistet ist, zurück.

Mit einer Marktkapitalisierung von aktuell rund 2,3 Milliarden Euro rangiert Morphosys im MDax unter den kleineren Werten. Morphosys wurde 1999 an die Börse gebracht und der Kurs stieg im Zuge des Neue-Markt-Booms bis auf fast um Kapitalmaßnahmen bereinigte 150 Euro an, bevor der Kurs mit dem Markt implodierte. Bis Ende 2002 war der Kurs bis auf 1,563 Euro gefallen./tav/men/zb