100 Milliarden Euro. Mit dieser Summe muss die gesetzliche Rentenkasse jedes Jahr vom Bundeshaushalt bezuschusst werden, weil die eingezahlten Beiträge für die auszuzahlenden Renten schlichtweg nicht ausreichen. 100 Milliarden Euro, das ist eine Eins mit elf Nullen. Jedes Jahr. Tendenz steigend. Finanziert mit Steuergeldern. Wollen Sie das mal kurz sacken lassen?

Und ich habe noch eine weitere Zahl in Sachen gesetzliche Rente, die ich wirklich ernüchternd finde: 47,6 Prozent netto vor Steuern. Das ist das aktuelle Rentenniveau der gesetzlichen Rentenversicherung, sprich das, was deutsche Rentner im Vergleich zum durchschnittlichen Erwerbseinkommen als Altersrente zu erwarten haben. Das heißt, obwohl der Bundeshaushalt jedes Jahr Milliarden Euro in die gesetzliche Rentenversicherung pumpen muss, decken die ausgezahlten Renten noch nicht einmal die Hälfte des vorherigen Einkommensniveaus - und die Tendenz zeigt weiter nach unten.

Selbst wenn wir den Blick nicht nur auf die gesetzliche, sondern auf alle drei Säulen des deutschen Rentensystems richten - die gesetzliche, die betriebliche und die private Rente -, sieht es nicht viel besser aus: In einer Mercer-Vergleichsstudie für das Jahr 2019 lag das Rentenniveau in Deutschland über alle drei Säulen hinweg auf Rang 21 von 39 Ländern und damit unterhalb des OECD-Durchschnitts. Nur vier EU-Länder lagen in dieser Studie hinter Deutschland.

Besonders kritisch wird in dieser Studie bewertet, dass es keine Pflicht zur privaten Altersvorsorge gibt. Es wird nur wenig außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung gespart. Mehr als jeder zweite Deutsche sorgt gar NICHT privat vor. Im schlechtesten Falle muss also die Hälfte der Deutschen damit rechnen, dass sich ihr Einkommen im Alter mehr als halbiert.

Ich bin kein Freund von Panikmache. Doch beim Thema Altersvorsorge ist die Situation ernst. Immer mehr Rentner müssen von immer weniger Einzahlern finanziert werden - und das funktioniert nicht mehr. In der Folge sinkt die gesetzliche Rente. Verschärft wird die Situation durch die fehlende oder falsche private Vorsorge. Da ist es zur Altersarmut nicht mehr weit. Die Folgekosten für das vom Steuerzahler finanzierte Sozialsystem sind enorm.

Auch Riester und Co. haben die Rentensituation in Deutschland nicht entspannen können. Sie werden über Steuergelder subventioniert und begünstigen in unangemessenem Umfang Finanzdienstleister wie Versicherungen, ohne einen echten Mehrwert für die Sparenden zu bringen, weil die Verträge viel zu teuer, zu unflexibel und zu unrentabel sind.

Doch es gibt auch gute Nachrichten: Es geht anders. Und das Beste daran: Es ist relativ einfach. Um die Altersvorsorge wieder auf solide Füße zu stellen, brauchen wir eine Modernisierung des gesetzlichen Rentensystems und eine Optimierung der privaten Vorsorge in Deutschland - hierfür schlage ich folgende Maßnahmen vor:

Ergänzung der gesetzlichen Rente um eine aktienbasierte Komponente

Um die teils erheblichen Einkommenslücken im Alter zu schließen, sollte ein Teil der gesetzlichen Rentenbeiträge zukünftig renditeorientierter investiert werden. Sprich: Wir brauchen eine Ergänzung zur heutigen gesetzlichen Rente in Form einer aktienbasierten Rente.

