Professionelles und wissenschaftlich fundiertes Anlagemanagement lässt sich in folgender Maxime zusammenfassen: 'Meide unsystematische Risiken unbedingt und gehe systematische Risiken in kontrollierter Weise nur in dem Umfang ein, der zur Risikotragfähigkeit des jeweiligen Anlegers passt.' Systematische Risiken sind Risiken, die man auch mit einer noch so breiten Risikostreuung nicht umgehen kann (z. B. eine weltumspannende Wirtschaftskrise). Solche Risiken einzugehen, ist aber sinnvoll, weil Anleger dafür langfristig mit einer ansehnlichen Rendite belohnt werden. Solche Risiken wirken also in gewisser Weise produktiv. Als Beispiele für unsystematische Risiken werden in der Regel eine zu starke Konzentration auf Einzeltitel oder Branchen sowie eine übermäßige regionale Schwerpunktsetzung, z. B. auf den Heimatmarkt ('home bias'), genannt. Sie sind letztlich unproduktiv, weil der Anleger für das Eingehen solcher Risiken keine Entlohnung durch eine angemessene Rendite erwarten kann, auch wenn von unsystematischen Risiken geprägte Depots temporär durchaus starke Ergebnisse vorweisen können. Aber solche Depots sind eben auch viel stärkeren Verlustrisiken ausgesetzt. Zwar kann auch der Gesamtmarkt stärker einbrechen, er erholt sich aber letztlich immer davon, wogegen dies für einzelne Aktien oder Branchen nicht gewährleistet ist.

Der Begriff 'unsystematische Risiken' sowie die immer gleichen Beispiele, mit denen sie verdeutlicht werden, bergen die Gefahr, dass ihr dynamischer und ständig wechselnder Charakter verkannt bzw. unterschätzt wird.

Es handelt sich dabei eben nicht um feststehende und nur ganz bestimmten Anlagen zugeordnete Risiken, sondern sie tauchen - abhängig von der konkreten Marktentwicklung - in den unterschiedlichsten Bereichen und in den unterschiedlichsten Facetten auf. Kurzum: Unsystematische Risiken habe eine Vielzahl an Erscheinungsformen bzw. Gesichtern. Genau das ist auch der Grund, warum die unter Anlegern und manchmal sogar unter Portfoliomanagern verbreitete Überzeugung falsch ist, dass bereits eine 'ausreichend große' (was immer das heißen mag) Anzahl an Aktien in einem Depot genügt, um unsystematische Risiken zu eliminieren.

Ein zu großes Vertrauen in den risikomindernden Effekt einer scheinbar ausreichend großen Anzahl an Aktien und das damit einhergehende Sicherheitsgefühl führt z. B. bei Investmentfonds häufig dazu, dass die in diesen Fonds schlummernden unsystematischen Risiken nicht als solche erkannt werden und man sie erst bemerkt, nachdem sie 'schlagend' wurden, d. h. die Kurse bereits eingebrochen sind. Dies umso mehr, wenn vorher überdurchschnittliche Wertzuwächse zu verzeichnen waren. Das ist kein Widerspruch, sondern vielmehr die sprichwörtliche andere Seite der Medaille. Solange es 'gutgeht', können unsystematische Risiken zu (ebenso unsystematischen) Überrenditen führen. Wenn sich dann allerdings die so eingegangenen Risiken in die andere Richtung materialisieren, kommt es zu empfindlichen Verlusten aus ansonsten 'heiterem Himmel'. Denn es gibt ein untrügliches Zeichen dafür, ob bei einem Kurseinbruch systematische oder unsystematische Risiken zugeschlagen haben: Um Letztere handelt es sich nämlich dann, wenn der Kurseinbruch trotz einer seitwärts oder nach oben gerichteten Gesamtmarktbewegung erfolgte.

Und genau das ist in den letzten Monaten zum Teil in einem Bereich passiert, in dem unsystematische Risiken kaum vermutet werden, nämlich bei nachhaltigen Anlagen. Die folgende Grafik zeigt exemplarisch den Kursverlauf eines nachhaltigen aktiv gemanagten Aktienfonds1, der immerhin in insgesamt über 30 internationale Aktien investiert. Wir haben uns hier ganz bewusst für einen in Summe sehr erfolgreichen Fonds entschieden, dessen Aufstellung über die letzten fünf Jahre betrachtet zu einer erheblichen Überrendite geführt hat, insbesondere durch eine imposante Aufholbewegung nach dem Corona-Einbruch im letzten Jahr.

Dass eine zweistellige Anzahl an Aktien nicht ausreicht, um jegliches unsystematische Risiko auszuschließen, zeigt die historische Kursentwicklung, vor allem in der Phase nach dem steilen Aufstieg: Der Fonds verlor in diesem Jahr vom Hoch bis zum zwischenzeitlichen maximalen Tief rund 40 %, während der Markt (hier vereinfacht gemessen am MSCI World) in den entsprechenden drei Monaten um rund 5 % zulegen konnte - schönes 'Anlegerwetter' an den weltweiten Aktienmärkten also. Dies ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass unsystematische Risiken zugeschlagen haben.

