--Scholz: Wirtschaftsministerium zieht Bericht zu Nord Stream 2 zurück

--Scholz wirft Putin "schwerwiegenden" Bruch des Völkerrechts vor

--Irischer Premier Martin: Reaktion der EU wird massiv ausfallen

--Habeck: Geopolitische Situation und Gaspreis erfordern Neubewertung

(NEU: Weitere Reaktionen, Details)

Von Andrea Thomas und Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Deutschland hat aufgrund des russischen Vorgehens in der Ostukraine die umstrittene Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 vorerst stoppen, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Scholz warf dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor, mit der Anerkennung von zwei ostukrainischen Separatistengebieten einen "schwerwiegenden Bruch des Völkerrechts" vorgenommen zu haben. Dies werde eine robuste und massive Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft zur Folge haben, so Scholz.

In einer ersten Reaktion stoppte Scholz den Zertifizierungsprozess für die Inbetriebnahme der fertiggestellten Pipeline, die Gas direkt von Russland über die Ostsee nach Deutschland bringen soll. Gleichzeitig warnte Scholz Russland davor, die Ukraine zu besetzen.

"Ich habe das Bundeswirtschaftsministerium heute gebeten, den bestehenden Bericht zur Analyse der Versorgungssicherheit bei der Bundesnetzagentur zurückzuziehen. Das klingt zwar technisch, ist aber der nötige verwaltungsrechtliche Schritt, damit jetzt keine Zertifizierung der Pipeline erfolgen kann, und ohne diese Zertifizierung kann Nord Stream 2 ja nicht in Betrieb gehen", sagte Scholz vor einem Gespräch mit dem Ministerpräsidenten von Irland, Micheál Martin, in Berlin.

Die zuständige Abteilung des Bundeswirtschaftsministeriums werde nun eine neue Bewertung der Sicherheit der Versorgung unter Berücksichtigung dessen vornehmen, was sich in den vergangenen Tagen verändert habe, so Scholz. Diese neue Bewertung werde dauern.


Habeck: Geopolitische Situation und Gaspreis zwingen zu Neubewertung 

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bekräftigte bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf, sein Ministerium habe der Netzagentur am Morgen mitgeteilt, "dass der Versorgungssicherheitsbericht, der ein Teil der Genehmigung von Nord Stream 2 ist, zurückgezogen wird". Die Genehmigung sei an zwei Voraussetzungen gebunden, die Erteilung des Zertifikates der Netzagentur und die Prüfung der Versorgungssicherheit. Diese Versorgungssicherheitsprüfung habe die alte Bundesregierung am 26. Oktober 2021 abgeschlossen. "Ich bin der Meinung, dass die geopolitische Situation, aber auch die Situation auf den Gasmärkten der letzten Monate zu einer Neubewertung geradezu zwingt", betonte der Wirtschaftsminister.

Der Bericht werde nun neu erstellt und einer neuen Prüfung unterworfen werden. "Solange diese Prüfung nicht abgeschlossen ist oder positiv abgeschlossen wäre, kann Nord Stream 2 nicht genehmigt werden", machte er klar. Habeck betonte, mit der Anerkennung der Separatistengebiete habe "das Putin-Russland einen schweren Bruch des Völkerrechts begangen, ohne erkennbaren Grund und sehr willentlich und strategisch kalt geplant". Es werde wirtschaftliche Sanktionen als Antwort geben.

Im Oktober hatte das CDU-geführte Bundeswirtschaftsministerium unter dem früheren Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Nord Stream 2 attestiert, keine Gefahr für die Versorgungssicherheit von Deutschland und der Europäischen Union darzustellen. Dieser Bericht war eine wichtige Bedingung für den noch ausstehende Zertifizierung der Bundesnetzagentur für die Inbetriebnahme von Nord Stream 2.

Die Gasröhre war innerhalb der EU umstritten, da eine verstärkte Abhängigkeit von russischem Gas befürchtet wird. Deutschland bezieht rund 55 Prozent seines Gases aus Russland.


   Putin erkennt Unabhängigkeit von Donezk und Luhansk an 

Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Montag die Unabhängigkeit der ostukrainischen Separatistengebiete Donezk und Luhansk anerkannt. Russland lehnt eine Annäherung der Ukraine an die Europäische Union und eine mögliche ukrainische Mitgliedschaft im transatlantischen Verteidigungsbündnis Nato ab.

Scholz erklärte, mit der Anerkennung der Separatistengebiete Donezk und Luhansk breche Putin nicht nur das Abkommen von Minsk von 2014 und 2015 zur Beilegung des ukrainischen Konflikts, sondern er breche auch mit den Grundprinzipen der Charta der Vereinten Nationen, die die Wahrung der territorialen Integrität und Souveränität von Staaten vorsieht sowie den Verzicht von Androhung und Anwendung von Gewalt und die Verpflichtung zur friedlichen Beilegung von Konflikten.

Mit der Anerkennung der beiden Provinzen im Osten der Ukraine habe Russland gegen diese Grundprinzipien verstoßen. "Die Lage heute ist damit eine grundlegend andere", so Scholz. "Nun ist es an der internationalen Gemeinschaft, auf diese einseitigen, unverständlichen und ungerechtfertigten Handlungen des russischen Präsidenten zu reagieren, eng abgestimmt und koordiniert und zielgerichtet, damit wir ein klares Signal an Moskau senden, dass solche Handlungen nicht ohne Konsequenz bleiben werden."


   EU will Sanktionen vorlegen 

Die Europäische Union werde dazu im Laufe des Tages Sanktionen gegen Russland vorlegen, so Scholz. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die EU geschlossen hinter den Strafmaßnahmen stehen werde. "In dieser Phase ist es jetzt wichtig, neben ersten Sanktionen eine weitere Eskalation und damit eine Katastrophe zu verhindern. Darauf zielen alle unsere diplomatischen Anstrengungen", sagte Scholz. "Knapp 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges droht ein Krieg im Osten Europas. Es ist unsere Aufgabe, eine solche Katastrophe abzuwenden. Ich appelliere erneut an Russland, dabei zu helfen." Im Falle einer Verschärfung der Ukraine-Krise werde man mit weiteren Sanktionen reagieren.

In der gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz warf Irlands Premierminister Martin Moskau vor, mit der Anerkennung der Separatistengebiete eine Linie überschritten und eklatant gegen das Völkerrecht verstoßen zu haben. Die Reaktion der EU werde "massiv ausfallen", so Martin.


   Scholz warnt Russland vor Besetzung der Ukraine 

Scholz lobte die ukrainische Regierung für ihre besonnene Reaktion auf die Anerkennung der Separatistengebiete durch Russland und dass sie sich nicht von Russland habe provozieren lassen. "Denn genau darauf wartet der russische Präsident, um einen Vorwand zu haben, möglicherweise die gesamte Ukraine zu besetzen", warnte Scholz.

Kontakt zur Autorin: andrea.thomas@wsj.com

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February 22, 2022 07:53 ET (12:53 GMT)