MANNHEIM (dpa-AFX) - Der Wert freier Märkte offenbart sich nahezu täglich beim Blick auf die Nachrichten: Sobald die Staatsoberhäupter der USA oder Chinas andeuten, dass die Spirale aus Zöllen und Gegenzöllen gestoppt oder gar zurückgedreht werden könnte, macht sich in den betroffenen Unternehmen Erleichterung breit und der gesamte Aktienmarkt springt in die Höhe. Zu Recht: Schon der berühmte britische Wirtschaftswissenschaftler David Ricardo wies Anfang des 19. Jahrhunderts nach, dass Freihandel den Wohlstand von Staaten insgesamt mehren kann.

Ricardo wusste, dass ein Land ein Gut wegen historischer oder klimatischer Konstellationen schlicht günstiger produzieren kann als ein anderes Land. Von dieser Warte aus betrachtet macht es Sinn, wenn Zucker billig aus indischen oder brasilianischen Zuckerrohren statt aus teuren europäischen Zuckerrüben hergestellt wird, die zudem zuletzt unter Dürreperioden litten. Das nahm sich auch die Europäische Union (EU) zu Herzen und kippte Ende September 2017 ihre Zuckermarktordnung, die bis dato den heimischen Markt durch Zölle, Subventionen und Quoten geschützt hatte. Die Rückkehr zum Freihandel aber hat fatale Folgen für Europas Branchenprimus Südzucker. Die wichtigsten Punkte für das Unternehmen, was die Experten sagen und wie es für die Aktie läuft.

DAS IST LOS BEI SÜDZUCKER:

Während die europäische Zuckermarktordnung keine 50 Jahre überlebte, blickt Südzucker auf eine fast 200-jährige Geschichte zurück. Schon 1837 wurden in Baden und in Württemberg "Gesellschaften für Zuckerfabrikation" gegründet, die teilweise noch bis in die 1990er Jahre das weiße Gold produzierten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts dann sprossen die Zuckerfabriken nur so aus dem Boden, bevor sich 1926 fünf Unternehmen zur Süddeutschen Zucker-Aktiengesellschaft mit Sitz in Mannheim zusammenschlossen. Nach einer Reihe weiterer Zukäufe firmiert der Konzern nunmehr seit 2015 als Südzucker AG.

Aktuell leidet das Unternehmen unter den niedrigen Weltmarktpreisen für Zucker, denen es sich nach dem Wegfall der Zuckermarktordnung ausgesetzt sieht. In der Konsequenz brach das operative Ergebnis im ersten Geschäftshalbjahr bis Ende August um fast die Hälfte ein. Der Weltmarktpreis für eine Tonne Zucker liegt derzeit bei rund 300 Euro; 2016 waren es noch mehr als 500 Euro.

Die Erwartung von Experten, die seit der Rekordernte 2017/18 rückläufige Zuckererzeugung würde zu Preissteigerungen führen, hat sich nicht erfüllt. Der Grund aus Unternehmenssicht: hohe Lagerbestände an Zuckerrohr in Indien, die mit hohen Exportsubventionen auf den Weltmarkt geworfen werden. Südzucker moniert also, dass die Akteure in Übersee wie einst die EU die Märkte verzerren.

Nun will der Konzern mit Werksschließungen, einer geringeren Zuckerproduktion und Kosteneinsparungen gegensteuern. Ein Lichtblick ist derweil der Bioethanol-Produzent Cropenergies, eine Tochter von Südzucker. Sie profitierte zuletzt mit einem Gewinnsprung von gestiegenen Ethanolpreisen.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Die Mehrzahl der 15 von der Nachrichtenagentur Bloomberg erfassten Analysten rät zum Abwarten. Die jüngsten Verluste im Zuckergeschäft seien zwar von anderen Bereichen aufgefangen worden - dies sei die gute Nachricht, schrieb Marc Gabriel vom Düsseldorfer Bankhaus Lampe. Aber selbst mit einem etwas besseren operativen Konzerngewinn im Geschäftsjahr 2019/20 sehe er die Schätzungen für das kommende Jahr weiter in Gefahr, da die Zuckerpreise wohl kaum so anzögen, wie es der Markt derzeit annehme.

Analyst Gerold Deppisch von der Landesbank Baden-Württemberg wies auf einen weiteren Unsicherheitsfaktor hin: "Unklar ist der Ausgang zivilrechtlicher Klagen gegen Südzucker im Zuge von Kartellabsprachen, wenngleich hierfür bereits Rückstellungen gebildet wurden."

Auf der Habenseite verbuchte Analyst Lars Lusebrink von Independent Research indes die solide Kapitalausstattung von Südzucker. Chancen ergäben sich zudem durch das Restrukturierungsprogramm für das Segment Zucker.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Der Blick auf die langfristige Kursentwicklung der Südzucker-Aktie hat wenig Begeisterungspotenzial: Wer Anfang des Jahrtausends eingestiegen ist, sieht heute den Kurs wieder kaum verändert bei um die 13 Euro pendeln. Wohl also dem, der die im Branchenvergleich recht ordentliche Dividende nicht sofort in Süßigkeiten umgewandelt, sondern damit weitere Aktien gekauft hat.

Gleichwohl hat die Aktie in den letzten zwei Jahrzehnten doch recht ordentlich geschwankt. So schnellte sie zunächst in die Höhe, bis sie Anfang 2006 das Rekordplateau von gut 22 Euro erreichte. Doch der dann folgende Absturz im Zuge der weltweiten Finanzkrise geschah schneller und heftiger als der jahrelange Aufstieg und schickte das Papier auf das Rekordtief von knapp über 7 Euro im Oktober 2008.

Aber ebenso wie der Gesamtmarkt stieg auch die Südzucker-Aktie und erklomm im März 2013 einen neuen Höchststand, diesmal bei gut 34 Euro. Von da an ging es wieder bergab. Eine zweijährige Zwischenerholung wurde Anfang 2017 jäh gestoppt, als sich die Konsequenzen des Auslaufens der Marktordnung langsam abzeichneten. Das Papier verlor bis Ende 2018 mehr als die Hälfte an Wert, bevor es angesichts der allgemeinen Markterholung wieder etwas zulegte.

Auch aus markttechnischer Sicht ist Trübsal angesagt - zumindest auf lange Sicht: Seit Anfang Oktober notiert der Kurs wieder unter der 200-Tage-Durchschnittslinie. Doch der kurzfristige Trend zeigt nach oben, nachdem die Aktie Anfang November die 21-Tage-Linie nach oben durchbrochen hat./la/gl/fba