BERLIN (dpa-AFX) - Inmitten verschärfter Corona-Beschränkungen in ganz Deutschland rückt ein möglicher konkreter Starttermin für Impfungen in den Blick. Die Bundesländer stellen sich auf einen Beginn am 27. Dezember ein, wie die zuständige Berliner Senatsverwaltung als Vorsitz der Gesundheitsministerkonferenz am Mittwochabend mitteilte. Dies sei Ergebnis einer Schaltkonferenz mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), hieß es auch aus Regierungskreisen. Wegen der sich seit Wochen zuspitzenden Krise ist Deutschland zum zweiten Mal seit Beginn der Pandemie in einen harten Lockdown gegangen. Seit Mittwoch sind weitere Geschäfte geschlossen, auch Schulen und Kitas. Bei neuen Todesfällen binnen 24 Stunden wurde ein Höchststand von 952 gemeldet.

Mit Blick auf Impfungen erklärte die Gesundheitsministerkonferenz der Länder, begonnen werden solle damit insbesondere in Pflegeheimen. Die Bundesregierung setzt auf eine europäische Zulassung für den ersten Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer noch kurz vor Weihnachten. Wie es aus Teilnehmerkreisen der Bund-Länder-Beratungen hieß, wird als Voraussetzung für einen Start am 27. Dezember eine Zulassung der EU-Kommission am 23. Dezember angenommen. Die konkreten Impfstoff-Chargen müssen auch noch vom bundeseigenen Paul-Ehrlich-Institut geprüft werden.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will sich an diesem Donnerstag mit den Biontech-Gründern Ugur Sahin und Özlem Türeci in einer Videokonferenz austauschen. Daran sollen Spahn und Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) teilnehmen. Für den Impfstoff von Biontech/Pfizer will die Europäische Arzneimittelagentur EMA am kommenden Montag (21. Dezember) wohl grünes Licht geben - acht Tage früher als geplant. In Großbritannien, den USA und Kanada ist der Impfstoff bereits auf dem Markt - allerdings mit Hilfe von Notfallzulassungen.

Beim Infektionsgeschehen und in den Kliniken bleibt die Situation kritisch. Die Gesundheitsämter übermittelten dem Robert Koch-Institut (RKI) 952 weitere Todesfälle und 27 728 Neuinfektionen binnen eines Tages. Vor einer Woche waren 20 815 Neuinfektionen und 590 Todesfälle gemeldet worden. Die hohen Zahlen jetzt erklären sich zum Teil auch durch Nachmeldungen von Daten vom Vortag durch das Land Sachsen.

Für Wirbel sorgten Äußerungen des Ärztlichen Direktors des Oberlausitzer Bergland-Klinikums in Zittau, Mathias Mengel. Er sagte laut Nachrichtenportal t-online: "Wir waren in den vergangenen Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheiden mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht." Die Klinik bestätigte eine kritische Lage, die Intensivmedizin stoße "an die Grenzen des Leistbaren". Alle Patienten erhielten aber "die bestmögliche Therapie". Sollte man keine Patienten mehr aufnehmen können, würden Erkrankte in umliegende Kliniken geflogen.

Nach Zahlen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) werden bundesweit 4836 Covid-19-Patienten intensivmedizinisch behandelt, davon werden 2760 invasiv beatmet. Das Gesundheitssystem sei stark belastet, erklärte die Organisation. "Wir stehen aber derzeit nicht an dem Punkt, Priorisierungen von Patienten vornehmen zu müssen." Bei regionaler Überlastung würden Patienten innerhalb Deutschlands verlegt. Spahn sagte am Mittwochabend im ZDF, es könnten alle Patienten versorgt werden, "aber eben unter größter Belastung und teilweise auch Überlastung in den einzelnen Kliniken".

Der zur Lagebeurteilung wichtige Wert der gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen erreichte am Mittwoch mit 179,8 ebenfalls einen neuen Höchststand. Ziel der nun geltenden verschärften Maßnahmen ist es, diesen Wert wieder auf unter 50 zu drücken. Mit dem leichten Lockdown war dies nicht gelungen. Schon seit Anfang November sind in Deutschland Restaurants, Bars, Museen, Theater und Freizeiteinrichtungen geschlossen.

Seit dem Mittwoch dürfen nun nur noch Lebensmittelläden und andere Geschäfte für den täglichen Bedarf öffnen. Alle neuen Einschnitte sind vorerst bis zum 10. Januar befristet. Es ist unklar, wie es dann weitergehen wird. Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, rechnet mit Einschränkungen bis ins Frühjahr. "Wir werden mindestens noch bis Ostern mit verschiedenen Lockdown-Maßnahmen leben müssen", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Die Entschädigungsregeln für Eltern, die wegen der Schließung oder des eingeschränkten Betriebs von Kitas und Schulen nicht zur Arbeit gehen können, werden wegen des neuen Lockdowns ausgeweitet. Eine Verdienstausfallentschädigung vom Staat soll es nun auch geben, wenn Schulen nicht geschlossen werden, sondern wenn nur die Präsenzpflicht ausgesetzt wird, so wie das in einigen Bundesländern jetzt der Fall ist. Eine entsprechende Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes brachte das Bundeskabinett am Mittwoch auf den Weg.

Spahn verteidigte das geplante Vorgehen bei Impfungen. "Impfen ist der Weg raus aus dieser Pandemie. Und wir sind auf diesem Weg gut vorbereitet." Es gebe bewusst keine Impfstoff-Notzulassung, sondern eine ordentliches, gründliches Prüfungsverfahren und europäische Solidarität. Für anfangs nötige vorrangige Impfungen gefährdeter Gruppen habe der Bundestag auch eine gesetzliche Grundlage gelegt. "Für die weitere Ausgestaltung gibt es ein transparentes Verfahren", erläuterte er mit Blick auf eine vorgesehene Empfehlung der Ständigen Impfkommission und eine geplante Verordnung.

Redner der Opposition forderten teils eine stärkere Einbeziehung des Bundestags über ein weiteres Impfgesetz. Merkel machte deutlich, dass Nachsteuerungen etwa je nach Zulauf verschiedener Impfstoffe möglich seien. "Deshalb kann man eine Impfstrategie auch nicht einfach einmal als Gesetz festlegen." Vielmehr müsse immer wieder geschaut werden./sk/DP/mis