BERLIN/WASHINGTON/MOSKAU (dpa-AFX) - Außenminister Heiko Maas hat einen möglichen Verzicht der US-Regierung auf Sanktionen gegen die Betreibergesellschaft von Nord Stream 2 als Entgegenkommen der Amerikaner im Streit über die Pipeline gewertet. "Das empfinden wir als einen konstruktiven Schritt, den wir gerne mit unseren Partnern in Washington weiter besprechen werden", sagte Maas am Mittwoch in Berlin. Die russische Regierung interpretierte den möglichen Verzicht auf Sanktionen als einen Schritt hin zu einer Normalisierung der Beziehungen mit Washington. Heftige Kritik am demokratischen US-Präsidenten Joe Biden kam von Republikanern.

Die Nachrichtenseite Axios hatte am Dienstag berichtet, dass die US-Regierung auf die Anwendung von Sanktionen gegen die Nord Stream 2 AG und deren deutschen Geschäftsführer Matthias Warnig verzichten will. Das Außenministerium will demnach einem bevorstehenden Bericht an den US-Kongress zufolge nur einige weitere russische Schiffe mit Strafmaßnahmen belegen. Der Bericht an den Kongress ist alle 90 Tage fällig. Die Frist läuft in dieser Woche aus.

Maas bestätigte den Bericht im Grundsatz: "Es sind im Wesentlichen russische Entitäten und Schiffe gelistet worden, und es gab einen Presidential Waiver (Ausnahmegenehmigung des Präsidenten) für die Nord Stream 2 AG und den CEO (Geschäftsführer), der deutscher Staatsbürger ist." Eine offizielle Bestätigung des Außenministeriums oder des Weißen Hauses gab es zunächst nicht.

Der russische Vize-Außenminister Sergej Rjabkow sagte der Agentur Interfax zufolge, sollte der Axios-Bericht stimmen, dann "zeigt sich ein Hauch von Normalität in der amerikanischen Politik". Ähnlich äußerte sich der Kreml. Sprecher Dmitri Peskow wies aber darauf hin, dass es dafür noch keine offizielle Bestätigung aus Washington gebe. An diesem Mittwoch wollte sich Außenminister Sergej Lawrow im isländischen Reykjavik mit seinem US-Kollegen Antony Blinken treffen.

Maas sagte, Nord Stream 2 sei das einzige Thema, bei dem Deutschland und die USA "fundamental unterschiedliche Auffassungen" hätten. Man müsse nun sehen, "dass dieses Projekt unsere wirklich hervorragende Zusammenarbeit nicht weiter in irgendeiner Weise belastet". Die kommenden drei Monate bis zum nächsten Bericht des US-Außenministeriums an den Kongress müssten genutzt werden, die problematischen Teile des Projekts noch einmal zu besprechen.

Die Republikaner im US-Kongress reagierten nach Bekanntwerden der Recherchen empört und warfen Biden vor, Kremlchef Wladimir Putin in die Hände zu spielen. Der Top-Republikaner im Auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses, Michael McCaul, teilte mit, sollte der Axios-Bericht zutreffen, wäre das ein Indiz dafür, dass die Biden-Regierung die Pipeline nie wirklich habe verhindern wollen.

"Diese Pipeline ist kein einfaches kommerzielles Projekt, das unsere Beziehungen mit (der Regierung in) Berlin beeinträchtigen könnte. Es ist ein russisches Projekt der böswilligen Einflussnahme, das die Energieabhängigkeit Europas von Moskau zu vertiefen droht", kritisierte McCaul. "Wenn das Putin-Regime diese Pipeline fertigstellen darf, dann nur, weil die Biden-Regierung sich dazu entschlossen hat, das zuzulassen."

Der republikanische Senator Ted Cruz - eine der treibenden Kräfte hinter den US-Sanktionen - kritisierte: "Biden hat Putins Position auf Kosten des Rests der Freien Welt erheblich gestärkt." Sein Parteikollege im Senat, Ben Sasse, warf Biden vor, Putin "ein massives strategisches Druckmittel in Europa zu geben".

Nord Stream 2 soll nach Fertigstellung 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr von Russland nach Deutschland befördern. Die USA befürchten eine zu starke Abhängigkeit Europas von russischem Gas durch das Projekt. Auch osteuropäische Staaten wie Polen und die baltischen Länder lehnen die Pipeline ab. Befürworter halten den Amerikanern entgegen, sie seien nur auf bessere Absatzchancen für ihr Flüssiggas in Europa aus.

Biden hatte Nord Stream 2 wiederholt als "schlechten Deal für Europa" bezeichnet. Ende 2019 waren die Bauarbeiten an der schon sehr weit gediehenen Pipeline gestoppt worden, nachdem die USA ein erstes Sanktionsgesetz gegen die Spezialschiffe in Kraft gesetzt hatten, die die Rohre verlegten. In einem zweiten Gesetz wurden die Sanktionsmöglichkeiten deutlich breiter gefasst. Beide Gesetze wurden im Kongress sowohl von Republikanern als auch von Demokraten unterstützt.

Bei der Nord Stream 2 AG mit Sitz im schweizerischen Zug ist der russische Konzern Gazprom formal einziger Anteilseigner. Dazu kommen aber als "Unterstützer" die deutschen Konzerne Wintershall Dea - ein Gemeinschaftsunternehmen von BASF und LetterOne - und Uniper sowie die niederländisch-britische Shell, Engie aus Frankreich und OMV aus Österreich. Nord-Stream-Aufsichtsratschef ist Altkanzler Gerhard Schröder. Bei Nord Stream 2 ist er Präsident des Verwaltungsrats./cy/mfi/cht/mgl/DP/fba