Aktuell zahlen die Deutschen 18,6 Prozent ihres Einkommens in die gesetzliche Rentenkasse ein. Mein Wunsch ist es, dass davon zunächst 2 Prozent in eine aktienbasierte Rentensparform eingezahlt werden und der Rest in der umlagenfinanzierten Rente verbleibt. Es soll also keine zusätzliche Belastung der Beitragszahler geben, sondern von den ohnehin zu zahlenden Rentenbeiträgen ein Teil in Aktien investiert werden. Diese Beiträge fehlen dann natürlich in der herkömmlichen gesetzlichen Rentenkasse. Um die Belastung der gesetzlichen Kasse anfangs im Rahmen zu halten, würde ich zunächst nur mit 2 Prozent starten, im Zeitverlauf aber gerne auf maximal 4 Prozent hochgehen, abhängig auch vom Verlauf der Entwicklung.

Warum brauchen wir diesen Aktienbaustein? Weil langfristig keine andere Anlageform die Renditen erwirtschaften kann, wie sie bei der Investition in Aktien, sprich der Beteiligung an unternehmerischem Wachstum, erzielt werden können. Wer mindestens zehn Jahre breit gestreut am weltweiten Kapitalmarkt anlegt, kann in der Regel mit einer Rendite von etwa 7 Prozent pro Jahr rechnen, das bestätigt auch der Rückblick auf die erzielten Renditen der letzten Jahrzehnte. Diesen von Experten empfohlenen Mindestanlagehorizont von zehn Jahren bringen alle Arbeitnehmer mit, die jünger als 55 Jahre sind.

Für mich ein ganz wichtiger Punkt: Durch die Verwendung eines Teils der ohnehin zu zahlenden Rentenbeiträge profitieren auch diejenigen von den Chancen des Kapitalmarkts, die es sich derzeit nicht 'leisten' können, zusätzlich zur gesetzlichen Rente privat vorzusorgen. Jeder Beitragszahler würde so automatisch Aktionär werden und von den Wachstumschancen der Kapitalmärkte profitieren können.

Bei der Umsetzung einer aktienbasierten gesetzlichen Rente ist es wichtig, dass diese nicht in der Hand des Staates, sondern einer unabhängigen Institution oder eines privaten Anbieters liegt.

Was die konkreten Wertpapiere anbelangt, in die investiert werden kann, schlagen wir einen Katalog vorab festgelegter Qualitätskriterien vor, dem alle Produkte entsprechen müssen, die für die gesetzliche Aktienrente genutzt werden können. Die Sinnhaftigkeit der Kriterien sollte wissenschaftlich belegt sein. Konkret heißt das beispielsweise, dass die Portfolis breit gestreut und global aufgestellt sind, dass eine Vielzahl von Aktienkategorien abgebildet und auf aktives Management konsequent verzichtet wird.

Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die Kostenseite gerichtet sein - ein Aspekt, der bei den derzeit bestehenden Angeboten sträflich vernachlässigt wurde. Dies hat zu exorbitanten Gesamtkostenquoten z. B. bei Riester-Verträgen geführt und die Anlagen entsprechend wenig rentierlich werden lassen. Nach meiner Überzeugung sollte die Gesamtkostenquote 0,4 % nicht übersteigen. Dies kann die Finanzbranche leisten, auch wenn mancher das Gegenteil behaupten wird.

Weitere steuerliche Förderung der Altersvorsorge und steuerliche Gleichbehandlung

Neben der skizzierten Ergänzung der gesetzlichen Rente empfehle ich eine darüber hinausgehende Förderung betrieblicher und privater Altersvorsorge mit Aktien. Für die Förderungswürdigkeit sollten dieselben Kriterien angewandt werden, die auch der skizzierten Ergänzung der gesetzlichen Rente zugrunde liegen. Zudem sollte endlich auch eine steuerliche Gleichbehandlung aller Anbieter anerkannter Altersvorsorgeprodukte umgesetzt werden.

Konkret schlage ich vor, dass für anerkannte Anlagen der Altersvorsorge, insbesondere Aktien, Erträge und Vermögenszuwächse in der sogenannten Ansparphase steuerfrei bleiben. Auszahlungen und Entnahmen nach Rentenantritt müssten mit dem dann jeweils gültigen Satz besteuert werden.

Um die steuerliche Förderung nicht zu gefährden, müssen Ansparung und Vermögensbildung zwingend bis zum Rentenantritt durchgehalten werden. Aussetzungen oder Anpassungen des Sparbetrages sollten allerdings möglich sein. Wer früher über die angelaufene Sparsumme verfügen möchte, hätte dann den vollen Steuersatz auf den Gewinnanteil zu entrichten.

