GÖPPINGEN (dpa-AFX) - Eine Software, die Zugriff auf PCs in der ganzen Welt ermöglicht - ohne das eigene Haus verlassen zu müssen. In den Augen vieler Anleger lieferte Teamviewer damit die perfekte Antwort auf die Pandemie. Tatsächlich aber legte der Softwarehersteller aus Göppingen 2021 eine Bruchlandung hin, zumindest an der Börse. Die Anleger quittierten Teamviewers schwaches Abschneiden mit einem Ausverkauf. Die Prognosen sind doppelt eingedampft, das Management stellt sich neu auf. Der Markt für Teamviewers Software wächst hingegen weiter an. Gelingt dem MDax-Konzern 2022 der Neustart? Was bei Teamviewer los ist, wie die Aktie reagiert und was Analysten sagen.

DAS IST LOS BEI TEAMVIEWER

Für manche Beobachter am Markt ist Teamviewers Talfahrt ein Lehrstück über schlechtes Management, vor allem für schlechtes Erwartungsmanagement. Mit sehr selbstbewussten Prognosen und Marketing-Verträgen wurden Hoffnungen geweckt, die Teamviewer nicht erfüllen konnte. Im Ergebnis brach die Aktie seit Februar um fast 80 Prozent ein.

Der prominenteste Marketing-Deal war wohl der Sponsorenvertrag mit Manchester United. Fünf Jahre lang prangt das Firmenemblem der Göppinger jetzt auf der Brust der Spieler des englischen Premier-League-Fußballclubs - unter anderem auf der von Superstar Cristiano Ronaldo. Und auch beim Formel-1-Mercedes von Mehrfachweltmeister Lewis Hamilton gehört Teamviewer zu den Sponsoren.

Dafür stockten die Schwaben das Marketingbudget für dieses Jahr soweit auf, dass Teamviewer die Ergebnisprognose rechnerisch um rund 35 Millionen Euro senken musste. Und da noch andere Marketinggelder umgewidmet wurden, dürften die Verträge sogar noch mehr als das kosten. Wenig verwunderlich, dass diese Deals den Anlegern schwer zu vermitteln waren bei einem für dieses Jahr eingeplanten Umsatz von um die 500 Millionen Euro.

Eine Strategie, die da schon besser ankommen dürfte, ist die Ausweitung des Geschäfts mit Firmenkunden. Sie sind es, die Teamviewers Umsätze signifikant steigern sollen. Und hier hat der Konzern im vergangenen Jahr seinen ersten Zukauf verzeichnet, nämlich den Augmented-Reality-Spezialisten Ubimax aus Bremen. Dessen Datenbrillen können etwa Techniker bei der Wartung aufsetzen und sich Schaltpläne und Anweisungen anzeigen lassen. Außerdem nennenswert waren die Übernahmen der US-Unternehmen Upskill und Viscopic.

Teamviewer benötigt lukrative Aufträge mit Geschäftskunden, um profitabel zu bleiben. Denn stark gestiegene Kosten für Marketing und Personal hätten dem Konzern zuletzt beinahe rote Zahlen beschert.

Im dritten Quartal wuchsen die sogenannten Billings - die bei den Laufzeitverträgen die über zwölf Monate erwarteten Rechnungseinnahmen umfassen - um 18 Prozent auf rund 126 Millionen Euro. Eigentlich hatte sich Teamviewer ein Wachstum von währungsbereinigt mindestens 20 Prozent vorgenommen, um die Jahresziele noch schaffen zu können. Die operative Marge (Ebitda) rutschte im selben Zeitraum auf rund 34 Prozent ab. Vor einem Jahr lag die Marge bei rund 55 Prozent. Unter dem Strich stand ein Überschuss von 3,7 Millionen Euro nach knapp 32 Millionen vor einem Jahr.

Teamviewer will 2022 das Ruder herumreißen - wobei fraglich bleibt, in welcher Zusammensetzung der Führungsspitze. Lisa Agona, Vorständin für das zuletzt so heiß diskutierte Marketing, gab im Oktober ihren Abschied bekannt - nach nur sechs Monaten. Ihr Posten ist noch vakant. Und auch Finanzchef Stefan Gaiser wird im kommenden Jahr gehen. Sicher ist, dass Oliver Steil den Vorstand weiter anführen wird. Sein Vertrag wurde bis 2024 verlängert.

