Von Jon Sindreu

LONDON (Dow Jones)--Alles hat seinen Preis. Bei Boeing besteht das Problem in der Frage, wie niedrig er sein muss.

Zwei Wochen, nachdem die US-Luftfahrtaufsicht die Boeing 737 MAX für den Passagierverkehr wieder freigegeben hat, liegt bereits eine große Neubestellung für den Jet auf dem Tisch, der zuvor durch zwei softwarebedingte Abstürze von sich Reden gemacht hatte. Am Donnerstag bestätigte die führende europäische Billigairline Ryanair, dass sie ihre Option nutzen wird, den bereits erteilten Auftrag über 135 Maschinen um weitere 75 aufzustocken.

Die Aktie des Flugzeugherstellers aus Chicago, den das 737-MAX-Debakel rund 20 Milliarden Dollar gekostet hat, zog nach der Ankündigung um fast 8 Prozent an. Um seine Planziele zu schaffen, muss Boeing die auf Halde produzierten 450 MAX-Maschinen auch ausliefern. Für rund 100 davon sind die Interessenten abgesprungen, sie müssen nun neu vermarktet werden.

Grundsätzlich sollte es niemanden überraschen, dass die Unglücksmaschine wieder Käufer findet. Flugzeuge sind keine Konsumgüter. Selbst die größten Skandale verdrängen ein Modell nicht vom Markt. So beförderte die nach mehreren technisch bedingten Abstürzen in den 1970er Jahren berüchtigte McDonnell Douglas DC-10 noch für Jahrzehnte Passagiere, obwohl auch sie zwischenzeitlich am Boden bleiben musste.


   Subtiles Re-Branding gegen den schlechten Ruf 

Fluggesellschaften werden den Sicherheitsbedenken der Passagiere wahrscheinlich mit einem subtilen Re-Branding am Flugzeugrumpf und auf den Sicherheitsanweisungen an Bord begegnen. Ryanair zum Beispiel etikettiert seine spezifisch bestuhlte MAX als "737-8200".

Seit Jahrzehnten dreht sich die Frage der Wirtschaftlichkeit von Fluggesellschaften um das Thema des sparsamen Betriebs. Airlines, die ältere 737-Modelle fliegen, steigen als Ersatz gerne auf die MAX um, wenn sie das Geld dafür haben, denn sie kommt mit rund 15 Prozent weniger Kerosin aus als ihr Vorgänger. Da auch die Wartung von Flotten mit weniger Modellen effizienter und entsprechend kostengünstiger ausfällt, ist ein Umstieg auf eine Maschine der Konkurrenz - in Falle der 737 auf den Airbus A320neo - eine Option mit teurer Nebenwirkung.

Das bedeutet nicht, dass die MAX den erlittenen Rückstand leicht wieder aufholen kann. Die von der Corona-Krise gebeutelten Airlines haben die Lieferverzögerungen von Boeing genutzt und Kaufzusagen für mehr als tausend Maschinen aufgekündigt. So gibt es weniger Käufer am Markt, und überdies kann die MAX auf der Mittelstrecke noch immer nicht mit der verlängerten A321 von Airbus konkurrieren.

Letztlich jedoch ist das eigentliche Problem von Boeing nicht, ob die MAX sich verkaufen lässt, sondern zu welchem Preis.


   Ryanair wird massive Rabatte bekommen 

Die jetzt ausgeübte Kaufoption von Ryanair ist Teil einer Entschädigung, die wegen des Startverbots der Maschine vereinbart wurde. Ryanair-Chef Michael O'Leary ist dafür bekannt, dass er opportunistische Bestellungen aufgibt: Ein wichtiger Teil seiner Expansionsstrategie war vor 18 Jahren der Kauf von 100 Boeing-Jets unmittelbar nach der Luftfahrtkrise im Gefolge des 11. September 2001.

Eine 737-MAX kostet laut Liste rund 125 Millionen Dollar, aber normalerweise wird sie etwa zur Hälfte des Betrags verkauft. Im Fall Ryanair wurden zwar keine Details bekannt, es kann aber fast als sicher gelten, dass O'Leary ein noch viel besseres Geschäft gemacht hat.

Analysten der Luftfahrtbranche schätzten die Gewinnmargen aus dem MAX-Programm im Jahr 2018 auf etwa 30 Prozent, sogar mit Luft nach oben. Für die Zukunft werden die Renditen womöglich bis in den niedrigeren 20-Prozent-Bereich fallen.

Die Kaufankündigung von Ryanair könnte andere finanziell gesunde Fluggesellschaften ermutigen, selbst mit einer Bestellung bei Boeing anzuklopfen. Der Haken an der Sache ist, dass auch sie einen Preisnachlass anstreben werden.

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December 04, 2020 05:24 ET (10:24 GMT)