Von Mark Maurer

LONDON (Dow Jones)--Unternehmen, die sich von ihren russischen Beteiligungen trennen, müssen nach Ansicht von Experten hohe Abschreibungen vornehmen und sind mit komplexen Bilanzierungsentscheidungen konfrontiert. Unternehmen wie BP, Shell und Apple haben begonnen, ihre Beziehungen zu Russland zu kappen, da das Land seine Angriffe auf die Ukraine fortsetzt. Am vergangenen Wochenende teilte BP mit, dass es sich aus seiner rund 20-prozentigen Beteiligung an der Ölgesellschaft Rosneft zurückziehen wolle, und Shell erklärte kurz darauf, dass es Joint Ventures mit Gazprom beenden wolle. Außerdem will Shell seine Finanzierung des Erdgaspipeline-Projekts Nord Stream 2 stoppen.

Das Rohstoffunternehmen Glencore erklärte, es überprüfe seine Geschäfte in Russland, einschließlich der Beteiligungen an der EN+-Group und Rosneft. Auch Unternehmen, die nicht in der Öl- und Gasindustrie tätig sind, wie Apple und Dell, erklärten, sie würden sich aus Russland zurückziehen und den Verkauf ihrer Produkte einstellen. Die Muttergesellschaft von TJ Maxx - TJX Cos. - erklärte zuletzt, dass sie ihre Beteiligung an Familia, einer in Luxemburg ansässigen Billigbekleidungskette mit mehr als 400 Filialen in Russland, aufgeben werde.


   BP will Verkauf seiner Rosneft-Beteiligung forcieren 

Dies ist jedoch mit Kosten verbunden. Die Veräußerung russischer Beteiligungen und Joint Ventures wird nach Ansicht von Wirtschaftsprüfern und Bewertungsberatern wahrscheinlich eine Delle in den Gewinn- und Verlustrechnungen der betroffenen Unternehmen hinterlassen, da ihr Wert gesunken ist. Nach US-amerikanischen und internationalen Rechnungslegungsstandards müssen Unternehmen Wertminderungen dann vornehmen, wenn die Summe der geschätzten künftigen Cashflows aus einem Vermögenswert unter seinem Buchwert liegt. Solche Wertminderungen betreffen materielle Vermögenswerte wie Fabriken und Grundstücke. Aber es dreht sich auch um immaterielle Vermögenswerte wie Marken und Firmenwerte, die entstehen, wenn ein Unternehmen ein anderes zu einem Preis kauft, der über dem Marktwert der übernommenen Vermögenswerte liegt. In Russland können die Vermögenswerte ausländischer Unternehmen von Joint Ventures bis hin zu Anlagen, Ölfeldern und Raffinerien reichen. Wertminderungen bedeuten in der Regel, dass ein Vermögenswert einen Teil seines Wertes verloren hat, während Abschreibungen einen vollständigen Wertverlust anzeigen.

Die Wertminderungen aus diesen Veräußerungen, von denen einige milliardenschwere Beteiligungen sind, werden wahrscheinlich zu den größten Wertberichtigungen des Jahres gehören, so David Trainer von New Constructs, einem Investment-Research-Unternehmen. "Sie haben mit erheblichen Verlusten zu rechnen", schildert er die Lage. So plant BP beispielsweise erhebliche nicht zahlungswirksame Aufwendungen, um die seit 2013 aufgelaufenen Währungsverluste und die Neubewertung des Rosneft-Anteils als Finanzanlage statt als Kapitalbeteiligung in den Büchern zu berücksichtigen. 2013 war das Jahr, in dem das Unternehmen den 20-prozentigen Rosneft-Anteil erwarb. Nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) kann BP seine Beteiligung nicht mehr nach der Equity-Methode bilanzieren, da das Unternehmen nicht die Kriterien für einen "maßgeblichen Einfluss" auf Rosneft erfüllt. So traten übers Wochenende zwei BP-Direktoren aus dem Rosneft-Vorstand zurück.


   Konzerne finden kaum kaufwillige Unternehmen 

BP wird den beizulegenden Zeitwert des Anteils am Ende des ersten Quartals ermitteln und die Differenz zwischen diesem Betrag und dem Wert von rund 14 Milliarden US-Dollar in seinen Büchern zum Ende Dezember 2021 abschreiben. "Je nachdem, wie der Marktwert eingeschätzt wird, wird ein Teil der 14 Milliarden Dollar abgeschrieben", betont ein BP-Sprecher. Das Unternehmen plant, die Kosten im Mai im Rahmen seiner Ergebnisse für das erste Quartal auszuweisen. Der Wert der BP-Beteiligung an Rosneft liege "nahe bei null", sagte BP-Board-Mitglied Sir John Sawers zuletzt auf einer Veranstaltung des Wall Street Journal. Sawers sieht Probleme auf seinen Konzern zukommen, wenn sich der sich von seiner Beteiligung trennt. "Wenn man jetzt versucht, sie zu veräußern, wird niemand daran interessiert sein, sie zu kaufen, also muss man darüber verhandeln, wie man den Wert auf irgendeine Weise schützen kann."

