Seinem wichtigsten Wachstumsprojekt für den Spezialchemiekonzern, einem geplanten Gemeinschaftsunternehmen mit dem saudiarabischen Petrochemieunternehmen Sabic, droht das vorzeitige Ende. Somit würde ein weiterer Anlauf des Deutschen scheitern, einen unabhängigen Anbieter zu formen, der in der Branche ganz vorne mitspielen kann - und das nur einen Tag nach dem überraschenden Abgang von Konzernchef Ernesto Occhiello. Doch damit nicht genug: Dem am Donnerstag veröffentlichten Halbjahresbericht zufolge trübt sich auch das Tagesgeschäft ein. Und schließlich stellt sich Clariant auf eine hohe Kartellstrafe der EU ein.

Clariant und Sabic setzen die Gespräche zur Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens aus, wie die beiden Unternehmen mitteilten. Clariant begründete den Schritt mit den aktuellen Marktbedingungen. Sabic erklärte, die Gespräche würden wieder aufgenommen, sobald sich das Umfeld aufhelle.

Clariant und Saudi Basic Industries, wie Sabic mit vollem Namen heißt, hatten im September vereinbart, dass Sabic den Schweizern bis Ende 2019 Geschäfte mit einem Umsatz von rund zwei Milliarden Franken verkauft. Diese sollten in eine Geschäftseinheit eingehen, die Hochleistungskunststoffe etwa für die Automobil-, Luftfahrt-, Elektronik- und Robotik-Branche herstellt und bei vergleichsweise hohe Margen überdurchschnittlich wächst. Daraus wird nun vorerst wohl nichts.

Clariant-Finanzchef Patrick Jany erläuterte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters, dass unterschiedliche Preisvorstellungen zum Ende der Verhandlungen geführt hätten. Wenn sich die Marktbedingungen eintrübten, sei es nur normal, dass die beiden Seiten nicht einig würden. "Der Verkäufer würde weniger erhalten als erwartet und wir müssten aus unserer Sicht zu viel bezahlen", sagte Jany. Ein Insider erklärte, die Verhandlungen seien auch aus anderen Gründen zäh gewesen. Gegenwärtig sehe es nicht danach aus, also ob es einen zweiten Anlauf geben werde. Der am Vortag gemeldete abrupte Rücktritt von Clariant-Chef Occhiello stehe in Zusammenhang mit dem Abbruch der Verhandlungen. Der Italiener war zuvor Manager bei Sabic. Kottmann zufolge will Clariant bis spätestens Anfang 2020 einen neuen Konzernchef präsentieren.

"WAS FÜR EIN CHAOS"

Wie es nun weitergeht, ist unklar. Sabic hält weiterhin rund ein Viertel der Clariant-Anteile und ist damit größter Aktionär. Das Paket kauften die Saudis dem aktivistischen Investor White Tale ab. White Tale hatte den Versuch Kottmanns torpediert, Clariant mit der amerikanischen Huntsman zusammenzulegen.

Auch bei Sabic zeichnet sich ein Wechsel der Eigner ab. Der saudische Ölriese Aramco hat vereinbart, den Kontrollanteil an Sabic für 69 Milliarden Dollar von einem Staatsfonds zu übernehmen. Unabhängig davon ist es für Baader-Helvea-Analyst Markus Mayer nur eine Frage der Zeit, bis Sabic eine Übernahmeofferte für die ganze Clariant vorlegt.

Clariant will nun zuerst einmal mehr Geschäftsbereiche verkaufen als ursprünglich geplant. Die Transaktionen sollen bis Ende 2020 abgeschlossen sein. Die Erlöse will Clariant nutzen, um in neue Produkte zu investieren, die Bilanz zu stärken und Kapital an die Aktionäre auszuschütten.

Im ersten Halbjahr verbuchte Clariant einen Verlust von 101 Millionen Franken nach einem Gewinn von 211 Millionen in der Vorjahresperiode. Neben Kosten für die Ausgliederung von Aktivitäten machte der Konzern dafür Rückstellungen für eine laufende wettbewerbsrechtliche Untersuchung der EU-Kommission in Bezug auf den Beschaffungsmarkt für Ethylen verantwortlich.

"Was für ein Chaos", erklärte Analyst Mayer. Sein Kollege Daniel Buchta von der Bank Vontobel hält Clariant für einen Restrukturierungsfall. Das Unternehmen werde die eigene Prognose nicht erfüllen können. Die Clariant-Aktie brach um 11,7 Prozent ein.