Der Konzern will auf diese Weise in den nächsten zwei Jahren bis zu sechs Milliarden Dollar an seine Aktionäre zurückgeben. Linde schüttet damit den größten Teil der Erlöse aus dem Verkauf von Unternehmensteilen aus, die die Kartellbehörden im Zuge des Zusammenschlusses mit dem US-Rivalen Praxair erzwungen hatten. Nach Berechnungen der Analysten von Bernstein nimmt die Linde plc damit mehr als zehn Milliarden Dollar ein. Nach Abzug von Steuern und der Tilgung von Schulden blieben davon gut sieben Milliarden Dollar übrig. Das Rückkaufprogramm, das spätestens am 1. Mai beginnen soll, trieb die Linde-Aktie am Dienstag um bis zu zwei Prozent nach oben.

Ein größeres Rückkaufprogramm hat nach Daten des Flossbach von Storch Research Institute noch nie ein Unternehmen aus dem deutschen Leitindex angekündigt. Der Schritt zeigt, wie stark Linde inzwischen angelsächsisch geprägt ist. Linde-Vorstandschef Stephen Angel und sein Finanzvorstand Matt White standen bisher an der Spitze von Praxair. In Nordamerika sind Aktienrückkäufe zur Kurspflege seit langem gang und gäbe, oft sogar anstatt von Dividenden. In Deutschland kommen sie erst langsam in Mode - und sind erst seit 1998 überhaupt unbeschränkt erlaubt. Europäische Firmen haben 2018 nach Daten der Deutschen Bank eigene Aktien für 31 Milliarden Euro erworben und eingezogen - in den USA kauften Unternehmen aus dem S&P-500-Index für 800 Milliarden Dollar.

Rückkäufe stützen den Kurs, weil das Unternehmen selbst am Markt als Käufer auftritt. Zudem steigt der Gewinn je Aktie, wenn die zurückgekauften Papiere anschließend eingezogen werden - und damit die Chance auf steigende Dividenden. Die Münchener Rück nutzt Aktienrückkäufe seit mehr als zehn Jahren und hat laut Flossbach von Storch seit 2005 rund zehn Milliarden Euro dafür ausgegeben. Die Allianz gibt gerade ihre sechste Milliarde binnen zwei Jahren für Aktienrückkäufe aus, nachdem sie dies zuvor vehement abgelehnt hatte.

Zum Schlusskurs vom Freitag in New York müsste Linde gut 37 Millionen Aktien kaufen, um sechs Milliarden Dollar auszugeben. Das sind 6,8 Prozent des Grundkapitals. Die Papiere sollen eingezogen oder als Aktienboni an Mitarbeiter verteilt werden. Der Rückkauf beginnt spätestens am 1. Mai und läuft bis Anfang Februar 2021. Ein erster Aktienrückkauf über eine Milliarde Dollar läuft bei Linde bereits seit Dezember. Wenn er vor dem 1. Mai abgeschlossen ist, kann das neue Programm früher starten.

BEI ZUKÄUFEN DIE HÄNDE GEBUNDEN

"In diesem Fall macht ein Aktienrückkauf sogar Sinn", sagt Flossbach-von-Storch-Experte Philipp Immenkötter. Er steht den Rückkaufprogrammen eigentlich skeptisch gegenüber. "Firmen sollten ihr Geld in Wachstum investieren." Doch Linde, seit der Fusion die Nummer eins auf dem Weltmarkt für Industriegase, sind bei Zukäufen die Hände gebunden. Die Wettbewerbshüter in Brüssel und Washington haben bereits den Verkauf des gesamten Europa-Geschäfts von Praxair und eines Großteils des Amerika-Geschäfts von Linde erzwungen, bevor sie dem Zusammenschluss ihren Segen gaben.

Die Analysten von Bernstein erwarten, dass der Beschluss vom Montag noch lange nicht das letzte Wort ist. Insgesamt könne Linde bis zu 15 Milliarden Dollar für eigene Aktien ausgeben und dafür sogar Kredite aufnehmen. Kurzfristig sei das aber nicht zu erwarten. "Wir nehmen an, dass der Vorstand vorsichtig bleiben wird, bis die Fusion auf einem guten Weg ist", heißt es in ihrer Studie.