Von Andrea Thomas

KIEW/BERLIN (Dow Jones)--Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat Russland bei ihrem Besuch in Kiew vor einer Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine gewarnt. Deutschland und die westlichen Verbündeten seien angesichts der russischen Militärpräsenz und die damit einhergehende "bedrohliche Rhetorik" solidarisch mit dem ukrainischen Bedürfnis nach Souveränität und territorialer Integrität, sagte Baerbock. Sie drohte mit Konsequenzen, sollte Moskau dies unterlaufen. Die Lieferung von Defensivwaffen an die Ukraine lehnte sie erneut ab.

"Jede erneute Aggression hätte, das haben wir zum wiederholten Male unterstrichen, einen hohen Preis", sagte Baerbock auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba an die Adresse von Moskau. Gleichzeitig bekräftigte sie den Willen Deutschlands zu einem "ernsthaften Dialog mit Russland", denn Diplomatie sei der "einzig gangbare Weg, um die derzeitige hochgefährliche Situation zu entschärfen".

Baerbock will am Dienstag mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow zusammenzutreffen. Man werde alles dafür tun, die Sicherheit der Ukraine zu garantieren, sagte die Außenministerin. Dies soll aber nicht die von der Ukraine geforderte Lieferung von Defensivwaffen von Deutschland beinhalten. Die Bundesregierung stehe zu ihrer Haltung einer defensiven Rüstungsexportpolitik. Diese besagt, dass SPD, Grüne und FDP die Lieferung von Waffen in Krisengebiete ablehnt.


   Geopolitische Bedeutung von Nord Stream 2 

Ein weiteres Thema der Gespräche war die Gaspipline Nord Stream 2, die Gas direkt von Russland über die Ostsee nach Deutschland bringen soll. Die Ukraine, die bislang ein wichtiges Transferland für den Gastransport ist, soll umgangen werden. Die Ukraine fordert den Stopp der Pipeline.

Baerbock betonte, dass es sich bei Nord Stream 2 nicht um ein rein privatwirtschaftliches Projekt handle. Vielmehr hätte die Gaspipeline auch geostrategische Implikationen. Sie deutete an, dass eine russische Aggression Folgen für Nord Stream 2 haben könnte.

Für die neue Bundesregierung sei klar, dass für energiepolitische Projekte das europäische Energierecht gelte. "Das gilt dann natürlich auch für Nord Stream 2. Gegenwärtig wird das im europäischen Energierecht mit Blick auf dieses Projekt nicht voll umgesetzt, und deswegen ist der Zertifizierungsprozess derzeit ausgesetzt. Und zugleich haben wir mit Blick auf dieses Projekt auch geostrategische Implikationen", sagte Baerbock. "Von daher stehen wir als deutsche Bundesregierung zur gemeinsamen Erklärung mit den USA und werden, sollte es zu weiteren Eskalationen von russischer Seite kommen, mit unseren Partnern gemeinsam geeignete Maßnahmen dann entsprechend auch ergreifen."

Aktuell steht noch die Zertifizierungen der Gasröhre durch die Bundesnetzagentur und durch die Europäische Kommission aus. Die Regelungen sehen vor, dass es bei Nord Stream 2 eine Trennung von Netz und Betrieb geben muss sowie einem unabhängigen Transportnetzbetreiber mit unabhängiger Geschäftsführung und einem Aufsichtsrat. Die Bundesnetzagentur hat eine Rechtsform nach deutschem Recht gefordert. Die Betreiberfirma Nord Stream 2 gehört dem russischen Gaskonzern Gazprom.

Baerbock betonte zudem, dass Deutschland und die EU auch zur eigenen Sicherheit unabhängiger werden müssten von Energieimporten. Die Frage nach Energiepartnerschaften sei nicht nur eine klimapolitische und energiepolitische Frage, sondern eine sicherheitspolitische Frage.

Russland war im ersten Halbjahr 2021 Jahr der größte Lieferant von Erdgas und Erdöl an die Europäische Union. Erdgas aus Russland machte laut Eurostat 46,8 Prozent der europäischen Importe aus Ländern außerhalb der EU aus.

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January 17, 2022 07:44 ET (12:44 GMT)