Als Walter Giesswein nach dem zweiten Weltkrieg begann, die handgestrickten Pullover seiner Frau Elisabeth per Fahrrad an Kundinnen und Kunden zuzustellen, hätte er sich wohl nicht träumen lassen, dass sein Enkel Markus rund 70 Jahre später an der Spitze eines innovativen Unternehmens mit 150 Beschäftigten steht, dessen Schuhe aus feinster Merinowolle gefertigt und mit Hilfe von Robotern in die ganze Welt verschickt werden.

Anja Knass von RBI Group Communications hat den sympathischen Tiroler Unternehmer mit Weitblick getroffen und mit ihm über Investitionen in den Standort und seine Vision für eine nachhaltige Schuhindustrie gesprochen.

Herr Giesswein, 2020 hat Ihr Unternehmen den größten Umsatz seiner Geschichte verbucht. Hätten Sie sich das zu Beginn der Corona-Krise gedacht?

Nein! Als am 15. März 2020 der erste Lockdown begann, haben wir unsere Vertriebsziele für das Geschäftsjahr sogar nach unten revidiert. Händler haben zu diesem Zeitpunkt die Bestellungen eingestellt oder storniert und der Umsatz in unserem Webshop brach plötzlich um 20 Prozent ein. Gleichzeitig wurde aber damals bereits mit der Montage unserer AutoStore-Anlage begonnen, die für uns das größte Investment in unseren Standort hier in Brixlegg in den letzten 20 Jahren darstellt.

Doch bereits im April hat sich das Blatt gewendet und die Bestellungen über unseren Webshop vervierfachten sich. Ohne unsere AutoStore-Anlage hätten wir diesen Boom niemals bewältigen können. Allein am Montag nach dem 'Black Friday'-Wochenende konnten wir 20.000 Pakete verschicken. An normalen Tagen verschicken wir rund 3.000 Pakete.

Die Brüder Markus (links) und Johannes (rechts) Giesswein; Copyright: Giesswein

Womit erklären Sie sich diesen Boom?

Wir haben das Glück, dass wir zwei aktuelle Megatrends in der Modeindustrie vereinen: den natürlichen Rohstoff Wolle und die bequemen Sneakers. Letztere sind in Zeiten von Lockdowns und Homeoffice sehr stark nachgefragt und das weltweit. Vielen Kundinnen und Kunden gefällt unser Ansatz, dass wir nachhaltige und innovative Produkte anbieten und auch bei unserer Farbpalette Mut beweisen.

Durch den Wegfall des stationären Handels, hat sich das Kaufverhalten im letzten Jahr sehr stark in die virtuelle Welt verlagert. Wir haben bereits 2006 damit begonnen, unsere Online Expertise aufzubauen - damals war Amazon gerade einmal in die Gewinnzone gerutscht und wir waren durchaus zufrieden, als wir 20 Prozent unseres Umsatzes auf diesem Weg generieren konnten. Seit rund fünf Jahren haben wir unsere Online-Marketing-Aktivitäten intensiviert und holen uns hier gezielt Unterstützung von internationalen Experten.

Mittlerweile liegt der Umsatzanteil unseres eigenen Webshops bereits bei 80 Prozent - und wir liefern unsere Produkte weltweit. Durch die Digitalisierung haben wir andere Möglichkeiten im Sourcing und im Vertrieb. Wir können mit anderen KMU kooperieren, um Rohstoffe einzukaufen, oder relativ einfach große Märkte wie die USA oder Großbritannien bearbeiten.

Wie eingangs erwähnt, haben Sie 2020 eine große Investition in den Standort getätigt und eine AutoStore-Anlage mit 31 Robotern installiert. Wie wirkt sich das auf die Arbeitsplätze aus?

Positiv, denn die neue Anlage ermöglicht Wachstum. Früher sind unsere Lagerarbeiterinnen und -arbeiter mit kleinen Stahlwägen in der Hand viele Kilometer am Tag gelaufen, um die eingehenden Bestellungen abzuarbeiten. Nun flitzen die Roboter durch die Halle und kommissionieren die Ware, während sich dieselben Mitarbeitenden auf andere - fachlich höherwertige - Tätigkeiten konzentrieren können, für die wir sie intern ausbilden.

