Von Rochelle Toplensky

NEW YORK (Dow Jones)--Der ehrgeizige Plan Europas, seine Abhängigkeit von russischem Gas in diesem Jahr um zwei Drittel zu reduzieren, könnte funktionieren. Aber das wird seinen Preis haben - in wirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht. Es wird erwartet, dass die Europäische Union in dieser Woche eine weitere Runde von Sanktionen verhängt, die Branchen wie Stahl und Luxusgüter betreffen. Doch die Art von Verboten für russische Energie, wie sie von den USA und Großbritannien verhängt wurden, steht nicht zur Debatte. Mit dem Bestreben der EU, ihre Abhängigkeit von russischen Brennstoffen bis 2027 zu beenden, kommt auch so schon einiges auf sie zu.

Die EU will die russischen Gasimporte von derzeit rund 155 Milliarden Kubikmetern pro Jahr auf etwa 55 Milliarden Kubikmeter im nächsten Jahr senken. Sie kann über die bestehenden Pipelines aus Norwegen, Algerien und Aserbaidschan etwa zehn Milliarden Kubikmeter mehr Gas beziehen, muss aber auch die fünffache Menge als Flüssiggas (LNG) kaufen. Wahrscheinlich verfügt Europa über genügend Importkapazitäten, um dies zu bewerkstelligen. Dennoch wird dies Komplikationen und Ineffizienzen mit sich bringen, die mit dem Transport von mehr Brennstoff innerhalb der Gemeinschaft verbunden sind. Spanien, Frankreich und Italien verfügen über mehrere LNG-Terminals, aber ausgerechnet Deutschland, der größte Gasimporteur der Union, besitzt keine, da es sich bisher für russische Pipelines entschieden hat. Nun werden zwei LNG-Anlagen geplant, deren Bau jedoch noch Jahre dauern wird.

Und dann ist da noch die Frage der Versorgung. Mit Hilfe Washingtons hat Europa in den ersten beiden Monaten dieses Jahres große Mengen LNG importiert, aber es wird sehr teuer werden, den begrenzten globalen Spotmarkt auf Dauer so stark zu beanspruchen. Zwischen 40 Prozent und 50 Prozent der chinesischen LNG-Importe in den letzten beiden Jahren waren Spotmengen, doch im Januar und Februar sank dieser Anteil auf nur noch zehn Prozent bis 20 Prozent, so Sindre Knutsson, Analyst beim Beratungsunternehmen Rystad Energy. China und Europa laufen Gefahr, in einen Bieterkrieg zu geraten, wenn sie versuchen, ihre Vorräte aufzufüllen.

Letztendlich kann Europa die LNG-Kosten senken, indem es langfristige Lieferverträge abschließt, die sich durch den Ausbau von LNG-Anlagen in den USA oder Katar ergeben. Diese könnten jedoch frühestens 2024 in Betrieb genommen werden, so Knutsson. Die EU plant auch, die Energieeffizienz von Gebäuden und Haushalten zu verbessern, um jährlich 14 Milliarden Kubikmeter einzusparen, davon zehn Milliarden Kubikmeter durch die Absenkung der Heiztemperatur in Gebäuden um ein Grad Celsius. In Bezug auf ihre Energieeffizienz-Ziele konnte die EU bislang nur eine gemischte Bilanz vorweisen. Die heutigen hohen Energiekosten und der gute Wille der Bevölkerung im Kampf gegen Putin sollten ihr jedoch helfen, dieses Mal mehr zu leisten.


   stillgelegte Kohlekraftwerke als Alternativen ? 

Wenn diese Maßnahmen nicht greifen, gibt es auch noch schmutzigere Optionen. Im Moment sehen die EU-Pläne nicht vor, dass stillgelegte Kohlekraftwerke wieder in Betrieb gehen sollen. Der Rückgriff auf diese alten Anlagen könnte aber bis zu 40 Milliarden Kubikmeter ausgleichen, sagt Simone Tagliapietra von der EU-Denkfabrik Bruegel. Ein gewisses Maß so genannter Nachfrage-Disruption könnte sich ebenfalls einstellen, wenn industrielle Nutzer Projekte streichen, die durch höhere Kosten unwirtschaftlich geworden sind. Historisch gesehen wurde die Nachfrage abgewürgt, wenn die Ölkosten vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschritten, sagt Neil Beveridge, Analyst bei Jefferies. Jetzt liegen sie bei 4,5 Prozent.

Anleger haben einige Möglichkeiten, sich an dem EU-Plan zu beteiligen. Unternehmen wie Schneider Electric und ABB, die Energieeffizienz und Nachhaltigkeit auf ihre Fahnen geschrieben haben, profitieren bereits. Die Windturbinenhersteller Vestas, Nordex und Siemens Gamesa werden voraussichtlich ebenfalls zulegen, obwohl sie der Kosteninflation besonders ausgesetzt sind. Die Entwickler erneuerbarer Energien Iberdrola, Enel und EDP könnten ebenfalls auf der Gewinnerseite stehen , ebenso wie die LNG-Lieferanten Shell, Equinor und Cheniere Energy, obwohl bei einigen dieser Unternehmen das Risiko von Mitnahmeeffekten besteht.

Es bleibt unklar, wer am Ende die Rechnung für die höheren Energiekosten bezahlen wird. Höchstwahrscheinlich werden Regierungen, Verbraucher und Unternehmen die Kosten gemeinsam stemmen müssen. Europa kann ohne russisches Gas auskommen, aber seine Wirtschaft wird den Schlag spüren.

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March 15, 2022 04:23 ET (08:23 GMT)