Um zu vermeiden, dass ein Personenkreis gefördert wird, der dies nicht benötigt, bietet es sich an, die Steuerbefreiung der Erträge zu deckeln.

Insbesondere Menschen mit niedrigen Einkommen würden mit einem entsprechend geförderten Aktiensparplan auf Sicht einiger Jahrzehnte finanziell enorm entlastet werden. Als Vorbild könnte der amerikanische 401(k)-Aktiensparplan dienen. Hier wird ein Teil des Bruttolohnes in Aktien investiert, und zwar steuerfrei bis 19.500 USD im Jahr für Arbeitnehmer unter 50 und bis 26.000 USD für ältere Beschäftigte. Viele Arbeitgeber geben etwas zu den Einzahlungen dazu. Der Arbeitnehmer kann zwischen Aktien- und Mischfonds wählen, auch Einzeltitel sind möglich. Letzteres würde ich zwar nicht empfehlen, aber der Grundgedanke des Systems ist richtig.

Die skizzierte steuerliche Befreiung der Erträge in der Ansparphase sollte unabhängig vom Produktanbieter gewährt werden. Damit wären direkte Kapitalanlagen gleichgestellt mit Versicherungslösungen, die schon seit langem von einem solchen Steuerstundungseffekt profitieren. Eine derartige Gleichbehandlung würde die Quasimonopolstellung der Versicherungswirtschaft in diesem Bereich brechen und dem Wettbewerb um die jeweils besten Altersvorsorgelösungen nur gut tun.

Betriebliche Altersvorsorge als aktienbasiertes Opt-out-Angebot

Jeder Arbeitgeber sollte seinen Beschäftigten eine betriebliche Altersvorsorge anbieten, die in dieselbe Aktienanlage einzahlt, in die auch der 2%ige Anteil der gesetzlichen Rente investiert wird und in die gegebenenfalls auch im Rahmen privater Vorsorge eingezahlt wird. Die Erträge aus den Einzahlungen der Arbeitnehmer sowie etwaiger Zuzahlungen der Arbeitgeber sollten in der bereits skizzierten Weise steuerlich gefördert werden. Die betriebliche Altersvorsorge sollte als Opt-out-Lösung angeboten werden, das heißt, alle machen mit, es sei denn, es wird explizit abgelehnt. Privat ist es jedermann und jederfrau freigestellt, zusätzlich in beliebiger Höhe aufstocken, aber ab der festgelegten Ertragsgrenze eben steuerlich ungefördert.

Damit zahlen letztlich alle drei Säulen - gesetzliche (2 %), betriebliche und private in ein und denselben Topf ein, was mit Vorteilen für alle Beteiligten verbunden ist. Das gesamte Thema Altersvorsorge wird einfacher, übersichtlicher, kostengünstiger.

De facto haben wir - bei einer solchen Umsetzung - nur noch zwei Säulen, die gesetzliche und die betrieblich-private Rente. Riester und Co. haben versagt und sollten in die neue, ergänzende aktienbasierte Rente umgeschichtet werden.

Das ist es, was ich mir wünsche. Mit diesen Maßnahmen könnten wir die - gesetzliche wie die private - Rente wieder zukunftsfähig machen.

Und was sagen die Parteien zum Thema Altersvorsorge?

Doch wie sehen unsere Politiker das Thema Altersvorsorge? Finden sich meine Punkte auch in deren Agenda wieder? Oder was schlagen sie alternativ vor? Ich habe mir - wie im letzten Tagebuch auch - die Programme der Parteien angesehen, die die größten Chancen auf eine Regierungsbeteiligung haben. Gehen wir einmal alphabetisch durch.

