LOS GATOS (dpa-AFX) - Netflix hat sich von einem DVD-Verleiher zum Giganten der Streamingdienste gemausert. Dieser Status wird aktuell, rund 22 Jahre nach Firmengründung, hart auf die Probe gestellt. Das Nutzerwachstum enttäuschte zuletzt, die Konkurrenz rüstet auf, die Kosten für eigene Film- und Serienproduktionen steigen. Kann sich Netflix also weiterhin behaupten? Die neuesten Entwicklungen beim König der Streaminganbieter, was die Analysten sagen und wie es für die Aktie läuft.

DAS IST LOS BEI NETFLIX:

Obwohl die Umsatz- und Gewinnentwicklung bei Netflix im zweiten Quartal die Vorhersagen der Experten übertroffen hat, schauen die Analysten doch nur auf eine Zahl: die Abonnenten. Insgesamt haben fast 152 Millionen Menschen eine bezahlte Netflix-Mitgliedschaft, im abgelaufenen Quartal kamen allerdings nur 2,7 Millionen neue Abos dazu. Das waren deutlich weniger als die 5 Millionen, die sich Netflix selbst zum Ziel gesetzt hatte. In den USA büßte Netflix sogar 130 000 Kunden ein.

Denn beim Streaminganbieter kamen zwei Dinge zusammen: Netflix lieferte im vergangenen Quartal relativ wenige Film- und Serienhits, entschied sich aber gleichzeitig zu einer Preiserhöhung in etlichen Ländern, auch in Deutschland. Die meisten Netflix-Kunden zahlen je nach gewähltem Tarif seit diesem Frühjahr monatlich einen oder zwei Euro mehr. In der Tat musste Netflix nun einräumen, dass sich die Mitgliederzahl insbesondere in den Regionen schlecht entwickelt habe, in denen die Abogebühren erhöht wurden.

Aber auch die immer stärker werdende Konkurrenz macht die Netflix-Anleger nervös. Mögliche Thronfolger, die König Netflix stürzen wollen, gibt es mittlerweile zuhauf: Walt Disney, der zu AT&T gehörende Konzern WarnerMedia mit seinem Bezahlsender HBO, NBCUniversal und Apple haben allesamt Streamingdienste in der Pipeline. Für Netflix bedeutet das nicht nur mehr Druck von außen, der Platzhirsch wird auch Inhalte verlieren.

Zahlreiche Fremdproduktionen laufen bisher gegen Lizenzgebühren bei Netflix. Wenn Disney seinen Onlinedienst startet, fliegen beispielsweise sämtliche Marvel-Produktionen aus dem Netflix-Sortiment. Auch auf Serienklassiker wie "Friends" und "The Office" wird Netflix in absehbarer Zeit verzichten müssen. Obendrein gibt es mit Amazon und Hulu bereits etablierte Kontrahenten auf dem Markt, die keinerlei Anzeichen von Wettbewerbsmüdigkeit zeigen.

Netflix muss sich also mit Eigenproduktionen wehren und hat mit Hits wie "Stranger Things" oder "Orange Is the New Black" auch weiterhin gute Argumente für ein Abonnement. Allerdings sind diese Produktionen teuer, alleine dieses Jahr dürften rund 15 Milliarden US-Dollar in exklusive Inhalte fließen.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Gerade diese enorm hohen Investitionen in eigenen Content stimmen viele Analysten aber weiterhin optimistisch für die Zukunft. Heath Terry von der US-Investmentbank Goldman Sachs rechnet mit mehr Neukunden im zweiten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Auch in Vertriebspartnerschaften und Marketing sieht Terry noch viel Potenzial für weiteres Wachstum bei Netflix.

Analyst Doug Anmuth von der US-Bank JPMorgan argumentiert außerdem mit Blick auf die jüngste Enttäuschung, dass das zweite Quartal bei Netflix besonders volatil und schwierig sei, was auch mit der Saisonalität zusammenhänge. Dafür zeichne sich nun ein starkes drittes Quartal ab. Anmuth erwartet im Restjahr die möglicherweise besten neuen Inhalte, die Netflix jemals hatte.

Die DZ Bank äußert sich dagegen sehr skeptisch. Ingo Wermann rät als derzeit einziger Experte im dpa-AFX-Analyser, die Netflix-Aktie zu verkaufen. Längerfristig könne Netflix gegenüber seiner teils deutlich finanzstärkeren Konkurrenz ins Hintertreffen geraten. Das zuletzt schwache Neukundenwachstum zeige außerdem, dass der Streaming-König nicht unbegrenzt an der Preisschraube drehen könne.

Douglas Mitchelson von der Schweizer Bank Credit Suisse hält dagegen und sieht in einem Preisanstieg von über 10 Prozent bei eher geringer Auswirkung auf die Nutzerzahlen sehr wohl den Beweis für die Preisgestaltungsmacht von Netflix. Allerdings will Disney seinen Streamingdienst mit einem Kampfpreis von 6,99 Dollar pro Monat an den Start bringen, der günstiger als das billigste Netflix-Abo wäre.

Abgesehen von der DZ Bank sprechen dennoch sämtliche im dpa-AFX-Analyser seit April erfassten Experten eine Kaufempfehlung aus. Auch die durchwachsenen Quartalszahlen haben daran nichts geändert. Das durchschnittliche Kursziel aller Analysten liegt bei 405 Dollar, was aus aktueller Sicht einem Aufwärtspotenzial von einem knappen Drittel für die Aktie von Netflix entspricht.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Nach einer rasanten Erholung zu Jahresbeginn bewegte sich die Netflix-Aktie überwiegend seitwärts zwischen 340 und 380 Dollar. Nach dem Kursrutsch um etwa 11 Prozent in Folge der Zahlen zum zweiten Quartal, konnte sich das Papier immerhin ein wenig stabilisieren und momentan noch rund 326 Dollar wert. Seit Anfang des Jahres hat die Aktie damit aber immer noch mehr als ein Fünftel zugelegt.

Wie deutlich die Wertsteigerung bei Netflix ausfällt, wird besonders in der längerfristigen Betrachtung deutlich: Vor zwei Jahren war die Aktie noch rund die Hälfte wert. Und wer das Papier vor 10 Jahren gekauft und gehalten hätte, könnte sich aktuell sogar über etwa 4500 Prozent Wertsteigerung freuen.

Im Vergleich zur Konkurrenz wiegt der Rückschlag an der Börse nach den jüngsten Quartalszahlen aber schwer. Nachdem Netflix vergangenes Jahr zeitweise wertvoller als Disney war, liegt der Streaminganbieter nun mit nur noch 143 Milliarden Dollar Börsenwert wieder umso deutlicher hinter den gut 257 Milliarden Dollar von Disney. Giganten wie Apple und Amazon spielen sowieso in einer völlig anderen Liga, sie pendeln immer wieder rund um die Marke von einer Billion Dollar Marktkapitalisierung./niw/mne/mis