--Vattenfall erhält insgesamt 1,606 Milliarden Euro

--Einigung liegt weit unter den Forderungen des schwedischen Konzerns

--Kompromiss unter Vorbehalt eines Vertragsabschlusses und der Prüfung in Brüssel

(Neu: Reaktionen, mehr Details)

Von Petra Sorge

BERLIN (Dow Jones)--Kurz vor dem zehnjährigen Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima steht der jahrelange Rechtsstreit in Deutschland um weitere Entschädigungszahlungen für den beschleunigten Atomausstieg vor der Beilegung. Die Bundesregierung einigte sich mit den vier deutschen Atomkraftbetreibern auf Ausgleichszahlungen in Höhe von bis zu 2,609 Milliarden Euro. Der Löwenanteil geht an den schwedischen Energieversorger Vattenfall, der vor einem internationalen Schiedsgericht zwar deutlich mehr gefordert hatte, nun aber seine Klage gegen die Bundesregierung fallen lassen will. Die Regelung soll noch in diesem Jahr umgesetzt werden.

Konkret sichert die Bundesregierung den Betreibern Ausgleichszahlungen in Höhe von 2,428 Milliarden Euro vor Steuern zu, wie die Ressorts Umwelt, Wirtschaft und Finanzen mitteilten. Davon gehen 1,425 Milliarden Euro an Vattenfall. Da die Verständigung auch die Einstellung sämtlicher Klagen und Prozesse umfasst, erhält das schwedische Staatsunternehmen vom Verkauf sogenannter Reststrommengen an den Essener Dax-Konzern Eon weitere 181 Millionen Euro für die noch verbleibende Betriebszeit der Eon-Kernkraftwerke.


   Atomgesetz muss überarbeitet werden 

Im Zuge des Deals gehen zudem 880 Millionen Euro an RWE, 80 Millionen Euro an den baden-württembergischen Staatsversorger ENBW und 42,5 Millionen Euro an die Eon-Atomtochter Preussenelektra. Dies soll in den kommenden Tagen detailliert in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag geregelt werden, dem auch der Bundestag zustimmen soll. Im Gegenzug verzichten die Unternehmen auf sämtliche Klagen oder Rechtsbehelfe. Auch ein seit Dezember 2018 am Landgericht Hamburg anhängiger Streit zwischen Vattenfall und Preussenelektra wird beendet.

Allerdings muss zuvor noch die EU-Kommission grünes Licht für die Einigung geben. Anschließend sollen die Regelungen in das erneut geänderte Atomgesetz einfließen - in die dann 18. Novelle. Im Januar hatte das Umweltministerium einen Entwurf vorgelegt, der die Entschädigungsfragen noch offen ließ. Die Bundesregierung betonte, dass die Einigung keine Folgen für den Atomausstieg habe, wonach das letzte deutsche Kernkraftwerk spätestens Ende 2022 vom Netz gehen soll.


   Vattenfall nennt Deal "letztlich akzeptabel" 

In dem privaten Schiedsgerichtsverfahren vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten in Washington (ICSID) hatte Vattenfall noch 4,4 Milliarden Euro von der Bundesrepublik gefordert, inklusive Zinsen zuletzt sogar 6,1 Milliarden Euro. Die nun zugesicherte Summe von 1,606 Milliarden Euro sei "eine konservative Umsetzung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die für uns letztlich akzeptabel ist", erklärte Vattenfall-Präsidentin Anna Borg.

Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth (SPD) erklärte, die Einigung sei zu einem Preis gelungen, der deutlich unter den Vorstellungen der Unternehmen gelegen habe. "Das ist aus meiner Sicht darauf zurückzuführen, dass die gesamte deutsche Energiewirtschaft heute mittlerweile ganz auf die Erneuerbaren ausgerichtet ist und auch die Konzerne strategisch mit der alten Strom-Welt abgeschlossen haben."


   Streit um Reststrommengen zieht sich seit Jahren hin 

Die Karlsruher Richter hatten den Atombetreibern 2016 und zuletzt im Herbst 2020 im November Entschädigungszahlungen zugebilligt. Es ging dabei unter anderem um den Ausgleich für sogenannte Reststrommengen, welche sowohl Vattenfall als auch RWE nicht mehr in konzerneigenen Anlagen erzeugen konnten. Diese Mengen waren beiden Versorgern in ihren Atomkraftwerken beim ersten Atomausstiegsbeschluss 2002 zunächst zugeteilt und mit der Wende nach Fukushima 2011 wieder gestrichen worden. Nun sollen beide Versorger 33,22 Euro pro Megawattstunde brutto für die nicht mehr erzeugbare Strommengen erhalten. Der Versorger RWE bezeichnete die Einigung als "ein gutes Signal, um das Vertrauen in den Standort Deutschland zu stärken".

In den Fällen der Versorger ENBW und Preussenelektra geht es vor allem um sogenannte frustrierte Investitionen, welche die Unternehmen im Vertrauen auf die 2010 in Kraft getretene Laufzeitverlängerung getätigt hatten. Diese wurden dann aber 2011 entwertet. Die Eckpunkte sehen ergänzend vor, dass die Eon-Tochter über die rechnerisch ihrem Miteigentumsanteil entsprechenden Strommengen der Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel frei verfügen, sie also in ihren konzerneigenen Kraftwerken verstromen kann.


   ENBW sieht "vernünftigen Kompromiss" 

Eon begrüßte die Einigung und forderte "jetzt so zügig wie möglich" eine gesetzliche Regelung zu schaffen. Auch ENBW ist nun zufrieden: "Wir sehen in der Verständigung einen vernünftigen Kompromiss, mit dem ein weiterer Aspekt des Kernenergieausstiegs nun sinnvoll gelöst werden kann", erklärte ein Sprecher des Unternehmens in Karlsruhe.

Von "unverschämt viel Geld für längst abbezahlte und abgeschaltete Atommeiler" sprach die Vorsitzende des Umweltausschusses Sylvia Kotting-Uhl (Grüne). "Dennoch sind die Steuerzahlerinnen angesichts der horrenden Forderungen von Vattenfall vor dem intransparenten Schiedsgericht in Washington eventuell noch glimpflich davon gekommen."


   Aktivisten kritisieren internationalen Energiecharta-Vertrag 

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) übte vor dem Hintergrund auch Kritik am internationalen Energiecharta-Vertrag, auf dessen Grundlage Vattenfall die Bundesrepublik verklagt hatte. Man lehne Handels- und Investitionsschutzabkommen "entschieden ab, die Sonderklagerechte für Konzerne enthalten und verfassungsrechtliche Rechtsprechung zu Gunsten von Konzerninteressen unterlaufen können", erklärte BUND-Vorsitzender Olaf Bandt.

Kontakt zur Autorin: petra.sorge@wsj.com

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March 05, 2021 10:39 ET (15:39 GMT)