- von Tom Käckenhoff

"Das heute ist nur ein Warmlaufen", rief Stahlbetriebsratschef Tekin Nasikkol den Beschäftigten unter Jubel zu. Diese waren zum Teil mit Bussen von diversen Standorten des Unternehmens angereist. Die Stahlkocher stünden vor der "Mutter aller Auseinandersetzungen." Die Manager hätten den Stahl in den vergangenen Jahren wie Schmuddelkinder behandelt und finanziell ausgehungert. "Wir brauchen keine Liebeserklärung von Thyssenkrupp oder von (Vorstandschefin Martina) Merz. Wir brauchen Investitionen in unsere Arbeitsplätze", forderte Nasikkol vor einer Sitzung des Aufsichtsrats.

Die IG Metall sprach von über 6000 Teilnehmern bei der Kundgebung vor der Stahlzentrale in Duisburg. "Unsere Zukunft hat ein Herz aus Stahl" und "Stahl hat Zukunft" stand unter anderem auf Transparenten und Plakaten der Mitarbeiter, die angesichts der Dauerkrise des Mutterkonzerns um ihre Jobs fürchten. Auf einem Plakat war die 2013 verstorbene Konzernlegende Berthold Beitz zu sehen. Darunter stand der Satz: "So tritt der TK-Vorstand mein Erbe mit Füßen."

IG METALL: FRAGLICH OB 570 MIO EURO JÄHRLICH REICHEN

Als Anfang für die nächsten Jahre hatte die IG Metall rund 1,5 Milliarden Euro für Investitionen gefordert. "Wir glauben an die Zukunft des Stahls und werden unser Stahlgeschäft langfristig wettbewerbsfähig machen", kündigte der Konzern vor der Aufsichtsratssitzung an. "Wir müssen investieren. Und das tun wir auch." Allerdings seien die finanziellen Mittel angesichts der wirtschaftlichen Situation begrenzt. Derzeit seien jährliche Investitionen von 570 Millionen Euro geplant. Vorstand und Aufsichtsrat von Thyssenkrupp würden in den kommenden Wochen ein Zukunftskonzept prüfen und dann über die Investitionshöhe entscheiden.

"Mein erstes Gefühl ist, das wird auf Dauer nicht reichen", sagte der nordrhein-westfälische IG-Metall-Chef Knut Giesler der Nachrichtenagentur Reuters. Es müsse aber zunächst erstmal ein Konzept auf den Tisch, das allen Standorten eine Zukunft sichere. Dann werde man sehen, ob die 570 Millionen Euro reichten. Das Konzept, über das der Aufsichtsrat am Nachmittag beraten wollte, müsse auch sicherstellen, dass der geplante Abbau von 2000 Stellen im Stahl ohne betriebsbedingte Kündigungen auskommen werde. Auf die Frage, ob noch eine höhere Zahl vom Vorstand zu erwarten sei, sagte Giesler: "Das kann ich mir im Moment nicht vorstellen." Derzeit sei nicht einmal klar, wo die 2000 Stellen gestrichen werden sollen.

In den vergangenen Jahren hatten die Stahlkocher des Konzerns immer wieder gegen die jeweiligen Pläne des Vorstands demonstriert. Unter dem ehemaligen Konzernchef Heinrich Hiesinger seien mindestens vier Jahre vergeudet worden für die letztlich im Frühjahr gescheiterten Pläne einer Fusion mit Tata Steel Europe, kritisierte der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats von Thyssenkrupp Steel Europe, Detlef Wetzel. "Kein Plan, keine Investitionen, keine Zukunft - so macht man Unternehmen und Arbeitsplätze kaputt."

Thyssenkrupp steckt in einer der größten Krisen seiner Unternehmensgeschichte. Der Konzern will rund 6000 der weltweit etwa 160.000 Stellen streichen, davon rund 2000 in der Stahlsparte. Die neue Vorstandschefin Martina Merz will das Unternehmen effizienter aufstellen, die Schulden zurückfahren, schwächelnde Geschäfte abstoßen oder Partner ins Boot holen. Dem Werkstoffgeschäft machen seit Jahren weltweite Überkapazitäten, Billigimporte aus Fernost und immer schärfere Umweltauflagen zu schaffen. Hinzu kommen hausgemachte Probleme. Der Bau zweier Stahlwerke vor über zehn Jahren in Brasilien und den USA brachte den Konzern an den Rand des Ruins und belastet ihn noch heute. Thyssenkrupp will daher die lukrative Aufzugssparte versilbern, deren Wert auf über 15 Milliarden Euro geschätzt wird. Auch hier sorgen sich die Mitarbeiter. Sie wollen am Mittwoch vor der Konzernzentrale in Essen für sichere Jobs demonstrieren.