Von Rochelle Toplensky

NEW YORK (Dow Jones)--Gas ist ein relativ sauberer fossiler Brennstoff. Viele hoffen darauf, dass er den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Energieversorgung ebnet. Doch nun stellt sich heraus, dass er seine eigenen Übergangsprobleme hat.

In den vergangenen Monaten sind die Erdgaspreise weltweit sprunghaft nach oben geschnellt, was die Energierechnungen in die Höhe treibt. Außerdem schürt diese Entwicklung Sorgen vor einer hohen Inflation und sogar Fabrikschließungen. Der angespannte Markt ist vor allem unerwartet extremen Witterungsbedingungen, Nachholbedarf bei der Wartung nach der Pandemie, Versorgungsengpässen und einer Prise Geopolitik geschuldet.

Die gute Nachricht: Die Bedingungen im nächsten Jahr könnten wieder ganz anders aussehen. Der Frühling wird kommen und eine Welle neuer Lieferungen in Gang kommen. Die schlechte Nachricht dagegen lautet, dass die Gaspreise wahrscheinlich noch unbeständiger werden. Das liegt daran, dass die Welt den Weg zu einem kohlenstoffarmen Energiesystem bis 2050 oder darüber hinaus einschlägt. Der Gasmarkt hat derweil eine geringe Toleranz für Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage, wie seine Historie der Preisvolatilität nur zu sehr illustriert. So sind Ungleichgewichte immer schwerer zu vermeiden. Die zunehmend unsichere Nachfrage erhöht das Risikoprofil künftiger Investitionen, wodurch die Anpassung des Angebots noch langsamer und unregelmäßiger erfolgen dürfte als heute.


 
Gas dient als Allzweckwaffe 
 

Gas wird bereits in großem Umfang zum Heizen, zur Stromerzeugung und in der Glas-, Düngemittel- und Kunststoffindustrie eingesetzt. Es steht aber auch im Mittelpunkt der Energiewende, als sauberer verbrennendes Substitut für Kohle und Öl. Darüber hinaus kann es als Brennstoff für Notstromanlagen zur Überbrückung der Lücken, die durch intermittierende erneuerbare Energien entstehen dienen. Und möglicherweise lässt es sich sogar als kohlenstoffarmer Brennstoff benutzen, wenn seine Verbrennung mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung kombiniert wird.

Vorhersagen der Gasnachfrage sind derzeit schwierig und werden immer schwieriger. Hitzewellen und Kälteeinbrüche verursachen oft Nachfragespitzen, und das Wetter wird immer extremer und unberechenbarer. Die Nachfrage der ärmeren Länder wird wahrscheinlich mit ihrer Wirtschaft wachsen. Viele von ihnen haben sich jedoch den Industrieländern angeschlossen. Auch sie haben versprochen, ihre Kohlendioxidemissionen durch den Einsatz erneuerbarer Energien, die Steigerung der Energieeffizienz und andere Dekarbonisierungsmaßnahmen zu reduzieren. Wie schnell diese Veränderungen vonstatten gehen, lässt sich nur vermuten, ebenso wie der Preis für eine Tonne Kohlenstoff und welche Vorschriften oder Anreize noch hinzukommen könnten.


 
Gasangebot passt sich nur schleppend an 
 

Ebenso schwierig ist es, das Gasangebot vorherzusagen, das in der Regel nur langsam reagiert. Kein globales Kartell koordiniert die Gasversorgung so wie die Ölproduktion. Während es vielleicht nur ein paar Monate dauert, bis Gas aus einer nahe gelegenen Schieferbohrung gefördert wird, dauert es viele Jahre, bis die Pipelines oder Flüssiggasanlagen gebaut sind, die den Brennstoff zu Importeuren in aller Welt transportieren.

Eine unsicherere Nachfrage erhöht das Risiko von Gasinvestitionen. Es zeichnen sich bereits Wellenbewegungen ab. Niedrige Preise im Jahr 2020, wie auch Ende 2015, haben neue Investitionszusagen verhindert. Dagegen ermutigen hohe Preise die Anbieter, wie die jüngste Flut von LNG-Investitionsankündigungen von US-Produzenten zeigt. Die meisten dieser Investitionen werden jedoch erst Jahre später in Betrieb genommen.

Teureres Gas verbessert auch die Wirtschaftlichkeit neuer Wind- und Solarparks, wodurch ein Teil der künftigen Gasnachfrage verdrängt und möglicherweise dessen Rückgang beschleunigt wird. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass gasabhängige Förderländer wie Katar den Markt überschwemmen könnten, um ihre Kassen zu füllen, bevor die Nachfrage zurückgeht. All diese unbekannten Variablen werden wohl kaum einen ausgeglichenen Markt zulassen. Den Produzenten steht eine Achterbahnfahrt bevor, obwohl diejenigen mit Handelsabteilungen wie Shell und BP in der Lage sein dürften, von einigen dieser Schwankungen zu profitieren. Der Rest von uns sollte sich für eine rasante Berg- und Talfahrt bei den Gasmärkten anschnallen.

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September 30, 2021 09:04 ET (13:04 GMT)