LOS GATOS (dpa-AFX) - Netflix hat sich viel vorgenommen. Nach einem mauen ersten Halbjahr sollen im vierten Quartal ganze 8,5 Millionen Abonnements hinzukommen. Ob es dazu kommt, wird der Jahresbericht am 20. Januar zeigen. Schon jetzt ist klar, dass das Streaming nicht mehr das einzige Barometer des Erfolgs sein soll: Der Filme- und Serienanbeiter Netflix versucht seit einiger Zeit andere Geschäftsbereiche aufzubauen, um die Abhängigkeit vom überhitzten Streaming-Markt zu verringern. Zu den Innovationen zählen etwa Fanshops und Online-Games. Können sie den kalifornischen Streaming-Riesen fit machen für die Zeit nach dem Corona-Boom? Was bei Netflix los ist, was die Aktie macht und was die Analysten sagen.

DAS IST LOS BEI NETFLIX

Netflix will die Nummer eins sein in den Wohnzimmern weltweit, und bisher ist der Konzern auf Kurs. 214 Millionen Abonnenten in über 190 Ländern schauten ihre Filme und Serien zuletzt bei Netflix. Damit liegt das von den beiden Co-Chefs Reed Hastings und Ted Sarandos geleitete Unternehmen vorn - wobei Amazon seit Längerem keine konkreten Angaben zur Nutzung seines Streamingangebots gemacht hat.

Seine Führung will der im Nasdaq notierte Konzern unter anderem mit starken Eigenproduktionen untermauern. Mit Erfolg: Erst im September landete Netflix mit der südkoreanischen Serie Squid Game einen Zuschauerhit. Nach eigenen Angaben ist es Netflix’ bisher größte Serie überhaupt. Erfolge wie diese sind allerdings teuer erkauft. Netflix steckt Milliarden in Eigenproduktionen, um die Konkurrenz auf Abstand zu halten. Allein im deutschsprachigen Raum wollen die Kalifornier bis 2023 eine halbe Milliarde US-Dollar für neue Produktionen in die Hand nehmen.

Allerdings wuchs die Konkurrenz - befeuert von der Pandemie - bedrohlich schnell. Besonders Netflix’ Konkurrent Disney+ hat in den vergangenen gut zwei Jahren aus dem Stand ein beachtliches Wachstum hingelegt. Insgesamt nehmen Disneys Streamingdienst Stand November 118 Millionen Abonnenten in Anspruch. Zuletzt aber enttäuschte Disneys Streamingdienst mit nur 2,1 Millionen neuen Kunden im vierten Quartal, was auf ausbleibende Blockbuster und Serienhits zurückzuführen war. Netflix ist mit seinen zuletzt 214 Millionen Nutzern noch in weiter Ferne.

Und auch operativ lief es für Netflix zuletzt gut. Im dritten Quartal stieg der Umsatz auf knapp 7,5 Milliarden US-Dollar (6,7 Mrd Euro), ein Zuwachs von 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das operative Ergebnis stieg um ein Drittel auf 1,8 Milliarden Dollar.

Dass das zweite Halbjahr so viel besser läuft als das erste, liegt Netflix zufolge an Verzögerungen in der Produktion, die Neuerscheinungen in das zweite Halbjahr verschoben haben. Zu den aufgestauten Blockbustern gehört etwa "Don’t look up", der neben anderen Neuerscheinungen im vierten Quartal für einen satten Zuwachs von 8,5 Millionen Neukunden sorgen soll.

Neben qualitativen Neuerscheinungen will Netflix auch in Preiskämpfen für sich werben. Im wichtigen indischen Markt gab Netflix zuletzt eine deutliche Preisminderung für seinen Streaming-Dienst bekannt. In anderen Ländern, etwa in Kenia und Vietnam, lancierten die Kalifornier gar eine kostenloses Abo. In der Branche mehren sich derweil die Stimmen, dass der Markt überhitzt. Immer mehr Serien und Filme gehen an den Start, so dass sich schließlich die Frage stellt: Wer soll sich das alles anschauen?

Wohl auch deshalb strengte Netflix kürzlich eine Erweiterung seiner Geschäftsfelder an. Zum einen wäre da das Gaming-Geschäft. Im Sommer verpflichtete das Unternehmen bereits für die Führung des Bereichs den Branchenveteranen Mike Verdu, der zuvor unter anderem für den großen Spielekonzern Electronic Arts gearbeitet hatte. Zudem schluckte der Videostreaming-Riese die Firma Night School Studio, die vor allem für ihr Debüt-Spiel "Oxenfree" bekannt ist.

