Von Jon Sindreu

NEW YORK (Dow Jones)--Bei Boeing ist das Glas zwar immer noch halb leer. Dennoch gibt es einen Silberstreif am Horizont. Zuletzt teilte der Flugzeughersteller mit, dass er im vierten Quartal 4 Milliarden US-Dollar verbrannt hat - halb so viel wie im gleichen Zeitraum des Jahres 2020, aber viel mehr als die Analysten der Wall Street erwartet hatten. Auch wenn Boeing seine Probleme mit der 737 MAX überwunden hat, sind die Auslieferungen des 787 Dreamliners im vergangenen Jahr wegen einer Reihe von Werkspannen auf ein Rinnsal geschrumpft.

Dies zwang das Unternehmen zu einer Rückstellung von 3,5 Milliarden Dollar für die Entschädigung von Kunden. Außerdem musste er 285 Millionen Dollar für außergewöhnliche Produktionskosten berappen, die sich letztlich auf 2 Milliarden Dollar aufsummieren dürften. Das ist doppelt so viel wie ursprünglich erwartet.

Doch das Unternehmen überraschte die Analysten auch mit einem lang erwarteten Meilenstein. Zum ersten Mal seit 2019 verzeichnete der Flugzeugbauer wieder einen positiven freien Cashflow.

Der Wert von Boeing-Aktien am Futures-Markt schwankte zunächst, da die Anleger nicht sicher waren, ob sie die Ergebnisse insgesamt als gut oder schlecht interpretieren sollten. Aber die Investoren einigten sich bei Börseneröffnung eindeutig auf "schlecht". Bei der Bewertung von Luft- und Raumfahrtaktien wird der freie Cashflow häufig den Gewinnen selbst vorgezogen, da die Berechnung der Rentabilität von Unternehmen, die von sehr kostspieligen Produkteinführungen abhängen, eher eine Kunst als eine Wissenschaft ist. Im Fall von Boeing wirken sich die zusätzlichen Ausgaben für die 787 unmittelbar auf die Quartalserträge aus, auch wenn das Unternehmen nicht das gesamte Geld sofort ausgibt. Der Kassenbestand vermittelt wahrscheinlich ein genaueres Bild des zugrunde liegenden Geschäfts.


 
Analysten heben bei Boeing ihren Daumen wieder 
 

In der Tat scheinen die Analysten zu meinen, dass Boeing trotz seiner aktuellen Probleme vor einer Wende steht. 73 Prozent von ihnen stuften die Aktie im Dezember mit "Kaufen" ein, die höchste Zahl seit Anfang 2019. Nachdem die Boeing-Aktie sechs Monate lang gegenüber der Airbus-Aktie an Höhe verloren hat, scheint sie nun angemessener bewertet zu sein. Boeing hat die Produktion der berühmt-berüchtigten MAX im Mai wieder aufgenommen und sich das Ziel gesetzt, "Anfang 2022" 31 Stück pro Monat zu produzieren. Das scheint ein sehr ehrgeiziges Ziel zu sein, aber das Unternehmen erklärte zuletzt, dass es immer noch auf dem Tisch liegt. Im Dezember rangierte die Produktionsrate bei 26 Fliegern pro Monat.

Die hohen Verkaufszahlen des Schmalrumpfflugzeugs führten im vierten Quartal zu einem sprunghaften Anstieg der Vorauszahlungen. Sie bestätigten ferner, dass Boeing nicht sofort in ein neues Modell investieren muss, um auf Kurzstreckenflügen mit dem Airbus A320 konkurrenzfähig zu bleiben - auch wenn das Unternehmen auf Mittelstreckenflügen eine Alternative benötigt. Anfang dieses Monats bestellte Allegiant Air 50 MAX-Jets, ein überraschender Schritt, da er mit der Tradition der US-Billigfluggesellschaft brach, gebrauchte Airbus-Flugzeuge zu kaufen. Die Verfügbarkeit der MAX in Form von geparkten Flugzeugen drückt zwar auf den Preis, kann aber auch Kunden gewinnen, da sie in Zeiten von Engpässen schnelle Lieferungen garantiert.


 
Hoher Bestand an Flieger eröffnet Boeing Spielräume 
 

"Ich hasse es, dass wir einen großen Bestand haben. Auf der anderen Seite wird uns das in einem wahrscheinlich robusten Aufschwung sehr nützlich sein", orakelt Boeing-Chef David Calhoun. Die Anleger können jedoch nicht davon ausgehen, dass die dunklen Jahre des Unternehmens mit Sitz in Chicago vorbei sind. Aktuelle Betriebsprobleme erstrecken sich auch auf andere Produkte wie das Tankflugzeug KC-46A, und Boeing ist stärker als Airbus von Großraumflugzeugen abhängig, was das Unternehmen einem größeren Risiko durch neue Covid-19-Varianten aussetzt. Es mag noch zu früh sein, dieses Flugticket zu buchen, aber zumindest sieht es wahrscheinlicher aus, dass die Maschine irgendwann abheben wird.

Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

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January 27, 2022 04:00 ET (09:00 GMT)