MÜNCHEN (dpa-AFX) - Der Technologiekonzern Siemens spürt die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie. So musste das Unternehmen spürbare Einbußen im zweiten Geschäftsquartal (Ende März) hinnehmen. Schwächer entwickelten sich dabei die Geschäfte mit Kunden aus Schlüsselindustrien wie dem Maschinenbau, dem Auto- und dem Flugzeugbereich. Im dritten Quartal dürfte die Talsohle erreicht werden, schätzt Konzernchef Joe Kaeser. Eine schnelle Erholung erwartet der Manager nicht. In der Krise kann Siemens jedoch auf einen robusten Auftragsbestand und ein gutes Finanzpolster bauen und treibt seinen Umbau voran. Investoren bewerten dies am Freitag positiv, die Aktie gewinnt am Vormittag mehr als 5 Prozent.

Die Krise bringe gewaltige Herausforderungen mit sich, sagte Kaeser am Freitag in einer Telefonkonferenz zu den Zahlen zum zweiten Geschäftsquartal. Dies gelte für die Absatzseite aber auch für die Finanzierbarkeit von Großprojekten. Zudem stünden die Lieferketten unter Druck. Die "volle Wirkung des weltweiten Shutdown" erwartet Kaeser jedoch erst für das dritte Geschäftsquartal (Ende Juni). "Wir werden eine deutliche Eintrübung sehen, insbesondere bei den kurzzyklischen Geschäften." Dies betrifft vor allem das Geschäft mit der Digitalisierung. So geht Finanzvorstand Ralf Thomas von einem zweistelligen Volumenrückgang bei der Sparte aus.

Eine zügige Erholung erwartet Siemens indes nicht. "Wir gehen davon aus, dass wir eine längere Bodenbildung sehen", sagte Kaeser. Dabei kann Siemens jedoch auf eine robuste Auftragslage blicken. Insgesamt kommt der Konzern auf einen Auftragsbestand ohne die vor der Abspaltung stehende Tochter Siemens Energy von 69 Milliarden Euro, wie der stellvertretende Konzernchef und designierte Kaeser-Nachfolger Roland Busch erläuterte.

Im zweiten Geschäftsquartal sank der Auftragseingang um 8 Prozent auf 15,2 Milliarden Euro. Das lag vor allem an geringeren Großaufträgen für die Zugsparte. Der Umsatz lag stabil bei 14,2 Milliarden Euro. Ergebnisseitig bekam Siemens die Pandemie stärker zu spüren. So sank das bereinigte operative Ergebnis der Industriegeschäfte (Ebita) um 18 Prozent auf knapp 1,6 Milliarden Euro. Darin enthalten sind Kosten für den Personalabbau.

Deutlich schwächere Geschäfte verzeichnete Siemens dabei in den Geschäftsfeldern Digitalisierung und Smarte Infrastruktur. Hier will Siemens nun noch stärker an der Kostenschraube drehen. Bis 2021 sollen jetzt 475 Millionen Euro eingespart werden, 165 Millionen mehr als geplant. Als Stabilisator wirkte die Medizintechniktochter Siemens Healthineers.

In den Zahlen nicht mehr enthalten ist Siemens Energy. Die Tochter wird als nicht fortgeführtes Geschäft klassifiziert. Die Ausgliederung belastete das Konzernergebnis. Nach Steuern brach der Gewinn von Siemens um 64 Prozent auf 697 Millionen Euro ein.

Die Prognose für das laufende Geschäftsjahr kann Siemens nicht mehr halten. So erwartet das Unternehmen nun anstelle eines moderaten vergleichbaren Umsatzanstiegs einen entsprechenden Rückgang um bis zu fünf Prozent. Die Ergebnisprognose zog Siemens ganz zurück. Dennoch zeigte sich der Konzern zuversichtlich, gestärkt aus der Krise gehen zu können.

Dabei sieht Busch zwei Trends für die Post-Corona-Zeit. So erwartet der Manager, dass die Digitalisierung Geschäfte noch stärker durchdringen und ein Wettbewerbsvorteil sein wird. Zudem werde es "zu einer mitunter tiefgreifenden Neujustierung der Fertigungs- und der Lieferketten kommen", schätzt er. Es habe sich gezeigt, wie anfällig diese seien. "Ich bin überzeugt, dass künftig auch wieder in Hochlohnländern wettbewerbsfähig produziert werden kann, und zwar durch mehr Automatisierung und IoT-Technologien, also durch die Verknüpfung der realen und der digitalen Welt." Für Siemens böten sich hier langfristig "große Chancen".

Seine Neuausrichtung hin zum Kerngeschäft Digitalisierung treibt Siemens daher weiter voran. So hält der Konzern am Zeitplan für die Abspaltung und die Börsennotierung seines Energiegeschäfts fest. Seit 1. April fungiert Siemens Energy als eigenständige Einheit. In dem Geschäft ist neben der Sparte Gas and Power auch die Beteiligung am Windanlagenbauer Siemens Gamesa enthalten. Im September soll die Börsennotierung erfolgen. Die Aktionäre sollen in einer außerordentlichen Hauptversammlung am 9. Juli darüber abstimmen.

Dazu schmiedet Siemens weitere Abspaltungspläne. So soll die Antriebstochter Flender ausgegliedert und an der Börse notiert werden. Die Produkte des Unternehmens werden in Windkraftanlagen sowie zahlreichen anderen Industriebereichen eingesetzt. Dabei will Siemens den Bereich Wind Energy Generation in Flender integrieren. Beide Unternehmen werden derzeit als sogenannte "Portfolio Companies" geführt. Das neue Unternehmen kommt auf einen Pro-forma-Umsatz von rund zwei Milliarden Euro. Die Aktionäre sollen auf der Hauptversammlung im Februar 2021 darüber entscheiden.

Weiter offen bleibt die strategische Überprüfung der Zugsparte. Hier nimmt sich Siemens mehr Zeit als geplant und will zum vierten Geschäftsquartal Ergebnisse vorstellen. Dabei sieht sich der Konzern, der das Zuggeschäft als "integralen Bestandteil" sieht, nicht unter Zeitdruck./nas/men/stk