Von Jon Sindreu

NEW YORK (Dow Jones)--Das jüngste Flugverbot für Boeing-Flugzeuge sollte keinesfalls als Auftakt eines weiteren 737-Max-Debakels fehlverstanden werden. Aber es ist weitere unwillkommene PR für eine bereits angeschlagene US-Luftfahrtindustrie. Übers Wochenende folgten Fluggesellschaften auf der ganzen Welt der Empfehlung von Boeing und stoppten den Flug aller 777-Jets mit Triebwerken von Pratt & Whitney, einer Tochter des US-Mischkonzerns Raytheon.

Dies geschah nach Problemen bei einem United-Airlines-Flug am Samstag, bei dem Triebwerkstrümmer über einem Vorort von Denver verstreut wurden. Die Aufsichtsbehörde FAA wird aufgrund eines ähnlichen Vorfalls im Jahr 2018 Inspektionen aller betroffenen Flugzeuge anordnen.

Während das Ausmaß des Problems noch im Unklaren liegt, betrifft es wahrscheinlich nur eine kleine Teilmenge der weltweiten Flotte von Fluggesellschaften. Pratt ist eines von drei Unternehmen, die Turbofan-Triebwerke für den Jet hergestellt haben, seit dieser 1994 in Betrieb genommen wurde. Nach Angaben des Datenanbieters Cirium verwenden nur 8,3 Prozent aller in Betrieb befindlichen 777 die fraglichen PW4000-Triebwerke, weitere 12 Prozent sind mit Rolls-Royce-Äquivalenten ausgestattet. Der Rest wird von General Electric geliefert, die seit Mitte der 2000er Jahre exklusiver Lieferant aller 777-Varianten mit größerer Reichweite ist.


   Problem dürfte keine großen Wellen schlagen 

United ist größter Nutzer von 777-Maschinen mit Pratt-Antrieb - und der einzige in den USA -, gefolgt von den japanischen Fluggesellschaften ANA und Japan Airlines sowie Korean Air und Asiana Airlines. Die unmittelbaren logistischen Herausforderungen für die Fluggesellschaften dürften sich jedoch in Grenzen halten. So sind die betroffenen 777 die Art von großen, alten Jets, die die Fluggesellschaften während der Covid-19-Krise im Hangar parkten. Von 127 in Betrieb befindlichen Maschinen wurden laut Cirium bereits 67 in den Flughallen gelassen.

Eine vorläufige Untersuchung durch das National Transportation Safety Board ergab, dass zwei Fanschaufeln im Triebwerk während des Störfalls vom Samstag gebrochen waren. Das erinnert an ein ähnliches Vorkommnis im Februar 2018, als bei einem anderen United-Flug ein Fan-Blatt brach. Beide Fälle betrafen das gleiche Sub-Modell der 777-Triebwerke von Pratt, das PW4077, das nur in den alten 777-200-Varianten des Flugzeugs zu finden ist. Nur in 24 Flugzeugen sind sie derzeit eingebaut.


   Boeing könnte Verantwortung Zulieferer Pratt zuweisen 

Bei Boeing türmten sich in letzter Zeit eine Vielzahl von Problemen, darunter das Flugverbot für die 737 Max, die Verzögerung der 777X und Qualitätsprobleme mit dem 787 Dreamliner. Da mutet die aktuelle Problemlage eher gut beherrschbar an. Immer noch unklar bleibt zugleich, wer die Schuld an dem Störfall trägt. Das Risiko ist wahrscheinlich größer für Raytheon. Nach dem Vorfall von 2018 übten die Aufsichtsbehörden offen Kritik an der Ausbildung der Inspektoren von Pratt. Pratt sagte am Sonntag in einer Erklärung, dass es inzwischen mehr Inspektionen in Zusammenarbeit mit Ermittlern und Fluggesellschaften durchführt.

Die Luft- und Raumfahrtindustrie hatte in den vergangenen Jahren mit vielen anderen Triebwerksproblemen zu kämpfen, wenn auch mit weniger gefährlichen. Dazu gehören Kinderkrankheiten der neuen Getriebefans von Pratt und die Haltbarkeitsprobleme der Triebwerke von Rolls-Royce, die einen Teil der 787-Flotte antreiben. Ein paar 25 Jahre alte 777-Flugzeuge während einer Pandemie am Boden zu lassen, ist keine große Sache. Ginge es aber nach dem Willen von Investoren, könnte jedoch die Serie von Negativschlagzeilen im Zusammenhang mit der Luftfahrt allmählich endlich abebben.

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February 22, 2021 10:56 ET (15:56 GMT)