Übrigens finden sich im Zeitraum von 2016 bis 2020 einige ähnliche Phasen mit unvorhersehbaren und mitunter drastischen Kursverlusten in Zeitabschnitten, in denen der allgemeine Markt nach oben ging (oder zumindest seitwärts tendierte). Und hier sei noch einmal daran erinnert: Es gibt keine ökonomische Logik, die gewährleistet, dass sich einzelne Aktien oder bestimmte Branchen nach einer gewissen Zeit wieder kräftig erholen.

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser, wir wollen an der Stelle nicht missverstanden werden. Dieser Beitrag ist ausdrücklich kein Plädoyer gegen ein an Nachhaltigkeitskriterien ausgerichtetes Wertpapierdepot. Im Gegenteil: Auch wir sind der Überzeugung, dass dieses Segment aus gutem Grund eine große Zukunft vor sich hat. Wovor wir nur warnen möchten (nicht nur, aber insbesondere auch im Bereich der nachhaltigen Anlagen), ist, sich mit den besten Absichten lediglich auf eine vermeintlich ausreichende Anzahl an Aktien oder eine auf den ersten Blick beeindruckende historische Performance zu verlassen und dabei den Aspekt der tatsächlich vernünftigen Diversifikation sträflich zu vernachlässigen. Das Ergebnis kann sein, dass der dann völlig unvorhersehbare und vor dem Hintergrund der allgemein positiven Marktentwicklung kaum erklärbare Rücksetzer als Ausstiegssignal für den Anleger fungiert. Insbesondere auch für diejenigen, die erst später eingestiegen sind, weil sie die zuvor so kräftige Wertentwicklung eher als Kaufsignal gewertet und so lediglich die anschließende Schwäche mitgenommen haben.

Zugegeben: Die Fondsperformance über fünf Jahre hinweg ist eindrucksvoll. Sie suggeriert, dass man mit dem Fonds in den letzten fünf Jahren nicht viel falsch machen konnte. Dieser Schein trügt allerdings, denn die Situation kann sich in den nächsten Jahren genau anders herum darstellen. Zudem barg der im Vergleich zum Gesamtmarkt deutlich stärker schwankende und deutlich konzentriertere Fonds für seine Anleger eine emotionale Achterbahnfahrt. Solche Entwicklungen leisten oftmals vorschnellen An- und Verkäufen Vorschub, so dass am Ende von der augenscheinlich schönen Performance gar nicht so viel im Portemonnaie des Anlegers übrigbleibt.

Trotz zwischenzeitlich beeindruckender Erfolge nicht ausreichend risikogestreuter Portfolios bleibt die wissenschaftliche Diversifizierung die oberste Maxime im Anlagemanagement. Und das bedeutet deutlich mehr als nur 'viele Aktien'. Gerade in aktiv und sehr streng nach Nachhaltigkeitskriterien gemanagten Fonds ist es keine Seltenheit, dass die Aktienanzahl letztlich deutlich zu gering und das Einzeltitelrisiko mithin deutlich zu hoch ist. Auch schädliche Branchenkonzentrationen sind hier immer wieder zu beobachten.

Dass wissenschaftliche Diversifikation und Nachhaltigkeit in Einklang gebracht werden können, beweist seit gut zwei Jahren unsere Vermögensverwaltung 'Verantwortung'. Damit sind unsere Kunden nicht nur in über 3.000 Aktien weltweit investiert (was zu einer ausreichend großen Streuung führt), sondern es werden darüber hinaus - neben den ESG2-Nachhaltigkeitsaspekten und dem CO2-Ausstoß - auch konsequent wissenschaftliche Diversifikationskriterien berücksichtigt. Nachhaltigkeit geht also auch ohne unsystematische Risiken.

Autoren: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagemanagement der Quirin Privatbank, in Zusammenarbeit mit Philipp Dobbert, Chefvolkswirt, und Arndt Kussmann, Leiter Portfoliokonzepte

Wie nachhaltig ist Ihr Geld angelegt? Machen Sie mit bei unserem kostenlosen Fonds-Check 'Nachhaltigkeit'. Dieser beantwortet Ihnen u. a., wie stark Ihr aktuelles Fonds-Portfolio bereits ESG-Kriterien berücksichtigt und ob Sie höhere Risiken im Vergleich zu unserer nachhaltigen Geldanlage und einem nicht nachhaltigen Welt-Portfolio eingehen.

1 Aus rechtlichen Gründen anonymisiert; wir versichern aber, dass es sich bei der dargestellten Entwicklung um den realen Kursverlauf eines nachhaltigen Publikumsfonds handelt.
2 ESG steht für Environmental, Social und Governance, zu Deutsch: Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung, und berücksichtigt daher den Aspekt der Nachhaltigkeit in mehrfacher Hinsicht.

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quirin Privatbank AG published this content on 13 August 2021 and is solely responsible for the information contained therein. Distributed by Public, unedited and unaltered, on 13 August 2021 08:20:04 UTC.