Berlin (Reuters) - Im Rat der Wirtschaftsweisen ist offener Streit über die Rolle der Ökonomin Veronika Grimm wegen eines Aufsichtsratsmandats beim Energietechnik-Konzern Siemens Energy entbrannt.

Diese Frage stelle den Sachverständigenrat Wirtschaft vor eine Herausforderung, warnten die Ratsvorsitzende Monika Schnitzer sowie die Mitglieder Achim Truger, Ulrike Malmendier und Martin Werding am Mittwoch in einer gemeinsamen Erklärung. Medienberichten zufolge haben sie ihrer Nürnberger Kollegin nahegelegt, den Rat zu verlassen, sollte sie das Mandat in dem Kontrollgremium antreten. Aus Sicht des Bundesfinanzministeriums sprechen allerdings keine rechtlichen Gründe gegen ein mögliches Doppelmandat, wie die Nachrichtenagentur Reuters aus dem Ministerium erfuhr.

Auch laut Bundeswirtschaftsministerium gibt es für Aufsichtsratsmandate keinen gesetzlichen Ausschluss: "Gleichwohl ist es wichtig, dass Interessenskonflikte vermieden werden. Hierüber wird im Sachverständigenrat gerade beraten", erklärte das von Robert Habeck (Grüne) geführte Ministerium.

Die Wirtschaftsweise Malmendier kritisierte offen die Absicht Grimms, am Montag in das Kontrollgremium des Dax-Konzerns einzutreten. "Ich und auch die anderen drei Ratsmitglieder machen uns in diesem Fall große Sorgen", sagte die Ökonomin der "Zeit". Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt sowie Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und auch Wirtschaftsminister Habeck seien über diese Sorgen ins Bild gesetzt worden, berichtete das "Handelsblatt".

Ein Siemens-Energy-Sprecher erklärte, das Unternehmen prüfe immer im Vorfeld, ob der Wahl im Aufsichtsrat konkrete und objektive Sachverhalte entgegenstünden: "Sollte vor der Annahme oder auch während des Mandats ein Interessenkonflikt bestehen, muss dieser von den Kandidaten beziehungsweise Mitgliedern des Aufsichtsrats dem Vorsitzenden angezeigt und dann gemeinsam entschieden werden, wie dieser Interessenkonflikt vermieden oder aufgelöst werden kann."

In der am Mittwoch lancierten Stellungnahme der vier Weisen heißt es, die Mehrheit im Sachverständigenrat sehe die Nominierung von Grimm in den Aufsichtsrat des Energietechnikkonzerns zwar als "Auszeichnung", doch bestünden in dieser Konstellation mögliche Interessenkonflikte. Diese berührten die Arbeit des Sachverständigenrates in Kernbereichen: "Denn die anstehende Energietransformation ist von herausragender wirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Bedeutung. In der Ratsarbeit ist die Expertise von Veronika Grimm daher von großem Wert."

Sie räumen ein, dass das Sachverständigenratsgesetz von 1963 die Wahl eines Ratsmitglieds in einen Aufsichtsrat nicht ausschließt: "In der öffentlichen Wahrnehmung hat die Sensibilisierung von Compliance-Themen allerdings zugenommen und nimmt in der Debatte, aber auch in der Aufstellung von Unternehmen und Konzernen, einen größeren Stellenwert ein als beispielsweise noch vor zehn oder 15 Jahren."

Grimm ist seit April 2020 im Rat der Wirtschaftsweisen, der die Bundesregierung als unabhängiges Gremium berät. Forschungsschwerpunkte der Professorin an der Universität Erlangen-Nürnberg sind Energiemärkte, Verhaltensökonomie, soziale Netzwerke sowie Auktionen und Marktdesign.

(Bericht von Christian Krämer, Reinhard Becker, Christoph Steitz, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)