Von Rochelle Toplensky

LONDON (Dow Jones)--Eines bleibt den leidgeprüften Aktionären von Siemens Gamesa wohl erspart. Sie müssen nicht entscheiden, ob sie aussteigen oder geduldig auf die Revolution der erneuerbaren Energien warten sollen. Die Aktien von Siemens Gamesa sprangen am Montag um 6,2 Prozent, nachdem der Mehrheitsaktionär Siemens Energy übers Wochenende die seit langem gehegten Erwartungen bestätigte, dass er das Windturbinengeschäft von der Börse nehmen wolle. Das Unternehmen erklärte, es werde 18,05 Euro pro Aktie für die ausstehenden 32,9 Prozent seiner Tochtergesellschaft zahlen.

Es werden Kosten- und Ertragssynergien erwartet, aber der Hauptgrund für die Übernahme ist die Beschleunigung des laufenden Konzernumbaus.

Die extreme Mischung aus kurzfristigen Herausforderungen und vielversprechenden langfristigen Aussichten von Siemens Gamesa macht es den Anlegern schwerer als sonst, zu beurteilen, ob der Preis angemessen ist. Die Bewertung entspricht einem Aufschlag von 27,7 Prozent auf den Aktienkurs Mitte Mai, als Bloomberg über die Übernahmegespräche erstmals berichtete. Und er liegt über dem volumengewichteten Durchschnittskurs der vergangenen sechs Monate. Aber es war ein sehr schwieriges halbes Jahr. Das Geschäft bewertet Siemens Gamesa mit dem 1,2-fachen des erwarteten Umsatzes und damit etwas weniger als das 1,4-fache des Börsenmultiplikators des dänischen Konkurrenten Vestas.


   Engpässe machen Siemens Gamesa zu schaffen 

Die Aktien von Siemens Gamesa erreichten im Januar 2021 einen Höchststand von 39 Euro, bevor sie von einer Reihe von Gewinnwarnungen und einer allgemeinen Skepsis der Anleger gegenüber Investitionen in grüne Energie betroffen waren. Wie bei vielen anderen Windturbinen-Herstellern auch haben die steigenden Rohstoffkosten und Engpässe in den Lieferketten sowie der Logistik die Gewinnspannen unter Druck gesetzt.

Dazu hat Siemens Gamesa mit spezifischen Problemen zu kämpfen. So hat sich die Onshore-Sparte nicht gut entwickelt und kämpft mit kostspieligen Verzögerungen bei der Einführung der neuen Turbine 5.X.

Mit Blick in die Zukunft gibt es aber auch Grund zum Optimismus. Siemens Energy hat kürzlich wichtige Gamesa-Führungskräfte durch eigene Mitarbeiter ersetzt, die Sanierungserfahrung mitbringen. Und Siemens Gamesa verfügt auch über ein umfangreiches Turbinenservicegeschäft, das weiterhin robuste Ergebnisse liefert. Am vielversprechendsten ist, dass das Unternehmen lange Zeit Marktführer bei Offshore-Windturbinen war, auch wenn es im vergangenen Jahr vom Onshore-Marktführer Vestas verdrängt wurde. Offshore ist ein riesiger potenzieller Markt, da er den Zugang zu starken Windressourcen in vielen Ländern eröffnet, die sich auf die Dekarbonisierung der Stromerzeugung konzentrieren.


   Womöglich stockt Siemens Energy das Angebot noch auf 

Siemens Energy könnte es sich leisten, mehr zu zahlen. Eine vollständige Annahme des aktuellen Angebots würde 4 Milliarden Euro kosten, die mit bis zu 2,6 Milliarden Euro neuer Schulden und Eigenkapital sowie 1,4 Milliarden Euro aus seinen Barbeständen finanziert werden. Mit einem Verhältnis von Nettoverschuldung zu Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) von bis zu 1,5 kann das Unternehmen sein Investment-Grade-Rating beibehalten, so der Finanzvorstand.

Das Unternehmen verfügte im vergangenen Quartal über 1,7 Milliarden Euro Nettobarmittel, und Analysten erwarten laut Factset in diesem Jahr ein EBITDA von 1,5 Milliarden Euro, so dass Raum für eine gesunde Erhöhung des Angebots bestünde.

Doch nur weil Siemens Energy sein Angebot erhöhen kann, heißt das nicht, dass das auch geschieht. Es besteht ein unvermeidlicher Interessenkonflikt zwischen seiner Rolle als Mehrheitsaktionär und als Bieter. Die Siemens-Gamesa-Aktie schloss am Montag bei 17,79 Euro und damit leicht unter dem Angebotspreis, so dass die Arbitrageure nicht auf eine Erhöhung zu setzen scheinen. Einige Minderheitsaktionäre von Siemens Gamesa sind vielleicht der Meinung, dass die Zukunftsaussichten des Unternehmens ein höheres Angebot rechtfertigen. Aber bei einer Übernahme des Minderheitsanteils dürfte das nicht allzu viel bedeuten.

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May 24, 2022 03:39 ET (07:39 GMT)