HANNOVER (dpa-AFX) - Wegen der Krise in der Windindustrie und des Abbaus von Tausenden Arbeitsplätzen bei Enercon wird der Chef des Windkraftanlagenbauers, Hans-Dieter Kettwig, am Mittwoch in der Staatskanzlei in Hannover erwartet. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat zum Krisentreffen geladen. Auf Einladung von Weil wird auch Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Armin Willingmann (SPD) an dem Gespräch teilnehmen - ebenso wie Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU). Enercon hatte die Energiepolitik insbesondere des Bundes mitverantwortlich gemacht für den Niedergang der Windbranche.

Was hat Enercon genau vor?

Enercon - einer der größten deutschen Hersteller von Windkraftanlagen

- hat am Freitag eine umfassende Neuausrichtung angekündigt, mit der

auch rund 3000 Jobs wegfallen sollen. Von dem Stellenabbau dürften die Standorte in Ostfriesland und Magdeburg jeweils zur Hälfte betroffen sein. Aber auch bei Produktionspartnern, Zulieferern und Zeitarbeitsfirmen ist mit Einschnitten zu rechnen. "Uns ist bewusst, was dieser schmerzhafte Schritt für die Beschäftigten in den betroffenen Unternehmen bedeutet", sagte Enercon-Chef Kettwig. Das tatsächliche Ausmaß an den einzelnen Standorten und die Auswirkungen auf die Lieferketten ist laut Enercon jedoch noch nicht abzusehen.

Wie groß ist die Krise der Windindustrie?

Früher war Deutschland der größte Markt für Windkraftanlagen in Europa. Doch diese Zeiten sind vorbei, jetzt herrscht Flaute. Vor allem der Ausbau der Windkraft an Land ist im ersten Halbjahr 2019 eingebrochen. Nur rund 150 Anlagen wurden neu errichtet, rund 80 Prozent weniger als im Vorjahr. Enercon ist dabei kein Einzelfall: Im April meldete der Hamburger Konkurrent Senvion Insolvenz an. Und bei Nordex ging der operative Gewinn im ersten Halbjahr um mehr als die Hälfte zurück. Als Hauptgründe für die Krise gelten lange Genehmigungsverfahren, zu wenige Flächen und viele Klagen von Bürgerinitiativen. Nach Angaben der Gewerkschaft IG Metall stehen Zehntausende Jobs in strukturschwachen Regionen auf dem Spiel.

Warum ist die Windbranche wichtig?

Die Windenergie gilt als besonders klimafreundlich. Nach Angaben des Umweltbundesamts hat eine Anlage bereits nach drei bis sieben Monaten so viel Energie produziert wie für Herstellung, Betrieb und Entsorgung aufgewendet werden muss. Das sei selbst im Vergleich mit anderen erneuerbaren Energien eine kurze Zeit. Um die Klimaziele zu erreichen, will die Bundesregierung bis 2030 den Anteil von Ökostrom beim Stromverbrauch auf 65 Prozent steigern. In den ersten neun Monaten 2019 lag der Anteil erst bei rund 43 Prozent. Da die Atomkraftwerke vom Netz genommen werden und auch mit Strom aus Kohle Schluss sein soll, drängt die Zeit, um die Erneuerbaren auszubauen.

Ministerpräsident Weil erneuerte deswegen im Gespräch mit der "Emder Zeitung" (Mittwoch) seinen Ruf nach einem "Neustart der Energiewende". Bereits nach Bekanntwerden des Stellenabbaus bei Enercon hatte er gemahnt, dass neben den Jobs auch die Glaubwürdigkeit der Klimapolitik auf dem Spiel stehe. "Ohne Windenergie kein Klimaschutz", sagte er nun der Zeitung.

Was macht Niedersachsens Landespolitik?

Zunächst einmal stehen Gespräche an. Nach dem Krisentreffen von Weil und Althusmann mit Enercon-Chef Kettwig reist der Wirtschaftsminister noch am Mittwoch nach Aurich, wo Enercon seinen Sitz hat. Dort will sich Althusmann mit dem Landrat und der IG Metall beraten. Weil wird laut Staatskanzlei am Samstag mit Energieminister Olaf Lies (SPD) nach Aurich fahren, um mit Arbeitnehmervertretern zu sprechen.

Lies hat zudem einen Sechs-Punkte-Plan vorgeschlagen: Darin formuliert der Energieminister das Ziel, jährlich Windenergieanlagen an Land mit einer Gesamtleistung von fünf Gigawatt zu bauen. Daneben bringt er unter anderem Staatsbürgschaften für kriselnde Unternehmen der Branche ins Spiel. Auch Regeln zur Flugsicherheit müssten geändert werden, fordert Lies: Statt wie bisher 15 Kilometer Abstand zu sogenannten Drehfunkfeuern einhalten zu müssen, reichten auch die in anderen Ländern üblichen 10 Kilometer.

Und was unternimmt die Bundespolitik?

Anfang September hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) angesichts des stagnierenden Ausbaus zu einem "Windkraftgipfel" geladen. Im Oktober kündigte er dann Maßnahmen an: Dazu gehören neben verschärften Regelungen zum Abstand von Windrädern zu Wohnhäusern auch Änderungen beim Artenschutz. Die Abstandsregelung soll die Akzeptanz der Windkraft erhöhen - macht aber auch die Suche nach Flächen für die Branche schwieriger. Kritiker sehen sie deshalb nicht als Antrieb, sondern als weitere Hürde für den Ausbau. Länder und Kommunen sollen nun selbst entscheiden können, ob sie von dieser Regelung abweichen oder nicht.

Der Chef des IG-Metall-Bezirks Küste, Meinhard Geiken, schlug zudem vor, die Bundesregierung könne "mit einer Verlängerung der Kurzarbeit von 12 auf 24 Monate für die Windbranche in der Strukturkrise kurzfristig eine Möglichkeit schaffen, um die Beschäftigten zu halten statt zu entlassen"./cwe/DP/nas