BERLIN (dpa-AFX) - Schon jetzt stehen Tausende von Windrädern in Deutschland - vor Ort gibt es oft Proteste dagegen: Verspargelung der Landschaft, zu nahe an Wohngebäuden, Konflikte um den Artenschutz, lautet die Kritik. Doch in den kommenden Jahren sind aus Sicht der Energiebranche noch weitaus mehr Windräder erforderlich, um die Klimaziele zu schaffen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hält bis 2030 pro Jahr rund 1500 neue Windräder an Land für nötig. "Wir brauchen jetzt den Turbo", sagte Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae der Deutschen Presse-Agentur. Sie forderte zugleich Reformen etwa im Artenschutz für mehr Flächen. Auch müsse die Akzeptanz für Windräder erhöht werden.

Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Bundesverbands Windenergie nur 420 Windenergieanlagen errichtet. Insgesamt gibt es derzeit rund 30 000 Windräder in Deutschland - die meisten stehen in Niedersachsen, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Der Ausbau läuft schleppend. Er wird aus Branchensicht gehemmt von langen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Außerdem gibt es zu wenig ausgewiesene Flächen und viele Klagen etwa aus Artenschutzgründen.

Aus Sicht des BDEW ist abgeleitet für die Klimaziele 2030 ein Zuwachs der installierten Leistung auf 100 Gigawatt bei der Windkraft an Land erforderlich. Ende 2020 lag die installierte Leistung bei rund 55 Gigawatt. "Um bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen, brauchen wir einen Zubau von rund 1500 Windrädern pro Jahr bis 2030", sagte Andreae. Viel werde über das Repowering passieren - dabei ersetzen neue, höhere und leistungsstärkere Windräder alte. Zwar gebe es hier Erleichterungen bei Planungen und Genehmigungen, das reiche aber noch nicht aus.

Es gebe keine Energiewende ohne den Zubau der erneuerbaren Energien. "Wir müssen viel stärker verdeutlichen, dass die Energiewende ein chancenreiches Zukunftsprojekt ist", sagte Andreae. "Die Chancen liegen nicht allein darin, dass wir Klimaneutralität erreichen, sondern dass die Energiewende zusätzliche Wertschöpfung vor Ort schaffen kann und eine saubere und sichere Energieversorgung ermöglicht." Die Akzeptanz für den Ausbau der erneuerbaren Energien müsse weiter erhöht werden. Ganz wichtig sei die finanzielle Beteiligung von Standortkommunen an Windparks. "Die Bedeutung der Wertschöpfung vor Ort wird aus meiner Sicht stark unterschätzt."

Der Präsident des Bundesverbandes Windenergie, Hermann Albers, sagte der dpa: "Die nächste Bundesregierung muss in den ersten 100 Tagen handeln." Es brauche sofort wirkende Maßnahmen, um den Zubau der Windenergie schon 2022 auf 4000 Megawatt und in den folgenden Jahren auf jährlich über 5000 Megawatt zu heben. 2020 kam eine Leistung von rund 1400 Megawatt hinzu.

Die Politik hatte vor kurzem Klimaziele angehoben. Dies war eine Reaktion auch auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das im Kern besagte: Einschneidende Schritte zur Senkung von Emissionen dürfen nicht zulasten der jungen Generation auf die lange Bank geschoben werden.

Eine Schlüsselrolle spielen erneuerbare Energiequellen aus Wind und Sonne. Denn bis Ende 2022 steigt Deutschland aus der Atomkraft aus, bis spätestens 2038 soll Schluss sein mit der Kohleverstromung. Zugleich steigt aus Sicht vieler Experten zum Beispiel wegen der Elektromobilität der Strombedarf - der Strom soll aus erneuerbaren Energien kommen.

Andreae kritisierte aber: "Es gibt eine Lücke zwischen den Klimazielen und dem erforderlichen Rahmen. Die Unternehmen bekennen sich zum Ziel der Klimaneutralität." Die Wirtschaft diskutiere längst nicht mehr das Ob und das Wann, sondern das Wie. "Aber sie braucht einen Instrumentenkasten, um die Ziele zu erreichen. Klimaschutz braucht Ziele, entstehen kann er aber nur über Investitionen." Viele Unternehmen stünden in den Startlöchern. "Sie könnten Windprojekte realisieren, sie haben Strategien, um Solarenergie auf die Dächer zu bringen. Die Rahmenbedingungen müssen aber verbessert werden." Es gebe zu wenig ausgewiesene Flächen für erneuerbare Energien. Zudem müssten Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich beschleunigt werden.

Andreae mahnte Reformen an. "Artenschutz ist der Schutz der Art. Wenn wir die Energiewende nicht hinbekommen, werden die negativen Folgen wie Trockenheit der Wälder und andere Klimaveränderungen viele Arten insgesamt gefährden. Das heißt, wir müssen eine Regelung finden, die den Schutz der Art in den Vordergrund stellt, aber nicht den Schutz jedes einzelnen Vogels." Der BDEW sei in intensiven Diskussionen mit den Naturschutzverbänden.

Aus Sicht der Unternehmen und der Branche wäre schon eine Standardisierung des Artenschutzrechtes hilfreich, damit es zumindest in allen Bundesländern gleiche Regelungen gebe und nicht in 16 Bundesländern 16 unterschiedliche Regelwerke. Die Länder müssten ihre Spielräume ausschöpfen für mehr Flächen. "Das bedeutet eben nicht, jetzt wieder über Mindestabstände zu diskutieren, sondern es bedeutet, kluge Lösungen für die dringend benötigten Flächen zu finden."

Auch der Ausbau der Windkraft auf See sowie der Photovoltaik müsse beschleunigt werden, sagte Andreae. "Wenn die erhöhten Klimaziele auch erreichbar sind, müssen wir alle zusammen einen echten Sprint hinlegen", sagte sie. "Das machen Sie nicht mehr mit einfachen Turnschuhen, sondern da müssen Turnschuhe mit Spikes ran." Viele Bürgerinitiativen dürften das ganz anders sehen. So heißt es bei der Bundesinitiative Vernunftkraft, der Ausbau der Windenergie gehe zulasten der Natur, der Landschaft und der Menschen./hoe/DP/stw