In wichtigen Wachstumsmärkten droht Teamviewer den Anschluss zu verlieren. Auswertungen von Suchabfragen im Internet haben gezeigt, dass das etwa in Lateinamerika und Teilen Asiens der Fall ist. Erstaunlich ist, dass einer der ärgsten Konkurrenten keine vierzig Kilometer von Teamviewer entfernt sitzt. Anydesk, gegründet von ehemaligen Teamviewer-Mitarbeitern, bietet ähnliche Services an wie Teamviewer. Und obwohl Anydesk noch ein gutes Stück kleiner ist, wird das Stuttgarter Unternehmen in einigen Regionen bereits häufiger gegoogelt als der große Konkurrent. Teamviewer-Chef Steil sprach zuletzt häufiger von schärferem Wettbewerb preisgünstiger Konkurrenten.

Immerhin: Dem Markt steht offenbar weiteres Wachstum bevor. Zwischen 2019 und 2027 dürfte der globale Umsatz für Fernzugriff-Software von 1,5 auf 4,7 Milliarden US-Dollar steigen, wie das Analysehaus Fortune Business Insights errechnete. Viel Potenzial, das Teamviewer ausschöpfen könnte.

DAS MACHT DIE AKTIE

Teamviewer ist erst seit September 2019 an der Börse, das Timing hätte kaum besser sein können. Denn als kurze Zeit später die Corona-Pandemie ausbrach, war schnell klar: Teamviewer könnte zu den Gewinnern der Krise gehören. Mit Ausnahme eines kurzen Schocks im März kannte der Aktienkurs bis zum Sommer 2020 nur eine Richtung: nach oben. Sein Rekordhoch von fast 55 Euro erreichte das Papier Anfang Juli 2020. In den zehn Monaten seit dem Börsengang hatte es seinen Wert somit etwa verdoppelt.

Nach einem leichten Kursrutsch im November 2020 erreichte die Aktie im Februar noch ein Jahreshoch von 49,64 Euro. Von diesem Niveau aus ging es für die Aktie abwärts. Im März beschleunigten der Sponsorenvertrag und die gesenkte Prognose den Kursrutsch. Im Oktober musste das Management die Jahresprognose ein zweites Mal zusammenstreichen und auch gleich die mittelfristigen Ziele kassieren.

Heute bringt auch die aufkommende Omikron-Variante die Anleger offenbar nicht dazu, die Aktien des einstigen Pandemie-Gewinners zu kaufen: Der Kurs dümpelt bei gut 12 Euro nur knapp über seinem Tiefpunkt. Mit diesem Kurs bringt es Teamviewer noch auf einen Börsenwert von gut 2,4 Milliarden Euro - nur Aixtron und Cancom sind im MDax weniger wert.

DAS SAGEN ANALYSTEN

Das Stimmungsbild der Experten im dpa-AFX Analyser fällt verhalten positiv aus. Sieben Analysten raten zum Halten des Papiers, drei empfehlen den Kauf. Das durchschnittliche Kursziel von knapp 19 Euro liegt deutlich über dem aktuellen Kurs.

Dass Teamviewer gute Wachstumschancen hat, davon ist Andreas Wolf von der Investmentbank Warburg Research überzeugt. Das Geschäft mit kleinen und mittelgroßen Firmenkunden wachse noch verhalten, biete jedoch ein großes Potenzial, schreibt Wolf in seiner Studie zum Kapitalmarkttag im November. Er bekräftigte seine Kaufempfehlung und setzte das Kursziel auf 26 Euro fest - mehr als das doppelte des aktuellen Werts. Die Geschäfte mit den großen Firmenkunden (Enterprise) und im Bereich Augmented Reality wachsen demnach bereits dynamisch. Wolf erwartet, dass sich Teamviewers Marge im zweiten Halbjahr 2022 erholt.

Kein Land in Sicht sehen hingegen die Experten der DZ Bank. Sie senkten ihren fairen Wert auf 13,50 Euro und empfehlen dazu, das Papier zu halten. Ausschlaggebend seien dafür weniger fundamentale Gründe als das fehlende Vertrauen. Schuld an der Vertrauenskrise seien die kostspieligen Sponsorenverträge und die schlechten Ergebnisse im zweiten und dritten Quartal.

Bei der US-Bank JPMorgan geht man hingegen davon aus, dass Teamviewer in Zukunft wieder stärker wächst als die Konkurrenz. Zwar habe sich der Wettbewerb pandemiebedingt verschärft. Teamviewers Vorteil sei es, dass das Unternehmen auf Regionen mit hohen durchschnittlichen Verkaufspreisen fokussiert sei, etwa auf Europa und die USA. Der Hauptkonkurrent Anydesk hingegen sei vor allem in Staaten wie Indien, Bangladesch und Brasilien beliebt. Ihr Kursziel setzen JPMorgans Analysten auf 21 Euro fest - etwas verhaltener also als die Experten von Warburg Research. Doch vom derzeitigen Kursniveau ist auch das noch ein weiter Weg./jcf/men/jha/