Ein drittes Standbein könnte zum anderen der Merchandise werden. Disney erzielt auf diese Art seit Jahrzehnten beträchtliche Einnahmen - im Juni zog Netflix mit einem eigenen Online-Fanshop nach. Analysten hatten diese Art der Vermarktung bereits seit Längerem als logischen nächsten Schritt angesehen.

DAS MACHT DIE AKTIE

Netflix, 1997 als DVD-Verleih gestartet, ist bereits seit Mai 2002 an der Börse notiert und kennt daher bis auf wenige Unterbrechungen nur eine Richtung, und zwar die nach oben. Eine dieser Verschnaufpausen hatte das Papier vor der Pandemie genommen. Sorge vor einem steigenden Konkurrenzdruck und hohen Kosten für die Produktionen ließen den Kurs rund zwei Jahre in einer Spanne zwischen rund 300 und circa 400 Dollar pendeln.

Die Pandemie aber verlieh den Papieren dann einen neuen Schub - allerdings nicht so stark wie bei einigen anderen Titeln. Von rund 350 Dollar vor dem Ausbruch der Pandemie kletterte die Aktie bis zum vergangenen November auf einen Spitzenwert von mehr als 700 US-Dollar - ein Zuwachs von rund 100 Prozent.

Die enormen Gewinne aus dem vergangenen Herbst konnte Netflix indes nicht lange halten. Seit dem historischen Hoch im November rutschen die Netflix-Aktien stufenweise ab. Zuletzt lagen sie mit 541 Dollar nur noch knapp 60 Prozent über dem Vor-Corona-Niveau.

Damit blieb die Aktie hinter dem Zuwachs des Nasdaq 100 zurück. Der Auswahlindex der US-Technologiebörse legte in dem Zeitraum etwas mehr als 70 Prozent zu. Besser sieht es im mittel- und langfristigen Vergleich aus. In den vergangenen fünf Jahren zog der Kurs um mehr als 300 Prozent an und seit Anfang 2012 verteuerte sich die Aktie um mehr als 4000 Prozent.

Seit dem Börsengang im Frühjahr 2002 stieg der Börsenwert des Unternehmens sogar um mehr als 50 000 Prozent. Damit zählt die Aktie sowohl in den vergangenen zehn als auch den zurückliegenden knapp 20 Jahren zu den besten Werten im Nasdaq 100. Mit einem Börsenwert von rund 240 Milliarden Dollar zählt das Unternehmen zudem zu den Top 20 des Nasdaq 100.

Im dritten Quartal hat Netflix insgesamt 200 000 Aktien im Wert von 100 Millionen Dollar zurückgekauft. Etwas weniger als normal, wie Netflix eingestand. Als Grund nannte das Unternehmen die Übernahmen. Dabei erinnert das Netflix auch an seine Prioritätensetzung: Möglichst wenig Schulden, große Investitionen ins Kerngeschäft, ab und an eine Übernahme. Und wenn dann etwas übrig bleibe, seien Aktienrückkäufe an der Reihe.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN

Die 52 von der Nachrichtenagentur Bloomberg erfassten Analysten blicken überwiegend positiv auf die Aussichten für die Netflix-Aktie: 38 raten zum Kauf der Aktie, fünf Experten empfehlen den Verkauf. Mit einem durchschnittlichen Kursziel von 680 Dollar sehen sie nach den jüngsten Kursverlusten wieder viel Luft nach oben. Die Spanne der Kursziele reicht dabei von rund 300 bis 800 Dollar.

Der selbstbewussten Prognose von 8,5 Millionen Neukunden im vierten Quartal treten die Analysten von der US-Bank JPMorgan hingegen skeptisch entgegen. Trotz bemerkenswerter Serien- und Filmhits könne Netflix den Strom an neuen Abos nicht auf dem Niveau halten, auf dem er im September dank Squid Game war, heißt es in ihrer Studie.

Die Experten stützen sich dabei auf eine Analyse von Download-Daten und halten einen Zuwachs von 6,25 Millionen Neukunden für realistisch. Zwar senken die JPMorgan-Analysten das Preisziel von 750 auf 725 Dollar. Trotzdem gehen sie davon aus, dass sich Netflix stärker entwickelt als der Sektor.

Weniger optimistisch blicken die Analysten der US-Investmentbank Goldman Sachs auf Netflix’ Zukunft. In ihrer Studie aus dem Oktober beließen sie ihre Empfehlung auf "Neutral" und hebten das Preisziel leicht an auf nunmehr 595 Dollar. Zwar können der wachsende Medienkonsum und die eigene Preismacht Netflix in die Karten spielen. Der hohe Konkurrenzdruck wirke sich allerdings negativ auf die Umsatzdynamik aus.

Ob der Konkurrenzdruck auf die Zahl der Neukunden durchgeschlagen ist, wird der Jahresbericht nächste Woche zeigen./jcf/zb/stk