Für die Kundschaft ist es wichtig, dass sie die Produkte aus dem Onlineshop schnell und zuverlässig zu sich nach Hause geliefert bekommen und hier können wir in den Bereichen Lieferzeiten und Kundenservice einen klaren Benchmark in der Branche setzen. Das schafft Vertrauen in die Marke, bringt höhere Umsätze und schafft neue Arbeitsplätze.

© danielzangerl
Ein Roboter der Giesswein AutoStore Anlage

Kommen wir auf das Thema Nachhaltigkeit zurück. Kann man modische Schuhe denn überhaupt nachhaltig produzieren?

Ja, aber natürlich muss sich Nachhaltigkeit auch rentieren. Wir leben beispielsweise im Unternehmen einen 'Zero Waste'-Ansatz, etwas was meine Oma bereits 1972 eingeführt hat, als sie aus den Produktionsresten der damals so beliebten Wollwalkjacken den ersten Hüttenschuh genäht hat.

Aktuell fällt beim Zuschnitt unserer Schuhe noch rund 30 Prozent Abfall an, den wir farblich sortieren und der von unseren Garnspinnereien recycelt wird. Wir verdienen mit unseren Abfällen also sogar Geld. Die Herausforderung ist, dass dieser Kreislauf gut organisiert ist.

Eine weitere zentrale Frage ist, woher unsere Rohstoffe stammen. Bei der Wahl unserer Merinowolle achten wir darauf, dass die Lieferanten sich an hohe Tierwohl-Standards halten. Wir verwenden nur Wolle, die aus mulesingfreier Haltung stammt und idealerweise von Natur aus schon etwas weicher gewachsen ist (Anm. d. Red.: Mulesing ist eine schmerzhafte Methode, um Fliegenmadenbefall bei Schafen zu verhindern. Da für Giesswein Tierschutz ein zentrales Thema ist, verwendet das Unternehmen eine bessere Alternative der Merinowolle, die aus Uruguay stammt. Dort existiert kein Fliegenmadenbefall, somit ist die Wolle sozusagen von Haus aus mulesingfrei).

Aber Wolle ist nicht das einzige Material, das man gestalten kann. Wir machen auch Schuhe aus recyceltem Plastik und experimentieren aktuell mit veganem Kaktusleder. Und auch hier hilft uns die Digitalisierung dabei, dass wir mit gleichgesinnten Unternehmen auf der ganzen Welt in Kontakt treten und Kooperationen eingehen können.

© danielzangerl
Ein Paar Sneakers aus Merinowolle

Braucht es Mut, um innovativ zu sein?

Diese Art von nachhaltigen Innovationen hebt uns von der Masse ab. Heute sind die Sneakers aus Merinowolle unser Powerprodukt, aber wir haben spätestens aus der 'Trachtenkrise' Ende der 1990er Jahre gelernt, dass nichts ewig hält und Diversifikation und laufende Innovationen sehr wichtig sind.

Und mutig? Als wir 2016 unsere Wollsneaker auf den Markt gebracht haben, wollten die meisten stationären Händler sie nicht ins Sortiment nehmen. Der Schuhhandel hat nicht daran geglaubt. Aber WIR haben an unser Produkt geglaubt und kurzerhand begonnen, die Sneakers über Social Media zu bewerben, den Vertrieb noch mehr zu digitalisieren und selbst zu verkaufen. Damals war das ein recht neuer Zugang, der rückblickend zu einem bahnbrechenden Erfolg geführt hat.

Welche Themen werden Ihr Unternehmen in den kommenden Jahren beschäftigen?

Natürlich der weitere Ausbau des Geschäfts. Die Grundlage von zukünftigem Wachstum bilden Produktinnovationen und der Fokus auf unsere digitalen Vertriebskanäle. Der Markt ist hochkompetitiv, man muss ständig am Ball bleiben und auch gute Leute haben. Österreich hinkt bei der Ausbildung in den Bereichen E-Commerce, digitale Medien und Performance Marketing den großen Märkten wie China, den USA oder Großbritannien stark hinterher. Hier versuchen wir uns mit Hilfe von internationalen Experten die notwendigen Kompetenzen selbst anzueignen.

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Raiffeisen Bank International AG published this content on 25 April 2021 and is solely responsible for the information contained therein. Distributed by Public, unedited and unaltered, on 25 April 2021 05:15:04 UTC.