Vevey (awp) - Der Lebensmittelkonzern Nestlé führt für seine weltweit über 300'000 Mitarbeitenden eine bezahlte Familienzeit von bis zu 18 Wochen ein. Der neue Mindeststandard soll bis Ende 2022 umgesetzt werden.

Ziel der Massnahme sei es, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter zu fördern, wie Nestlé am Mittwoch mitteilte. Das neue Modell sei geschlechtsneutral und gelte auch für Familien, die ein Kind adoptieren oder ein Pflegekind aufnehmen.

Konkret soll für alle Beschäftigten, die wie etwa Mütter laut Nestlé als "primäre Betreuungspersonen" gelten, weltweit eine voll bezahlte Elternzeit von 18 Wochen zum Zug kommen. "Sekundäre Betreuungspersonen" - das sind in den meisten Fällen die Väter - sollen neu vier Wochen voll bezahlte Elternzeit erhalten.

Umstrittener Vaterschaftsurlaub

In der Schweiz sollen die neuen Standards bereits Mitte 2020 für alle Standorte inklusive Verwaltungssitze, Fabriken und Forschungszentren gelten. Bislang gewährte Nestlé hierzulande 16 Wochen voll bezahlten Mutterschaftsurlaub und 5 Tage voll bezahlten Vaterschaftsurlaub. Nestlé beschäftigt in der Schweiz laut den Angaben 9'666 Mitarbeitende und betreibt 11 Fabriken und 4 Forschungszentren.

Gesetzlich gelten in der Schweiz 14 Wochen Mutterschaftsurlaub. Einen gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaub oder eine Elternzeit gibt es bislang nicht.

Im September beschloss das Parlament einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub. Im November hat ein bürgerliches Komitee das Referendum ergriffen mit der Begründung, dass die Verantwortung bei den Familien und nicht bei den Unternehmen liege. Das vornehmlich aus Männern bestehende Komitee ehemaliger und aktueller SVP- und FDP-Parlamentarier äusserte zudem Bedenken zu den Folgen des Vaterschaftsurlaubs auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaftsstandorts Schweiz.

Elternzeit gegen Fachkräftemangel

Demgegenüber äussert sich der Verband "Angestellte Schweiz" positiv über den Schritt von Nestlé: "Wir begrüssen diese Massnahme grundsätzlich, weil sie genau in die Richtung unserer Forderung nach einem Elternurlaub geht", sagte Mediensprecher Hansjörg Schmid auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP.

Der Verband fordert einen Elternurlaub von je 14 Wochen für beide Elternteile: "Ein zweiwöchiger Vaterschaftsurlaub verfehlt die Gleichstellungs-, Vereinbarkeits- und Arbeitsmarktziele und zementiert eine überholte Rollenteilung zwischen den Eltern", so die Begründung.

Zu den Beweggründen von Nestlé sagt der Verbandsprecher, dass alle Unternehmen gute Mitarbeitende halten und gewinnen wollten: "Mit dem Angebot des Elternurlaubs macht sich der Konzern zum attraktiven Arbeitgeber", sagte Schmid. Der Fachkräftemangel sei dabei ein zusätzlicher Faktor.

SAV gegen gesetzliche Regelungen

Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) sieht sich am Beispiel von Nestlé bestätigt, dass Arbeitgeber "im Rahmen ihrer betrieblichen Möglichkeiten" bereit seien, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie Rechnung zu tragen.

"Angesichts des sich akzentuierenden Arbeitskräfte- und Fachkräftemangels müssen Unternehmen aus eigenem Antrieb Lösungen finden", sagte Daniella Lützelschwab, Leiterin Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht beim SAV auf Anfrage.

Es gelte daher, den Freiraum für unternehmenseigene Lösungen zu erhalten. Gesetzliche Einheitsvorschriften seien aber abzulehnen, wie Lützelschwab betonte. Diese gingen zu Lasten der Lohnkosten aller Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

sta/jb