Shell berichtet derweil darüber, dass der Ausstieg aus seinen russischen Joint Ventures den Buchwert der russischen Vermögenswerte verringert und zu Wertminderungen führt. Nach Unternehmensangaben hielt Shell Ende 2021 rund 3 Milliarden Dollar langfristige Vermögenswerte in diesen Joint Ventures. Der Konzern will nun eine gründliche Wertminderungsanalyse vornehmen, wie ein Sprechern sagte. Das Unternehmen prüft auch alle Möglichkeiten für einen Ausstieg, wie etwa einen Verkauf oder eine Übertragung von Eigenkapital. Die Unternehmen haben noch nicht im Detail dargelegt, wie sie den Ausstieg gestalten wollen. So ist beispielsweise nicht klar, wie sie mit einem Käufer über einen Verkauf verhandeln würden oder ob sie die Vermögenswerte einfach aufgeben, wenn sie keinen Käufer finden. Auch die von den USA und Europa verhängten Sanktionen werden den Kreis der möglichen Käufer einschränken. In einigen Fällen dürfen die Unternehmen nur an einen Joint-Venture-Partner verkaufen, was den Wert einer Beteiligung verringern dürfte.


   Es drohen Abschreibungen bis auf einen Wert von null 

Die Bestimmung der aktuellen Asset-Werte gestaltet sich angesichts der wirtschaftlichen Belastung durch die Sanktionen und die geopolitische Unsicherheit schwierig, wie Direktor Shishir Khetan von der Investmentbank Stout Risius warnt. Wenn die Krise und die Sanktionen in den kommenden Wochen andauern, könnten Unternehmen beschließen, ihre einst wertvollen Vermögenswerte auf null abzuschreiben - was bedeutet, dass sie keinen Wert mehr haben, so Khetan. "Die Unternehmen könnten sich einfach zurückziehen, und das wäre eine vollständige Wertminderung", gibt er zu bedenken. Der genaue Umfang der Wertminderungen kristallisiert sich in den kommenden Quartalen heraus, wenn die Unternehmen sie in ihren Jahresabschlüssen offenlegen. Die Ermittlung dieser Zahlen wird mehr Scharfsinn als üblich erfordern, wie Professor Philip Keejae Hong von der Central-Michigan-Universität erläutert. "Es ist immer schwierig, den Marktwert zu einem bestimmten Zeitpunkt zu bestimmen, und das politische Klima ist nicht gerade hilfreich."

Einige Unternehmen versuchen, die Prüfung von Wertminderungen so lange wie möglich hinauszuzögern, um sie als Teil des aufgegebenen Geschäftsbetriebs statt des fortgeführten Geschäftsbetriebs zu verbuchen, so Professor Paul Chaney von der Vanderbilt-Universität. Auf diese Weise können sie vermeiden, geringere Einnahmen aus fortgeführten Geschäftsbereichen auszuweisen, sagt er. Die Unternehmen könnten sich überlegen, was die besten Berichtsstrategien für sie wären, damit sie mit einem blauen Auge aus der Situation herauskämen.


   Unternehmen haben sich gerade erst von Corona erholt 

Im vergangenen Jahr verzeichneten die Unternehmen geringere Wertminderungen von Vermögenswerten, da sich die Wirtschaft weiterhin von der Covid-19-Pandemie erholte. Die im S&P 500 notierten Unternehmen meldeten für das vergangene Jahr Wertminderungen in Höhe von 12,59 Milliarden Dollar, gegenüber 109,21 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020, wie der Datenanbieter Calcbench herausfand. Der Anstieg im Jahr 2020 ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Öl- und Gasunternehmen wegen der sinkenden Energiepreise und des zunehmenden Drucks zur Verringerung der Kohlenstoffemissionen Wertberichtigungen verbuchten. Laut Calcbench hatten bis zur Wochenmitte etwa 94 Prozent der S&P 500-Unternehmen ihre Geschäftszahlen für das Jahr 2021 vorgelegt.

(Mitarbeit: Nina Trentmann)

Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

DJG/DJN/axw/sha

(END) Dow Jones Newswires

March 04, 2022 03:31 ET (08:31 GMT)