CDU/CSU

Im Unionsprogramm gibt es wenig Konkretes zur Höhe der Beiträge oder zum Rentenniveau. Als Ergänzung zur gesetzlichen Rente soll es eine private, staatlich geförderte Altersvorsorge standardmäßig für jeden geben. Im Wahlprogramm steht der Vorschlag einer neuartigen 'Generationenrente'. Dabei soll ein Monatsbeitrag vom Staat von der Geburt an in einen Pensionsfonds fließen. Von dem angesparten Geld soll man im Ruhestand profitieren. Darüber hinaus sollen Kriterien für ein neues standardisiertes privates Altersvorsorgeprodukt festgelegt werden. Das soll für Arbeitnehmer verpflichtend sein, es sei denn, sie lehnen es ab (Opt-out).

Die Grünen

Die Grundaussage der Grünen lautet wie folgt: Auch im Alter müssen Menschen mit geringeren Einkommen gut leben können. Helfen soll dabei ein breit gestreuter und nachhaltiger Bürgerfonds, in den alle einzahlen. Er soll die Riester-Rente ersetzen und ausdrücklich auf Kostengünstigkeit getrimmt sein. Bürgerinnen und Bürger sollen dabei unter anderem auch von der Entwicklung am Aktienmarkt profitieren. Der Fokus soll auf nachhaltigen Anlagen liegen. Zudem sollen Arbeitgeber in Zukunft 'eine betriebliche Altersvorsorge anbieten, einen eigenen Finanzierungsbeitrag leisten und den Bürgerfonds als Standard dafür nutzen können'.

FDP

Die FDP will das Rentensystem mit einer gesetzlichen Aktienrente stabilisieren. Vorbild ist das schwedische Modell. 16 Prozent ihres Bruttoeinkommens müssen die Schweden nach demselben Prinzip wie in Deutschland an die gesetzliche Rentenkasse abführen. Darüber hinaus sind sie verpflichtet, weitere 2,5 Prozent ihres Einkommens am Kapitalmarkt in Fonds zu investieren. In welche, darf jeder selbst bestimmen. Wer keine aktive Entscheidung trifft, bekommt automatisch den staatlichen Aktienfonds AP7. Weil das System weitgehend prognosefrei bzw. passiv investiert, ist der Fonds sehr günstig und hat in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich eine zweistellige Rendite abgeworfen. Letztlich hat das System funktioniert, Altersarmut vermieden und den Staatshaushalt entlastet, weil damit auch Geringverdiener sehr effizient an den Kapitalmarkt herangeführt wurden.

SPD

Ähnlich wie die FDP will die SPD ein Angebot nach schwedischem Vorbild schaffen, das 'kostengünstig, digital und grenzüberschreitend' ist und nicht nur von Versicherungskonzernen, sondern auch von einer 'öffentlichen Institution' angeboten wird. Nach den Plänen der SPD wäre die Aktienrente eine Ergänzung, von der die gesetzliche Rente unberührt bleibt. Die SPD will die staatliche Förderung für die private Altersvorsorge 'auf untere und mittlere Einkommensgruppen' beschränken.

Endlich ein Umdenken

Wie auch immer es letztlich kommt und wer auch immer das Ruder nach den Wahlen am kommenden Wochenende in den Händen hält: Die aktuellen Überlegungen sind aus meiner Sicht ein Lichtstreif am Horizont. Das Bewusstsein, dass sich etwas ändern muss bei der Rente - und zwar grundlegend -, ist endlich auch in der Politik angekommen. Wurden Aktien hier bisher oft als Teufelszeug von Spekulanten verunglimpft, werden sie nun allmählich auch aus Sicht der Politik salonfähig. In den Programmen dreier Parteien (Grüne, FDP, SPD) finden sich erste Ansätze für die Einführung einer wie auch immer gearteten Aktienrente. Und dieses Umdenken ist gut so, liebe Leserinnen und Leser: Für die Aktienkultur in Deutschland, für die Rentner, deren Einkommenslücke verkleinert wird, und letztlich für uns alle, weil milliardenschwere Renten-Subventionen an anderer Stelle investiert werden können.

Schreiben Sie mir gerne, wenn Sie Kritik, Anregungen oder Wünsche an mich haben - gerne direkt an kms@quirinprivatbank.de - ich freue mich.

Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion

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quirin Privatbank AG published this content on 17 September 2021 and is solely responsible for the information contained therein. Distributed by Public, unedited and unaltered, on 17 September 2021 10:41:09 UTC.