- von Alexander Hübner

München (Reuters) - Die Vergangenheit holt Siemens wieder ein.

Der Münchner Technologiekonzern muss 2,8 Milliarden Euro auf seine Minderheitsbeteiligung an der ehemaligen Energietechnik-Tochter Siemens Energy abschreiben, von deren schwankenden Zahlen er sich mit der Abspaltung eigentlich unabhängig machen wollte. Doch mit dem Kursverfall der Siemens-Energy-Aktie schwindet die Hoffnung, dass sich das Unternehmen schnell wieder berappelt: 13,99 Euro kosteten die Papiere zum Quartalsende am Donnerstag nur noch, während sie in den Siemens-Büchern bisher rechnerisch mit knapp 25 Euro standen.

Damit droht Siemens spätestens im August eine Korrektur der Gewinnprognose für das Geschäftsjahr 2021/22 (Ende September) - zum ersten Mal seit neun Jahren. In dem am Donnerstag beendeten dritten Quartal dürfte auf jeden Fall ein Nettoverlust zu Buche stehen; vor einem Jahr hatte Siemens knapp 1,5 Milliarden Euro Quartalsgewinn ausgewiesen.

Um endlich die Probleme bei der Windkraft-Tochter Siemens Gamesa in den Griff zu bekommen, ist Siemens Energy bereit, bis zu vier Milliarden Euro in die Hand zu nehmen. Damit soll Siemens Gamesa nach einer Serie von Gewinnwarnungen von der Madrider Börse genommen und enger an die Kandare genommen werden. Die Sanierung der spanischen Tochter werde Jahre dauern, hatte Siemens-Energy-Chef Christian Bruch gewarnt. Technische Probleme mit einer neuen Generation von Wind-Turbinen kumulieren sich mit Kostensteigerungen durch die Inflation. Sie macht Projekte unrentabel, für die Siemens Gamesa feste Verkaufspreise vereinbart hatte.

NUR NICHTS ÜBERS KNIE BRECHEN

Von dem Ziel, die Beteiligung an Siemens Energy innerhalb von 12 bis 18 Monaten nach dem Börsengang im September 2020 von 35 auf 25 Prozent abzubauen, hatte sich Siemens-Chef Roland Busch zwangsläufig längst verabschiedet. Bei der Abspaltung hatte die Siemens AG das Aktienpaket mit 6,6 Milliarden Euro in den Büchern stehen, inzwischen liegt der Börsenwert nur noch bei 3,5 Milliarden Euro. "Theoretisch ebnet die Abschreibung den Weg für aggressivere Aktienverkäufe durch Siemens", schrieb Analyst Simon Toennessen von Jefferies. Der Konzern werde aber wohl auf die geplante Kapitalerhöhung bei Siemens Energy warten, mit der sein Anteil ohnehin verwässert würde.

Siemens will beim Rückzug nach eigenen Angaben nichts übers Knie brechen. "Im Interesse unserer Aktionäre werden wir aber - abhängig vom Marktumfeld - umsichtig entscheiden, was das Timing betrifft", sagte ein Sprecher.

Bisher hatten nur die operativen Verluste von Siemens Energy Siemens belastet: mit 396 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2020/21 und weiteren 131 Millionen im ersten Halbjahr 2021/22. Das ließ sich angesichts sprudelnder Gewinne im Kerngeschäft mit Automatisierungs- und Infrastruktur-Technik sowie Zügen locker wegstecken. Doch mit der Milliardenabschreibung steht hinter dem Ziel, den Gewinn je Aktie auf 8,70 bis 9,10 (2020/21: 8,32) Euro je Aktie zu steigern, zumindest ein Fragezeichen. Rechnerisch entsprechen die 2,8 Milliarden Euro rund 3,30 Euro je Aktie. Genaueres will Siemens erst am 11. August sagen, wenn Busch alle Zahlen für das dritte Quartal vorlegt.

Siemens nimmt mit dem Verkauf der Straßenverkehrstechnik-Sparte Yunex Traffic, der Brief- und Paket-Logistik und dem Anteil am E-Auto-Gemeinschaftsunternehmen Valeo Siemens zwar in diesem Jahr über zwei Milliarden Euro ein und damit deutlich mehr als die eingeplanten 1,5 Milliarden. Doch dürfte das nicht reichen, um den Wertverlust bei Siemens Energy wettzumachen - zumal der Rückzug aus Russland weitere rund 600 Millionen Euro kostet. "Damit wackelt auch die Jahresprognose des Mutterkonzerns", schrieb Kapitalmarktstratege Jürgen Molnar von RoboMarkets.

Am Markt wurde das gelassen aufgenommen: Siemens-Aktien fielen um 0,5 Prozent auf 96,60 Euro - das ist allerdings der tiefste Stand seit zwei Jahren. Die Papiere haben seit Jahresbeginn fast 40 Prozent eingebüßt. Siemens Energy legten dagegen mehr als zwei Prozent zu.

Seit dem erfolgreichen Börsengang der Medizintechnik-Tochter Healthineers und der Abspaltung der Energietechnik hatte Siemens die Prognosen immer nur nach oben korrigiert. Die bisher letzte ausdrückliche Gewinnwarnung hatte den damaligen Siemens-Chef Peter Löscher 2013 den Job gekostet. Nutznießer war damals Joe Kaeser, der vom Finanzvorstand zum Vorstandschef wurde. Heute ist der 65-jährige Aufsichtsratschef von Siemens Energy.

(Bericht von Alexander Hübner und Sabine Wollrab, redigiert von Myria Mildenberger. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)